Droht das Aus für BR Klassik auf UKW?
Vor sechs Jahren öffnete die „Digital Concert Hall“ der Berliner Philharmoniker. Deutschlands bestes Orchester überträgt da – gegen eine Gebühr – weltweit seine Konzerte mit Simon Rattle ins Netz. Die Bayerische Staatsoper stellt Aufführungen gratis ins Internet: 50<TH>000 User in 65 Ländern haben zuletzt „La forza del destino“ mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros verfolgt, bei einer „Götterdämmerung“ waren es noch mehr.
Eigentlich, so denkt man, müssten die Musiker einer trimedialen Rundfunkanstalt bei solchen Neuerungen die Nase vorn haben. Doch die Konzerte des Symphonieorchesters des BR werden nur im Dampfradio verbreitet. Internet-Übertragungen mit Mariss Jansons befinden sich noch in einer Testphase, und sie werden so tief in der labyrinthischen Homepage des BR versteckt, dass sie ganz gewiss niemand findet.
Reichlich spät verordnet der Sender seinem Klassikbereich nun eine Internet-Offensive. Heute verabschiedet der Rundfunkrat ein Telemedienkonzept für BR-Klassik, mit dem unter anderem auch das „video- und ereignisorientierte (Live)-Konzertangebot“ gestärkt werden soll. Der Abstimmung folgt ein aufwändiger Prüfprozess, und wenn dermaleinst das Web 3.0 ausgerufen wird, wird der Sender wohl erst bei der Beta-Version 1.5 angelangt sein.
Da ist noch Luft nach oben
Das Papier verbreitet viel Optimismus: Es gebe ein ungehobenes Potenzial an Klassik-Hörern. Intern sorgt es für Unruhe, weil es sich über die zukünftige Rolle von BR-Klassik auf UKW ausschweigt. Auffällig wird behauptet, dass Klassikhörer internet-affiner seien als die Zielgruppen von Bayern 1, 2, 3 und 5.
Dies erinnert an eine Debatte aus dem Jahr 2006, als eine Jugendwelle eingeführt werden sollte. Damals versuchte Hörfunkdirektor Johannes Grotzky Bayern Klassik ins Digitale abzuschieben, weil der Sender nicht mehr als fünf Programme betreiben darf. Die Klassik nach Protesten blieb auf UKW, die Jugendwelle ging ins Netz, was den Vertretern des Zielpublikums im Rundfunkrat missfiel.
BR-Sprecher Christian Nitsche erklärte, dass derzeit eine Entscheidung über ein UKW-Aus für Bayern Klassik nicht zur Debatte stünde. Übersehen werde auch, dass die Zeit der Ultrakurzwelle ohnehin langsam zu Ende gehe und mit der digitalen Verbreitung eine viel bessere Tonqualität verbunden sei. In Bayern gäbe es bereits eine Million DAB-Geräte. Der hohe Stellenwert der Orchester und des Chors des Bayerischen Rundfunks stehe außer Frage und sei beim Intendanten Ulrich Wilhelm außerdem Chefsache. Es gehe um eine Stärkung der Klassik, nicht um ihre Schwächung. Digital könne die Musik von Bach, Beethoven und Bruckner mehr Menschen ansprechen, was durch die hohe Akzeptanz von Klassik-Angeboten im Internet bewiesen sei.
Tatsächlich gibt es heute sogar im kulturfeindlichen Fernsehen mehr Opernübertragungen denn je – nicht im Hauptprogramm, aber in den Spartenkanälen. Allerdings werden in der ARD Orchester senderintern und politisch zunehmend in Frage gestellt, wenn man an die Zusammenlegung der SWR-Orchester denkt.
Das sorgt für Misstrauen. Und wer mag schon Veränderungen des Gewohnten? Über das Interesse an Bayern Klassik sollte sich aber niemand Illusionen machen: Täglich verfolgen nur 260 000 Hörer die einzige deutsche Klassikwelle. Das entspricht einer Reichweite von 1,8 Prozent. Und ohne dem Schielen nach der Quote das Wort reden zu wollen: Da ist noch Luft nach oben.