Wladimir wird wild – mitten in der Idylle

GOING - Klitschko trainiert in Tirol und entdeckt seine „böse Ader“. Provokateur Haye als Motivation für dem WM-Fight am 20. Juni auf Schalke.
Der Riese hat seinen Gegner in die Ecke gedrängt, er schneidet alle Fluchtwege ab. Dann schlägt er zu: links, links, rechts. Immer wieder. Unbarmherzig. Es knallt gewaltig, das Opfer stöhnt unter den Schlägen schmerzerfüllt auf, versucht sich wegzudrehen, abzuducken. Die weit aufgerissenen Augen des Mannes sind Beleg für die Qualen, die er erleiden muss. Doch der Riese lässt keine Gnade walten, setzt unentwegt nach. Seine Augen sind zu Schlitzen zusammengekniffen. Es sind kalte Augen. „Lass gut sein, lass ihn leben“, schalt es in diesem Moment aus einer anderen Ecke. Der Muskelberg tritt zurück, lässt von seinem Gegner ab.
Der Überlebensauftrag, er stammt von Trainerlegende Emanuel Steward und sein Adressat ist Box-Weltmeister Wladimir Klitschko (33), der König der schweren Jungs, der sich beim Stanglwirt in Going. im schönen Tirol, auf seinen Titelkampf gegen David Haye, den britischen Champion der Provokation, am 20. Juni in der Arena AufSchalke vorbereitet.
Klitschkos Gegner hier im Trainingslager, das ist kein Fallobst, sondern der britische Ex-Europameister Michael Sprott. „Wladimir hätte ihn jederzeit ausknocken können, aber das wollten wir Michael ersparen. Aber es war ein Gnadenakt“, sagt Steward.
Klitschko: "Ich werde ihn bestrafen, schmerzhaft bestrafen"
Einen solchen will Klitschko seinem Gegner Haye vor über 60 000 Fans in Gelsenkirchen definitiv verwehren. Er will Haye für dessen geschmacklose Entgleisungen bestrafen. Dafür, dass er sich bei der Pressekonferenz Mitte April in der Arena in einem T-Shirt präsentierte, auf dem Haye die abgeschlagenen Köpfe von Wladimir und dessen Bruder Vitali in die Höhe hält, und zu Hayes Füßen die blutüberströmten Körper der beiden Champions aus der Ukraine liegen. „Damit hat er jede Grenze überschritten. Das kann man auch nicht ungeschehen machen. Ich werde ihn dafür bestrafen. Schmerzhaft bestrafen. Ich bin motiviert wie noch nie. Ich kenne mich im Moment fast selbst nicht wieder. Haye wird erleben, dass man für alles im Leben bezahlen muss“, sagt Klitschko. Und seine Augen strahlen dabei eine eisige Kälte aus.
Diese Kälte, sie hat Steward auch an seinem Schützling wiederentdeckt. „Wir arbeiten schon über fünf Jahre zusammen, aber diesen Blick habe ich erst einmal an ihm gesehen. Das war gegen Chris Byrd, als dessen Leute Wladimir ständig beleidigten, ihn als Weichei abstempelten. Wladimir hat Byrd dafür eine brutale Prügelstrafe verabreicht. Er hat ihn nicht nur verprügelt, er hat ihn regelrecht vernichtet. Dieser Wladimir ist jetzt wieder da“, sagt Steward, „die Öffentlichkeit kennt nur den netten, den lieben Wladimir. Aber er hat auch eine böse Ader, eine wilde Seite. Die kommt hier zu Tage.“
Wladimir wird wild – mitten in der Idylle unter dem wilden Kaiser in Going. Hier geht er mit Wut an sein zerstörerisches Werk. Das hat auch Sprott erleben müssen. „Klitschko ist riesig und er schlägt wirklich sehr hart. Ob ich einen Tipp für meinen Landsmann Haye habe? Ja, diesen Schlägen irgendwie zu entkommen“, sagt Sprott. Und Klitschko, der Champion der Verbände WBO, IBF und IBO, sagt: „Ich möchte mich bei Haye bedanken, dass er mich derart motiviert hat. Ich hatte selten so eine Leidenschaft in mir. Die wird er zu spüren bekommen.“
Eine Leidenschaft, die Leiden schafft.
Matthias Kerber