"Wir haben wieder zwei Siegspringer"
AZ: Herr Hannawald, Ihre historischen Siege aller vier Springen einer Vierschanzentournee jähren sich nun bald zum zehnten Mal. Denken Sie oft an Ihren „Grand Slam”?
SVEN HANNAWALD: Ja, sehr oft sogar. Dieses Jahr besonders intensiv – unglaublich, dass dieser Rekord schon zehn Jahre lang anhält. Ich habe während der Tour so viele schöne Momente erlebt, die mir auch heute noch immer wieder durch den Kopf gehen.
Zum Beispiel?
Ich erinnere mich noch an den Moment nach dem letzten Sprung, als meine Schwester sich einen Weg durch die Absperrungen gebahnt hat und meine Eltern dabei mitgerissen hat. Anschließend lagen wir uns minutenlang in den Armen. Das war sehr ergreifend. Oder auch an Reinhard Heß’ (ehemaliger Bundestrainer der Skispringer, die Red.) Verneigung, ebenfalls nach dem letzten Springen. Heß war ein absoluter Erfolgstrainer, der von jedem Großereignis damals mindestens eine Medaille heimgebracht hat. Als er sich vor mir verneigt hat, habe ich zum ersten Mal eine Idee davon bekommen, was ich da überhaupt geleistet habe.
Wann denken Sie, wird ein anderer Springer das Kunststück des „Grand Slams” schaffen?
Ich hoffe, dass sich das noch möglichst lange hinaus zögert, am besten gar nicht passiert. Ich habe aber gehört, dass für den Fall eines diesjährigen Grand Slams eine Million Schweizer Franken ausgeschüttet werden. Das ist natürlich schon ein enormer Anreiz für die Athleten, alle vier Springen zu gewinnen.
Sie haben damals 50.000 Schweizer Franken gewonnen.
Wenn man aber bedenkt, dass sich Dieter Thoma für den Tournee-Sieg 1990 noch mit einem Präsentkorb begnügen musste, ist die Entwicklung der Gewinnsummen nachvollziehbar. Und außerdem: Wenn mich jemand vor die Wahl stellen würde, zwischen einer Million Schweizer Franken oder dem Rekord der vier Siege zu wählen, würde ich mich immer für die vier Siege entscheiden.
Würden Sie sich denn heute noch einmal auf eine Schanze wagen?
Ich würde sicher noch unfallfrei herunterkommen und auch auf beiden Beinen landen können. Aber das hätte mit Skispringen ansonsten nicht mehr viel zu tun, dazu müsste ich wieder sehr viel trainieren. Außerdem habe ich so viele schöne Sprünge in Erinnerung, die will ich mir nicht kaputt machen.
Sie haben als Skispringer alle wichtigen Titel gewonnen. Dem Tournee-Sieg messen Sie aber die größte Bedeutung zu. Was ist das Faszinierende daran?
Die Tournee ist für mich das größte Highlight, seitdem ich denken kann. Bei einer Weltmeisterschaft oder bei Olympia gibt es Tagessieger, oftmals sogar Überraschungssieger. Die zeigen natürlich auch Leistung, keine Frage. Aber zum Titel reicht ein guter Tag. Bei der Tournee hingegen muss man viermal gut springen, viermal Höchstleistung zeigen und viermal Glück haben. Das ist einmalig.
Kommen wir zur diesjährigen Tournee. Was trauen Sie den deutschen Senkrechtstartern der letzten Wochen, Richard Freitag und Severin Freund, zu?
Grundsätzlich denke ich, dass wir eine spannende Tournee erwarten dürfen. Favoriten sind natürlich die Österreicher, aber ich Freude mich sehr, dass wir in diesem Jahr auch wieder zwei deutsche Siegspringer haben. Es ist doch auf Dauer langweilig, wenn am Ende immer nur die eine Nation auf dem Treppchen steht.Den beiden Jungs traue ich sehr viel zu, bei ihnen stimmt alles – Technik, Material, Form. Bleibt zu hoffen, dass sie während der zehn Tage auch die Nerven behalten.
Richard Freitag sagte vor kurzem, dass er als kleiner Junge von Ihnen derart begeistert war, dass er sich Ihretwegen selbst im Skisprungverein angemeldet hat.
Das wusste ich gar nicht, macht mich aber natürlich unheimlich stolz. Der Weg, den Richard eingeschlagen hat, ist schon beeindruckend. Und das Besondere ist, dass er in den Kliniken Erlabrunn geboren ist – genau wie Jens Weißflog und ich. Ich weiß auch nicht, was es mit dieser Klinik auf sich hat.
Wie verfolgen Sie die Springen?
Da ich seit kurzem Sky-Experte bin, werde ich sie vom TV-Studio aus verfolgen und kommentieren. Eine neue Aufgabe, die mir sehr viel Spaß macht.
Das war in den vergangenen Jahren noch anders.
Ja, das stimmt. In den letzten Jahren war ich immer nur in Oberstdorf vor Ort, den Rest habe ich im Fernsehen angeschaut. Damals hatte ich noch keine neue Aufgabe für mich gefunden. So war es sehr schwierig, an geniale Zeiten erinnert zu werden oder gar über sie zu sprechen, ohne zu wissen, wie es für mich weitergeht. Zuzuschauen, wie die anderen „normal” weiterspringen während eine Rückkehr auf die Schanze für mich nicht möglich war, tat sehr weh. Doch seit ich im Motorsport aktiv bin, fällt es mir wieder leichter, Springen vor Ort anzuschauen.
Apropos Motorsport: Sie haben jetzt Ihre zweite Saison als Rennfahrer der ADAC GT Masters beendet. Was fasziniert Sie am Geschwindigkeitsrausch?
Vor allem das Adrenalin. Das ist ähnlich hoch wie damals beim Skispringen. Ich habe Blut geleckt, fühle mich in der Motorsportszene sehr wohl. Leider kann ich noch nicht um Siege mitfahren, dazu ist mir die Geschwindigkeit manchmal doch noch zu hoch.
Wie steht Ihre Verlobte Alena Gerber zu Ihrer Leidenschaft?
Klar kann sie da nicht völlig locker zuschauen, sie hat schon immer ein bisschen Angst. Aber sie vertraut mir und meinen Fähigkeiten und unterstützt mich so gut sie kann.
Der Jahreswechsel steht bald an. Welche Ziele setzen Sie sich für das Jahr 2012?
Ich möchte im Motorsport voran kommen, bald um Siege mitfahren. Und dann habe ich ja noch mein Schneeflöckchen-Team. Die Kids haben schon so tolle Fortschritte gemacht, die möchte ich auch in Zukunft auf jeden Fall unterstützen. Was sich sonst noch ergibt, muss man abwarten. Aber eines kann ich definitiv ausschließen: Ich werde nicht ins Dschungelcamp gehen.
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