Forderung bei "Hart aber fair": Kein Wahlrecht mehr für Deutsch-Türken
Bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei kommt es zur Stichwahl. Bleibt Erdogan oder kommt ein neuer Mann an die Macht? Keiner der drei Kandidaten konnte die absolute Mehrheit holen. Die Zukunft des Landes bleibt also weiterhin offen. Deshalb widmete sich die ARD-Sendung "Hart aber fair" am Montag der Frage: "Noch kein Sieg: Wackelt der ewige Erdogan?".
FDP-Politiker: "Das war die weltweit wichtigste Wahl"
Zu Gast waren dieses Mal unter anderem der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff und der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel, der wegen seiner Arbeit ein Jahr lang in einem türkischen Gefängnis saß. Und so begann die Sendung direkt mit einem eindeutigen Statement des Bundestagsabgeordneten Lambsdorff: "Das ist die wichtigste Wahl dieses Jahres. Punkt. Auf der ganzen Welt."

Stichwahl: Aufgeheizte Stimmung in der Türkei
Dass es nach dem ersten Wahlgang nun aber nicht gleich ein Ergebnis gibt, sondern erst noch die Stichwahl abgewartet werden muss, betrachtet Lambsdorff mit großer Sorge. Denn diese Stichwahl sorge für eine aufgeheizte Stimmung in der Türkei. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass solche Zeiten zu Krisen oder gar Anschlägen führen können, so der FDP-Politiker.
Deutsch-Türken: Hat die Bundesrepublik bei Integration geschlafen?
Nach einer allgemeinen Analyse der Wahl fiel der Blick aller Gäste dann aber auf ein ganz anderes Thema: Was ist eigentlich mit all den Deutsch-Türken, die hier leben und bei dieser Wahl auch mit abstimmen durften? Hat Deutschland vielleicht bei der Integration von ehemaligen Gastarbeitern geschlafen? 65 Prozent wählten Erdogan (vorläufiges Wahlergebnis).
Journalist Deniz Yücel: Wahlentscheidung ist von Milieu abhängig
Wie fällten die stimmberechtigten Deutsch-Türken ihre Wahlentscheidung? Journalist Deniz Yücel will die Beweggründe und Umstände kennen: Die Wahlentscheidung von Türken, die in der Diaspora, also außerhalb der Türkei leben, sei vor allem von ihrem sozialen Milieu abhängig. Das sei ein "soziologischer Befund", kein Vorurteil, wie Yücel direkt klarstellte, als sich erste Kritik im TV-Studio laut machte.

Erdogan-Wähler in Deutschland bei "Hart aber fair"
Kurz darauf stieß zur Diskussionsrunde noch ein weiterer Gast hinzu, der die Runde um eine neue Perspektive erweitern sollte. Sein Name Ufuk Varol, er ist Deutsch-Türke, geboren und aufgewachsen in Köln – und bekennender Erdogan-Wähler. Er gab den Erdogan-Anhängern in Deutschland ein Gesicht.
Forderung bei "Hart aber fair": Kein Wahlrecht mehr für Deutsch-Türken
Deniz Yücel hörte gespannt zu, kann es aber nicht gutheißen. Er sagt: "Ich finde es grundsätzlich eigentlich problematisch, dass Sie, ich, Frau Sipar und dreieinhalb Millionen Türken in der Diaspora, die noch nie in der Türkei gelebt haben [...] trotzdem das Wahlrecht in der Türkei haben." Schließlich gehöre zur Demokratie ja eigentlich das Ziel, dass Wahl- und Wohnbevölkerung nicht allzu weit auseinander driften. Trotzdem merkte Yücel an, dass er aufgrund seiner türkischen Staatsbürgerschaft beim letzten Mal auch gewählt habe.
Deniz Yücel: Mesut Özil ist ein "Jammerlappen"
Zudem lobt Deniz Yücel den Nationalspieler Emre Can, denn der BVB-Kicker sei Erdogan "nicht gefolgt". Außerdem: "Und Mesut Özil hat kurz vor der Wahl noch mal ein Video für Erdoğan veröffentlicht!" Der "Welt"-Journalist arbeitet sich weiter an Mesut Özil ab und bezeichnet ihn als einen "Jammerlappen". Er verhalte sich wie die Rechten in Deutschland. "Das macht auch die AfD gerne, nämlich irgendwas behaupten, und sobald Kritik kommt, zu jammern, es gebe keine Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit bedeutet keine Widerspruchsfreiheit."
Dürfen deutsche Politiker Wahlwerbung fürs Ausland machen?
Zum Abschluss beschäftigte sich die Runde mit einer letzten Frage: Inwieweit darf die deutsche Politik und sogar die Bundesregierung ihre Meinung zu Wahlen im Ausland abgeben? Anlass hierfür war ein Beschluss des Parteivorstandes von Bündnis 90/Die Grünen und ein Video von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Den Rezipienten wurde scheinbar "durch die Blume" gesagt, nicht für Recep Tayyip Erdogan abzustimmen.
Doch diese Botschaften kam bei den Diskutierenden bei "Hart aber fair" gar nicht gut an. "Wir sollten als deutsche Politiker Bürgerinnen und Bürger anderer Länder nicht sagen, wen sie zu wählen und wen sie nicht zu wählen haben", sagt Alexander Graf Lambsdorff (FDP) zu den Äußerungen des Regierungspartners.
Deniz Yücel: "Der Wahlaufruf der Grünen war fahrlässig"
Auch Danyal Bayaz (grüner Finanzminister von Baden-Württemberg und Partner von Katharina Schulze) positionierte sich vor und nach der Türkei-Wahl. Er sei fassungslos, dass Erdogan nicht abgewählt worden sei. "Unerklärlich, dass angesichts von Wirtschaftskrise, Aushöhlung des Rechtsstaats und Versagen nach dem Erdbeben fast 50 Prozent seinen Kurs weiter unterstützen. Ernüchternd!", twitterte er. Vor der Wahl in der Türkei erklärte Bayaz der "RNZ": "Es ist die vielleicht vorerst letzte Chance, wieder auf den Weg von Demokratie und Rechtsstaat zurückzukehren."
Deniz Yücel hat dafür kein Verständnis. Bei "Hart aber fair" sagte er: "In so einer Situation, einen solchen, vollkommen überflüssigen Wahlraufruf zu starten, das war fahrlässig."
Gast geht plötzlich gegen "Hart aber fair" vor – mitten in der Show
Am Ende gab es noch einen irritierenden Moment. Journalistin Sipar: "Ich bin die letzten Minuten ein bisschen ruhiger geworden, natürlich hat diese Sendung ein Format, aber ich fand es sehr schade, dass wir einmal die Möglichkeit hatten, jemandem zuzuhören, der seine Gefühle mit uns teilen wollte. Aber ich verstehe, dass diese Sendung ein Format hat. Ich wollte es nur an dieser Stelle anmerken..."
Louis Klamroth fragte etwas naiv nach: "Über wen sprechen Sie?" Klar war, dass Sipar über den Gast sprach, der sich mit seiner Meinung - er stimmte für Erdogan - ins deutsche Fernsehen traute und das auch begründete. Sie fuhr weiter fort: "Aber ich wünschte, wir hätten mehr von ihm hören können". Klamroth wirkte etwas irritiert. Ihre Kritik trifft natürlich auch ihn. Er hätte Ufuk Varol mehr ins Gespräch bringen können bzw. ihm noch mehr Redezeit zugestehen können. Das Gefühl machte sich breit, dass die Sendung doch sehr einseitig wirkte. Man bemühte sich um Ausgeglichenheit, doch mit einer "Gegenstimme" pro Erdogan wirkte es zu schief.
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