"Ätzend": So wird der Berlin-"Tatort" am Sonntag
Berlin - Schluss mit Lustig: Nach dem Gaga-"Tatort" aus Münster letzte Woche machen die neuen Kollegen aus Berlin ernst. Und zwar so richtig: Mit verwesten Körpern, Säure-Verletzungen in Großaufnahme und trister Grundstimmung. Regisseur Dror Zahavi ist derzeit gewissermaßen der Meister des Düster-"Tatorts". Allerdings übertreibt er es bei "Ätzend" ein bisschen, denn hinter dem ganzen Schreckens- und Skurrilitäten-Kabinett steckt ein eher müder Kriminalfall. Zuschauer, die den ersten Film "Das Muli" nicht gesehen haben, werden zudem ziemlich im Regen stehen gelassen.
Nina Rubin (Meret Becker) und ihr Kollege Robert Karow (Mark Waschke) können sich nicht leiden. Er ist vor allem immer noch damit beschäftigt, den Mord an seinem Kollegen Maihack aufzuklären und gerät dabei zunehmend selbst ins Fadenkreuz der Ermittlungen. Sie ist von seinen Alleingängen genervt. Immerhin können sie sich zunächst darauf verständigen, als Zweckgemeinschaft zusammenzuarbeiten.
Abrissarbeiten in einer Berliner Laubenkolonie fördern ein säuregefülltes Fass mit menschlichen Überresten zutage. Wenige Meter von dem Fundort entfernt entdecken die herbeigerufenen Ermittler eine zweite Leiche. Anders als der halb aufgelöste Mann im Fass wurde das zweite Opfer erschossen und vergraben. Bei der Obduktion des Säureopfers wird ein Herzschrittmacher gefunden, der allerdings zu einem ziemlich lebendigen Herrn gehört: Saed Merizadi (Husam Chadat) ist Inhaber eines kleinen Dentallabors in Neukölln. Er, seine hochschwangere Frau und sein Sohn Arash stammen aus dem Iran. Rubin und Karow vermuten, dass Saed Merizadi den Mann im Säurefass auf dem Gewissen hat. Während er in U-Haft landet, taucht seine Familie unter. Das weitaus größere Problem für Karow stellt allerdings das andere, erschossene Opfer dar...
Die Tücken des horizontalen Erzählens
Was machen wir nun aus diesem ganzen Salat menschlicher Abgründe? Auf der Habenseite zieht einen die pessimistische Grundstimmung von "Ätzend" in den Bann. Doch ähneln die ersten Minuten noch einer morbide inszenierten Geisterbahnfahrt durch das pulsierende und toll eingefangene Berlin, verliert sich der Film später in vielen kleinen Geschichten: Rubin und ihre brüchige Liebe zum Vater ihrer Kinder, Karows Suche nach dem Mörder seines Kollegen, das tragische Schicksal der Familie Merizadi, Fremdenfeindlichkeit im Alltag, die städtebauliche Umwälzung Berlins. Für sich genommen sind das spannende und rasant inszenierte Einzelepisoden, aber als großes Ganzes lässt es den Zuschauer etwas ratlos und erschlagen zurück.
So richtig und zeitgemäß eine verstärkte horizontale Erzählweise ist, so wichtig wäre es, Nicht-Kennern des ersten Films eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse zu liefern. Das passiert leider eher im Vorbeigehen, was besonders der Dramaturgie im Fall Karow abträglich ist. In dem Maße, wie bei "Ätzend" auf den Vorgänger aufgebaut wird, wäre eine "Was bisher geschah"-Sequenz durchaus vertretbar.
Fazit:
Ein intensiver Krimi, der es den Zuschauern aber in vielerlei Hinsicht nicht leicht macht.