Das Prinzip Hoffnung - Interview mit Rudi Cerne

Rudi Cerne hat für die Spezial-Ausgabe von „Aktenzeichen XY: Wo ist mein Kind?“ auch Michelle Knight eingeladen, die elf Jahre lang von einem Mann eingekerkert und missbraucht wurde
von  Volker Isfort
Michelle Knight, hier im Gespräch mit Rudi Cerne, erlebte die „Hölle von Cleveland“. Sie war elf Jahre in der Gewalt eines Psychopathen.
Michelle Knight, hier im Gespräch mit Rudi Cerne, erlebte die „Hölle von Cleveland“. Sie war elf Jahre in der Gewalt eines Psychopathen. © ZDF/laura webb photo

Familie Richter wartet seit dem 11. Juni 1999 auf ihre Tochter. Seit diesem schicksalhaften Tag ist die damals 14-jährige Anita nun schon verschwunden. Vielleicht kann ein aufrüttelnder Aufruf bei Rudi Cerne weiterhelfen? Der TV-Fahnder stellt in einer Spezialausgabe von „Aktenzeichen XY: Wo ist mein Kind?“ vier Fälle vor. Im Studio empfängt Cerne auch Michelle Knight aus Cleveland, die im Alter von 21 Jahren entführt wurde und bis zur ihrer Flucht elf Jahre lang angekettet in einem Keller hauste und vom Täter schwer missbraucht wurde.

Herr Cerne, Sie haben Michelle Knight schon in Cleveland getroffen, wie wirkte sie?

RUDI CERNE: Zuerst ist das natürlich eine distanzierte Situation und ich gebe auch zu, dass es für mich schwierig ist, einem Menschen mit so einem Schicksal zu begegnen. Aber sie boxt und ich war ja Eiskunstläufer, wir hatten also einen gemeinsamen Zugang über den Sport. Wir hatten zwei Stunden Zeit, haben einen Beitrag für das ZDF gedreht und ich habe mich ungefähr eine Stunde mit ihr unterhalten. Sie hat mir einfach ihre Geschichte erzählt. Ich finde das sehr stark, weil sie sich auch sehr reflektiert äußert. Sie sagt sogar, dass sie aus dem ganzen Horror, den sie erlebt hat, etwas Positives zieht: Dass sie zum Beispiel den Eltern von vermissten Kindern bei „Aktenzeichen XY“ auch Hoffnung geben kann.

Aber die Hoffnung der Eltern kann ja nicht sein, dass ihre vermissten Kinder noch irgendwo in einem Kellerverließ eingesperrt leben?

Selbstverständlich nicht, aber alle Eltern hoffen natürlich, dass ihre Kinder noch leben! Darum denke ich, dass Michelle Knight Stärke und Hoffnung vermitteln kann. Sie ist ein Mensch, der nie aufgegeben hat.

Hat Michelle Knight noch Kontakt zu den beiden mit ihr gefangenen Frauen?

So viel ich von ihr gehört habe, gehen sie alle ihren eigenen Weg. Die beiden anderen Frauen waren ja auch bei dem Prozess gegen Ariel Castro nicht dabei. Die drei haben zusammen die Hölle erlebt, und ich kann mir vorstellen, dass sie vielleicht durch die Anwesenheit der anderen nicht permanent daran erinnert werden möchten.

Haben Sie eine Parallele bemerkt bei Ihren Gesprächen mit Frau Knight und Frau Kampusch?

Ich finde beide Frauen extrem tapfer. Natascha Kampusch ist mit mir damals durch Wien gelaufen, sie wollte mir ein paar schöne Plätze zeigen. Das finde ich schon bewundernswert, dass sie, nachdem sie durch so eine Hölle gegangen ist, sich auch wieder über die Schönheit der Stadt Freude kann.

Katja Eichinger schreibt in der Biografie über ihren Mann, dass Bernd Eichinger nach seinen langen Gesprächen mit Natascha Kampusch immer einen großen Wodka brauchte, weil er alles so unerträglich fand. Wie verarbeiten Sie Ihre Sendungen?

Also ich habe dankenswerterweise einen Reflex, dass ich nach dem Ende einer solchen Sendung relativ gut schlafen kann. Das ist auch eine anstrengende Live-Sendung mit viel Vorarbeit. Aber natürlich kann man sich das Gehörte – salopp ausgedrückt – nicht so einfach aus den Klamotten schütteln. Das ist schon wahnsinnig emotional, weil ich bei „Wo ist mein Kind?“ direkt mit den Angehörigen zu tun habe. Im Gegensatz dazu bleibt eine reguläre „Aktenzeichen XY“-Sendung eher auf der sachlichen Ebene, da spreche ich hauptsächlich mit den Ermittlern.

Sie haben in Ihrer Sendung heute auch wieder einen Fall dabei aus dem Jahr 1999. Wie groß ist denn da die Hoffnung?

„Aktenzeichen XY“ konnte ja schon mehrfach sehr alte Fälle lösen, z. B. den Mord an Lolita Brieger von 1982. Ich denke immer an den Vater von Madeleine McCann, der bei mir in der Sendung gesagt hat: „Solange der Beweis nicht erbracht ist, dass unsere Tochter tot ist, hoffen wir weiter.“ Und ich bin sicherlich nicht derjenige, der den Eltern, die in unserer Sendung sind, diese Hoffnung nehmen will. Die weitere Beschäftigung mit den Vermisstenfällen ist ein wichtiges Zeichen für die Eltern, dass sie nicht ganz alleine gelassen werden mit ihrem Schicksal, mit ihrer Fassungslosigkeit.

ZDF, Mittwoch, 20.15 Uhr

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.