Buddenbrooks der DDR
Mit diesem TV-Werk kann man alles beweisen: dass Fernsehen Qualität hat, dass man auch komplexe Literatur in ein anderes Format überführen kann und sie immer noch wirkt, dass man so Zeitgeschichte massentauglich und doch anspruchsvoll erzählen kann.
Die Verfilmung der „DDR-Buddenbrooks”, die Umsetzung von Uwe Tellkamps Feuilleton-Jubel-Roman „Der Turm” von 2008 hat vom Dresdner Autor selbst seinen Segen bekommen, als „bewegend, tief, beeindruckend”. Und die Nico Hofmann-Produktion wird der intensiv verschachtelten Vorlage keine Leser nehmen, sondern neue zuführen. Denn nach den drei TV-Stunden Geschichte des Dresdner Bürgertums in der Spätzeit der DDR werden viele sich (wieder) an das fast 1000-seitige Buch wagen und eintauchen in die feinglie-drige Handlung und die atmosphärisch dichten Szenerien des Buches.
Denen, für die die DDR immer auf der anderen Seite des Mondes lag, wird ein ungewohntes Bild gezeigt: nicht spießig, kleinbürgerlich oder militaristisch, sondern gebildet, musisch und – aus Rückzugszwang ins Private – viel reiner bildungsbürgerlich als es im formlosen Post-68er-Bürgertum der Bundesrepublik gelebt wurde.
Dabei beschönigt der Film nichts: gezeigt wird, wie man der erbarmungslosen Einvernahme des DDR-Systems nicht entkommen konnte, außer man verzichtete auf jegliches Fortkommen (gezeigt am Beispiel der sich abwendenden Schriftstellerin, die Friedhofsgärtnerin wird). Die Hoffmanns aber wollen weiterkommen: Er (Jan Josef Liefers) will Klinikchef werden, sein Sohn (Sebastian Urzendowsky) will auch studieren, opfert dafür seine 80er-Wuschelhaare, das Cello-Spielen, und begibt sich drei Jahre in die Psycho- und Knochenmühle der NVA. Er wird am Ende aussteigen.
Wichtig an der (Film-)Erzählung ist, dass das Totalitäre zwar Dauerbegleitung ist, aber die menschlichen Geschichten (Ehekrise, Geliebte, Entfremdung) überall die gleichen sind, wenn sich auch hier alles verschärft durch die Stasi-Durchsetzung. Erzählt wird nicht das DDR-System, sondern das bürgerliche Leben in diesem absurden, unmenschlichen System und wie es Teile des Alltags durchsetzt. Dresden als Ort – nicht Provinz, aber eben auch nicht die Hauptstadt – ist in der Verfilmung seltsam undefiniert. Der Zauber am Elbberghang, der von den Vierteln wie dem Weißen Hirsch im Roman ausgeht, wurde als magischer Teil zugunsten von Realismus aufgegeben. Das macht den TV-Turm weniger poetisch, dafür allgemeingültiger.
Regisseur Christian Schwochow hat eigene Formen gefunden, um eindringlich zu erzählen. So wenn sich auf einer Hochzeit im Kopf des jungen Rekruten Christian Marschmusik in die Brautwalzertöne mischt. Und Jan Josef Liefers spielt den Chefarzt Richard Hoffmann verzweifelt zerrissen, aber nie karikaturhaft zwischen innerer Opposition, dienlicher Anpassung und seinem privaten Doppelleben.
Mittwoch, 3.10. (Teil 1), und 4.10.2012 (Teil 2), jeweils 20.15 Uhr, ARD; am 3.10. im Anschluss um 22.45 Uhr „Der Turm – Die Dokumentation”
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