"Der 'Tatort' war immer schonungslos und wir Österreicher sind noch schonungsloser"

An diesem Sonntag gegen ein Netzwerk, das bis in die Polizeikreise reicht. Was die Zuschauer erwartet, erzählt Adele Neuhauser im Interview.
Die kleine Melanie Pölzl war fünf Jahre in einem Verlies gefangen. Nachdem sie fliehen konnte, hat sich der Täter vor einen Zug geworfen. Jetzt soll das Horror-Haus, in dem das Mädchen gefangen war, abgerissen werden - zum Vorschein kommt die Leiche einer Polizistin... Im "Tatort: Abgründe" (Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr) kämpfen Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) gegen ein unsichtbares Netzwerk, das bis in die Spitzen von Polizei und Justiz hineinreicht. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erzählt Adele Neuhauser, was die Zuschauer erwartet.
Adele Neuhauser in "Vier Frauen und ein Todesfall" gibt es hier
Frau Neuhauser, die Vorgeschichte vom "Tatort: Abgründe" erinnert an den Fall Kampusch. Auch hier gab es an der Einzeltäter-Theorie Zweifel...
Adele Neuhauser: Leider hat uns die Geschichte gezeigt, dass dies kein Einzelfall war, wie zum Beispiel auch Fälle aus Belgien zeigen.
Der ORF-"Tatort" hat noch nie vor harten Fällen zurückgeschreckt. Dieses Mal geht es um einen Kinderschänderring. Was denken Sie, wie die Zuschauer reagieren?
Neuhauser: Der "Tatort" war immer schonungslos und wir Österreicher sind noch schonungsloser. Die Zuschauer werden sicher sehr betroffen sein, uns ist es bei den Dreharbeiten genauso ergangen, nicht nur uns vor der Kamera, auch den Menschen hinter der Kamera. Es ist immer schrecklich, wenn Kinder involviert sind. Wir haben uns aber sehr bemüht, keinen voyeuristischen "Tatort" zu machen, sondern dieses Thema sehr feinfühlig zu behandeln. So feinfühlig, wie es in dieser Grausamkeit eben möglich ist.
Fellner und Eisner kämpfen in diesem Fall gegen ein Netzwerk mit Kontakten in Polizei- und Justizkreise, die sich gegenseitig helfen, ihre Taten zu vertuschen, nach dem Motto "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus"...
Neuhauser: Das ist eigentlich das Besondere an der Geschichte: herauszufinden, wer die Drahtzieher sind. Wir wollten nicht das Leid der Kinder zeigen, das sowieso spürbar ist, egal ob man es sieht oder nicht. Wir mussten herausfinden, wer dahintersteckt und da kommen wir in ganz grausige Ebenen.
"Je beschissener das Klischee, desto wahrer ist es", sagt Eisner zu Fellner. Sehen Sie das auch so?
Neuhauser: Ja. Wie oft passiert es einem, dass man dem Klischee nicht folgen will, es sich dann aber leider oft auch bewahrheitet.
Eisner wird vom Dienst suspendiert, Fellner gibt ihre Marke aus Solidarität mit ab. Als Eisner nach dem Unfall seiner Tochter nahe dran ist, zu resignieren, ist es schließlich Fellner, die sich über die Regeln hinwegsetzt und weitermacht. Schätzen Sie das an Ihrer Figur?
Neuhauser: Ja, das schätze ich sehr an ihr. Und bei so einem extremen Zwischenfall wie dem Unfall von Eisners Tochter, ist auch kein anderes Handeln möglich. Ich würde privat auch genauso reagieren.
Ein anderes Thema, das anklingt, ist der Stress im Polizeidienst: "Es wundert mich nicht, dass man bei uns einen Psychiater braucht", sagt Eisner. Die junge Kollegin Julia beschwert sich, dass sie jeden Tag todmüde nach Hause kommt und es gerade noch schafft, den Kaktus zu gießen. Alkohol ist auch immer wieder ein Thema. Haben Sie Kontakt zu echten Beamten?
Neuhauser: Wir hatten mehrere Male Kontakt zu echten Kriminalbeamten und haben mit ihnen darüber gesprochen, wie man privat mit so etwas umgeht. Das ist für uns eine sehr wichtige Frage: Wie viel von einem Fall nimmt man als Kriminalbeamter mit nach Hause? Die Reaktion von männlichen "Kollegen" war oft: Das ist eine Arbeit wie jede andere. Nur wenn es um Kinder gehe, wird es schlimm. Frauen haben anders reagiert: Die meinten, so einfach sei das nicht. Das beeinflusse schon auch das Privatleben und den Umgang mit sich selbst. Es setzt den Leuten schon sehr zu und da sind wir nicht so weit von der Wahrheit entfernt.
Im "Tatort" geht es auch um Beziehungen. Das Mordopfer war Eisners Ex-Affäre. Fellner und Eisner stehen sich auch sehr nahe, sie kocht bei ihm, schläft bei ihm. Wie würden Sie die Beziehung zwischen den beiden beschreiben.
Neuhauser: Die beiden haben eine sehr enge Beziehung. Sie haben einander nach vielen Jahren wieder kennen gelernt und müssen davor offensichtlich was miteinander zu tun gehabt haben. Es ist nicht unbedingt eine Liebesbeziehung, aber er fühlt sich ihr gegenüber irgendwo verpflichtet. Die Freundschaft der beiden ist im Laufe der Zeit gewachsen und das ist auch die Qualität an unseren Kommissaren, dass sie - obwohl Mann und Frau - sehr offen miteinander sprechen, den letzten Kick aber nicht haben. Ich persönlich hätte auch Sorge, dass es dann zu schnell auserzählt wäre.
Dann ist es also tatsächlich keine Eifersucht, als Eisner von Julia angebaggert wird und Fellner sie daraufhin zur Rede stellt?
Neuhauser: Das sind Anspielungen, Spielereien. So viel Einblick haben die beiden gegenseitig in ihr Privatleben auch nicht, das ist das Interessante. Man zieht immer Schlüsse, manchmal die richtigen, meist die falschen. Dass sie nicht immer richtig liegen, macht die beiden auch so liebenswert.
Eine große Rolle spielt auch Fellners Auto. "Schlampenschleuder" und "Zuhälterflunder", betitelt es Eisner. Was sagt ihr Auto über Bibi Fellner aus?
Neuhauser: Bibi hat eine sehr enge Beziehung zu dem vorangegangenen Inhaber und sie hat kein Problem, damit zu fahren. Das zeugt von einer gewissen Andersartigkeit und das gefällt mir an ihr. Obwohl dieses Auto wirklich schrecklich ist... Es zu fahren, ist kein großer Hochgenuss. Ich liebe privat Autos und fahre gerne, aber mit dem Pontiac ist es immer ein bisschen schwierig.
Fellner und Eisner lassen am Ende offen, ob sie in den Dienst zurückkehren...
Neuhauser: Keine Sorge. Wir sind schon dabei, die nächsten Folgen zu drehen.
Verfolgen Sie die Diskussionen rund um den "Tatort" mit, die es in Deutschland gibt? Zuletzt wurde kritisiert, dass es zu viele Teams gibt.
Neuhauser: Deutschland ist ein großes Land und es ist in den letzten Jahren sehr angewachsen an Ermittlerpaaren. Aber jeder geht auch anders mit seiner Region und den Charakteristika seiner Region um.
Ihr Tatort "Angezählt" ist für den Grimme-Preis nominiert. Wie wichtig ist Ihnen das?
Neuhauser: Das ist sehr, sehr wichtig. Ich halte den Grimme-Preis für einen der wichtigen und ernstzunehmenden Preise in der deutschen Fernsehlandschaft.