Der radikale Gegenentwurf

Christoph Kürzeder und Thomas Dashuber haben eindrucksvoll das Leben in Klausur dokumentiert
Interview: Christa Sigg |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Eine Klosterimpression aus Seligenthal. Alle Fotos stammen vom Münchner Fotografen Thomas Dashuber.
ho Eine Klosterimpression aus Seligenthal. Alle Fotos stammen vom Münchner Fotografen Thomas Dashuber.

Ob es Dir wohl gut geht?“. Die Mutter einer Novizin schrieb das am Besuchstag auf ein Zettelchen, um sich im nächsten Satz gleich selbst die Antwort zu geben: „Was für eine Zumutung!“. Christoph Kürzeder hat dieses Überbleibsel bei seinen Recherchen in einem bayerischen Frauenkloster entdeckt. Solche und andere vielsagende Funde machen den Reiz seiner Ausstellung im Kloster Beuerberg aus, das eine Handvoll Salesianerinnen gerade für immer verließ. Mit seinem Team hat der Direktor des Diözesanmuseums in Freising das Leben in Klausur dokumentiert. Nachzuvollziehen ist das nun in einer sehenswerten Schau – und in einem berührenden Buch mit den eindringlichen Aufnahmen des Münchner Fotografen Thomas Dashuber.

AZ: Herr Kürzeder, Sie waren für das Buchprojekt in zehn Frauenklöstern. Was hat Sie am meisten beeindruckt?

CHRISTOPH KÜRZEDER: Dass ich als Mann in einen Bereich treten durfte, der nur Frauen vorbehalten war – Frauen, die ein Gelübde fürs Leben abgelegt hatten. Natürlich gab es in dieser Welt auch Männer, doch das mussten Priester sein.

Oder Ärzte und Handwerker.

Unter bestimmten Voraussetzungen, ja. Aber man kommt dennoch in einen Bereich, der über Jahrhunderte geschützt und räumlich abgeschirmt war. Heute haben wir den Anspruch, frei zu sein. Wir sind nicht nur mobil, sondern können ohne größere soziale oder geografische Grenzen denken und handeln. Mich hat in den verschiedenen Klöstern immer wieder fasziniert, wie erstaunlich gut dieses Leben in einem klar definierten Raum funktionierte. Oder noch funktioniert.

Das Ursulinenkloster in Landshut wird gerade aufgelöst.

Nach 348 Jahren. Vor drei Wochen war der letzte Dankgottesdienst. Dabei überstand dieser Orden sogar die Säkularisation. Mitten in der Stadt haben die Ursulinen jungen Mädchen den Zugang zur Bildung verschafft – bis heute mit Erfolg. Die Schule bleibt jedenfalls erhalten. Schon vor zwei Jahren wurde das Dominikanerinnenkloster von Altenhohenau aufgelöst. Dann Beuerberg, wo wir unsere Ausstellung haben. In Altomünster leben gerade noch zwei Schwestern.

Wo funktioniert es denn immer noch gut?

Bei den Zisterzienserinnen in Seeligenthal, da gibt es auch Nachwuchs. Wir wollten nicht nur eine vergehende Welt schildern. Aber das Klosterleben ist nicht nur in demografischer Hinsicht, sondern überhaupt in einem starken Umbruch. Was in der Kirche passiert, betrifft ja genauso das monastische Leben. Dennoch geht damit die Klosteridee nicht zu Ende.

Gibt es überhaupt Neugründungen?

Ja, und die erfolgreichen kennzeichnet interessanterweise wieder ein sehr traditionelles, sehr kontemplativ orientiertes Klosterleben.

Was wiederum dafür spricht, dass das Kloster immer auch ein Gegenentwurf zum Üblichen ist.

Man wählt diese Lebensform ja bewusst. Deshalb ist dieser Blick in Beuerberg etwas Besonderes in einer Zeit, in der wir nicht mehr milieubedingt festgezurrt und auf eine eindeutige Rolle festgelegt sind. Heute haben wir eher das Problem, uns täglich neu erfinden zu müssen. Im Kloster geht es darum, sich immer wieder neu zu bewähren, und das mit einem sehr hohen Anspruch, an dem man durchaus scheitern kann. Ins Kloster einzutreten, ist ja auch eine extrem radikale Lebensentscheidung. Der ganze Tagesablauf wird einem Raster untergeordnet. Gerade dadurch kann man aber eine innere Freiheit erlangen, denn viele Dinge des alltäglichen Lebens sind nicht mehr relevant. Das ist dann sogar eine Entlastung.

Wie verhandelt man mit Frauen, die aufgrund ihres Schweigegelübdes nicht sprechen dürfen?

Wir waren nicht bei den Kartäuserinnen… Jedenfalls sind wir durchweg auf Frauen getroffen, die von ihrer Lebensform stark geprägt waren, zugleich aber ein hohes Maß an sozialer Kompetenz mitbrachten. Das muss man im Kloster auch haben.

Sonst geht man vermutlich unter.

Dieser Gemeinschaft muss man sich stellen. Das prägt zum Beispiel auch den Kommunikationsstil.

Ist er höflicher?

In manchen Orden siezt man sich sogar. Da wird trotz der intensiven Gemeinschaft eine Distanz gewahrt und gepflegt. Doch das hängt wirklich vom Orden ab.

Die Schwestern waren Abgeschiedenheit gewohnt, und nun wurden sie von Thomas Dashuber ins Visier genommen.

Wenn Sie das Buch durchblättern, werden Sie bemerken, dass fast keine Menschen abgebildet sind. Dennoch finden sich überall ihre Spuren.

Diese Fotos haben auch nichts Voyeuristisches.

Das war uns ganz wichtig. Wir wollten auf keinen Fall „pittoreskes Klosterleben mit fröhlichen Nonnen im Klostergarten“ darstellen, sondern vielmehr zeigen, wie wir diese Welt erlebt haben. Nämlich sehr ruhig, mit hohen melancholischen Anteilen, geprägt durch Zurückgezogenheit und Kontemplation. Die Frauen sind ja nicht ins Kloster gegangen, um sich gesellschaftlich zu präsentieren. Genau das haben wir respektiert.

Thomas Dashuber ist vor allem für seine Aufnahmen von Schauspielern bekannt.

Er kann eine unglaubliche Nähe herstellen und schafft es, die Präsenz der Kamera vergessen zu machen. Bei all den aufgesuchten Orten hat er sofort gespürt, wo das Besondere liegt, die Eigenheiten. Oft sind das sogar Beiläufigkeiten, die aber eine Menge aussagen. Und eine Atmosphäre wiedergeben.

Gab es Nonnen, die nicht aufs Bild wollten?

Natürlich. Aber Thomas Dashuber wusste immer, wen er ansprechen und wie weit er gehen kann.

Und nun kann man in Beuerberg den Tagesablauf einer Nonne nachvollziehen.

Die Ausstellung soll Menschen von heute vermitteln, was es hieß und bis heute heißt, sich für ein Leben in Klausur zu entscheiden. In Beuerberg geht das von der Zeit des Eintritts bis zum Tod. Der Pforte, durch die man eintritt, liegt der Friedhof genau gegenüber. Ich habe damit also auch den Lebensweg optisch vor mir.

Man gewinnt den Eindruck, als hätten die Schwestern Beuerberg gerade erst verlassen.

Das ist auch unser Privileg gewesen, sie haben uns damit wirklich ihr Leben, ihren Alltag hinterlassen.

Und wo sind die Schwestern jetzt?

In einem klösterlichen Altenheim, zusammen mit Angehörigen anderer Orden, aber da können sie ihren gewohnten Ablauf weiterhin leben.

Fehlen unserer Gesellschaft die Klöster?

In meiner Kindheit haben die Nonnen noch den Alltag geprägt, im Kindergarten oder in der Schule. Man hatte oft auch Klosterfrauen in der eigenen Familie. Ihnen wird jeder ältere Oberarzt im Krankenhaus von dieser – und ich meine das positiv – Opferbereitschaft für eine Gemeinschaft erzählen. Das wird fehlen. Auch wenn ich mir sicher bin, dass die Ordenswelt bleiben wird. Was wir gerade erleben, ist mehr als ein Paradigmenwechsel. Natürlich gab es die Reformation, das Konzil von Trient, die Säkularisation und immer wieder Krisen. Aber jetzt befinden wir uns in einem Epochenwandel. Das Kloster fehlt uns als Gegenentwurf, denn es stellt auch unser Leben in Frage. Mit all den vermeintlichen Werten und Göttern der Gegenwart.

Buch: Thomas Dashuber / Christoph Kürzeder: „Klausur. Vom Leben im Kloster“ (Kunstmann Verlag, 608 Seiten, 30 Euro) Ausstellung: Kloster Beuerberg, Königsdorfer Str. 7, Eurasburg, bis 16. Oktober, Mi bis So 11 bis 19 Uhr,  08161/48790

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.