Bruce Springsteen: "Born To Run" und Vaterunser - Broadway-Show auf Netflix

Bruce Springsteens Broadway-Show war ein Riesenerfolg. Jetzt ist sie auf Netflix zu sehen – aber der Zauber will sich nicht recht einstellen.
Dominik Petzold |
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Bruce Springsteen und seine Frau Patti Scialfa vor dem Walter Kerr Theatre am Broadway.
E. Agostini/dpa Bruce Springsteen und seine Frau Patti Scialfa vor dem Walter Kerr Theatre am Broadway.

Als 2015 Bruce Springsteens Autobiographie "Born To Run" erschien, stand sofort eine Frage im Raum: Wann wird sie verfilmt? So spektakulär las sich die Geschichte des jungen Bruce, der mit einem depressiven Vater und einer umso lebensfreudigeren Mutter aufwuchs, zwischen erdschweren Iren und einem Sopranos-artigen Italiener-Clan.

Der Weltbestseller eröffnete einen völlig neuen Blick auf den Star. Und dass ein Mann, der seit Jahrzehnten Arenen in Ekstase versetzt, offen über seine tiefen Depressionen schrieb, machte alles noch faszinierender. Dieser Mann, den man hier erstmals kennenlernte, war purer Stoff für Literatur, ein Filmheld eben. Aber Springsteen wertete den Riesenerfolg (zunächst) auf andere, total neuartige Weise aus: mit einer Ein-Mann-Broadway-Show, in der er Passagen aus dem Buch frei vortrug und passende Songs einfügte.

 

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"Springsteen on Broadway" auf Streaming-Dienst Netflix

"Springsteen On Broadway" war ebenfalls ein gewaltiger Erfolg. 14 Monate lang trat er im Walter Kerr-Theater auf, einem kleinen Saal mit 1.000 Plätzen, jeder einzelne unweit der Bühne. Er spielte jeweils von Dienstag bis Samstag – erstmals in seinem ganzen Leben arbeitete er fünf Tage die Woche, sagte der 69-Jährige in der Show. Der Andrang war so groß, dass die Tickets auf dem Second-Hand-Markt bis zu 1.400 Euro kosteten.

Am Wochenende war die letzte Vorstellung. Fast zeitgleich wurde der Film "Springsteen on Broadway" auf dem Streaming-Dienst Netflix veröffentlicht und parallel eine gleichnamige Doppel-CD. Regisseur Thom Zimny, der in Springsteens Auftrag schon zahlreiche Videos und Dokus gedreht hat, hält sich sehr zurück, schneidet einfach nur mit, wie Springsteen erzählt und dazu ein wenig an der Gitarre zupft oder gedämpfte Klavierakkorde spielt.

Oft zeigt er ihn in Nahaufnahme, der Film kommt mit wenigen Schnitten aus. Man glaubt gern, wie die Live-Zuschauer und Kritiker aufrichtig begeistert waren, als der Charismatiker wenige Meter vor ihnen sein Leben Revue passieren und tief in seine Seele blicken ließ.

Wie sich Springsteen bei der Musterung durchschwindelte

Doch auf dem Bildschirm mag sich dieser Zauber nicht recht einstellen. Gewiss, Springsteens eloquente Monologe haben wie im Buch viel Kraft, mitunter Schönheit, und der Film hat seine bewegenden Momente: Wenn Springsteen über seine Mutter spricht, die trotz 93 Lebensjahren und Alzheimerkrankheit weiterhin stets tanzen will.

Wenn er sich an den jugendlichen Musiker Walter erinnert, von dem er sich so viel abgeschaut hat, und an Bart, den Schlagzeuger seiner ersten Band, der alles spielen konnte außer der alles entscheidenden Drummer-Shownummer "Wipe Out". Beide wurden als junge Männer eingezogen und starben in Vietnam. Springsteen selbst konnte sich bei der Musterung durchschwindeln und fragt sich bis heute, wer an seiner Stelle in den Krieg zog.

Danach singt er allein und ohne Instrumente "Born In The U.S.A.", eher Rezitation als Song. Gute Momente hat Springsteen auch, wenn er über sich selbst lacht: über den Gaukler, der nie in seinem Leben in einer Fabrik gearbeitet hat und mit seinen fiktiven Songs zum Sprachrohr der Arbeiter wurde. "So gut bin ich!", flachst er.

Springsteen auf Netflix: Die zweieinhalb Stunden ziehen sich

Doch trotz der gelegentlichen Selbstironie, trotz aller Sprachgewalt: Die zweieinhalb Stunden ziehen sich. Schon das Buch war von Pathos durchzogen, was angesichts der tollen Stories und literarischen Qualitäten nicht weiter schlimm war. Doch in Springsteens theatralischem Vortrag wird alles extrem bedeutungsschwer. Am Ende spricht er mit Gravitas über einen Baum vor seinem Kindheitshaus, der nach Jahrzehnten gefällt wurde.

Schließlich betet der Katholik, wenn auch leicht ironisch eingeführt, das Vaterunser und singt "Born To Run". Und selbst dieses Jahrhundertlied kann sich nicht recht entfalten, wie die meisten Stücke. Denn Springsteen rückt die Texte maximal in den Vordergrund, hält die Musik spröde und schlicht und zersingt manch schöne Melodie, "The Promised Land" etwa.

Besser klingen nur die Stücke am Klavier, "My Hometown" und "Tenth-Avenue Freeze-Out". Die zweistimmigen Duette mit seiner Frau Patti Scialfa, "Tougher Than The Rest" und "Brilliant Disguise", sind eine willkommene Abwechslung.

Man hätte dieser Springsteen-Messe wohl persönlich beiwohnen müssen, um so ergriffen zu sein wie der junge Fan in der ersten Reihe, der Springsteen nach dem Ende die Hand schütteln darf und gar nicht mehr loslässt, der weinend auf sein Idol einredet. Bruce lächelt, hört geduldig zu und wuschelt dem Fan am Ende freundlich durch die Haare. Er wirkt völlig anders als in den zweieinhalb Stunden zuvor, entspannt und gelöst. Die theatralische Bühnenfigur hat Feierabend.

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"Springsteen On Broadway", bei Netflix. Die gleichnamige Doppel-CD ist bei Sony Music erschienen.

 

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