Wings for Life World Run: Samuel Koch: "Manchmal hadere ich damit noch"
Samuel Koch im AZ-Interview über seinen schweren Unfall bei "Wetten dass...?" und den Wings for Life Run.
Der 29-Jährige verletzte sich am 4. Dezember 2010 in der ZDF-Show "Wetten dass...?" schwer, als er mit Sprungstiefeln über ein fahrendes Auto sprang, und ist seither querschnittsgelähmt. Heute arbeitet er als Schauspieler am Staatstheater Darmstadt.
AZ: Herr Koch, Sie sind seit Dezember 2010 querschnittsgelähmt, wollten damals in der Fernsehsendung "Wetten, dass...?" mit Sprungstiefeln über ein fahrendes Auto springen – und stürzten. Wie kam es zu dieser Aktion?
SAMUEL KOCH: Ich kannte den Zuständigen, der die Einsätze bei "Wetten, dass...?" einfädelte. Er hat mir angeboten, mit meinen Sprungstelzen eine Wette zu machen. Er wusste, dass ich seit Jahren damit trainiere. Wir haben uns kurzzeitig ernsthaft gedacht: Wir könnten das auch mit verbundenen Augen machen. Jeder Schritt, jede Flugphase war so ausgetüftelt, dass niemand von uns auch nur einen Gedanken daran verschwendete, dass etwas schiefgehen könnte. Bei 1000 Sprüngen zuvor ist nie etwas passiert. Auch in den ganzen 15 Jahren, die ich davor Saltos gesprungen bin, war nie etwas.
Machen Sie sich selbst Vorwürfe, damals nicht anders gehandelt zu haben?
Mit dem Gewinn hätte ich den Rest meines Studiums finanzieren können, mein Auto und meine Wohnung abbezahlen. Ich habe meine Freunde gefragt, die mich unterstützt haben. Ich habe den Ältesten meiner Kirchengemeinde gefragt, auch er meinte, ich solle es unbedingt machen. Sogar mein Schauspielprofessor hat mir dazu geraten. Viele Gründe haben also dafür gesprochen. Nur ich selbst hatte nicht immer das beste Gefühl im Bauch. Vielleicht hätte ich entgegen der Gründe und nach meinem Bauchgefühl handeln sollen. Damit hadere ich manchmal noch. Vielleicht kommt ja das Bauchgefühl tatsächlich nicht von irgendwo her.
Beim ersten Versuch lief alles glatt. Foto: dpa
Am 7. Mai findet der Wings for Life World Run in München statt, Sie nehmen dieses Jahr bereits zum vierten Mal teil.
Wings for Life ist eine österreichische Stiftung, die einhundert Prozent ihrer Einnahmen in die Rückenmarkforschung steckt. Ich habe mich dort mit vielen Forschern getroffen und ihre Arbeit begutachtet. Die neurologische Forschung ist noch sehr jung, es finden in den letzten Jahren dennoch bahnbrechende Fortschritte statt.
Die Ziellinie ist beim World Run außergewöhnlich.
Genau. Die Ziellinie ist nicht festgelegt, ein Auto startet 30 Minuten nach den Läufern und verfolgt diese. Das stachelt die Teilnehmer zu Höchstleistungen an. Das gilt für den Marathonläufer. Aber zum Beispiel auch für die Oma, die ich einmal nach einem Lauf gesprochen habe. Sie meinte, dass sie in ihrem Leben noch nie so weit gelaufen ist wie an diesem Tag. Jeder der möchte, kann sich spontan noch gerne in meinem Laufteam anmelden. Sport ist immer ein Mittel, die Welt zu verbinden.
Wohin kann die Forschung in den nächsten Jahren mit der nötigen Unterstützung führen?
Die Forscher denken selbstbewusst, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis eine Querschnittslähmung heilbar ist. Das sind jetzt natürlich noch utopische Vorstellungen, aber einst galt auch Grippe als unheilbar. Mittlerweile kann man nach einer Woche Krankheit wieder in die Arbeit. Und in Zukunft könnte man vielleicht sagen: "Ich war die Woche nicht in der Arbeit, weil ich querschnittsgelähmt war, jetzt bin ich wieder fit."
Eine Vorstellung, an die Sie persönlich glauben?
Es ist nicht so, dass ich jeden Tag damit liebäugle und alles darauf ausrichte. Aber ich wäre fit und bereit für den Fall der Fälle.
Sie haben 2014 die Schauspielprüfung an der Hochschule in Hannover beendet, ein paar Monate später kamen Sie als fester Bestandteil in das Ensemble des Stadttheaters Darmstadt. Wie wichtig ist die Schauspielerei für Ihr Leben?
Ich könnte schon noch ohne sie leben, bin aber dennoch sehr froh, dass ich nach meinem Unfall wieder zum Schauspiel zurückgekehrt bin. Zuerst dachte ich, es wäre absolut dumm und naiv, in meinem Zustand ein Schauspielstudium fortzuführen. Aber dann habe ich gemerkt, dass es einer der wenigen Berufe ist, bei dem man allein mit Kreativität, Fantasie und Stimme arbeiten kann.
Seit Ihrem sechsten Lebensjahr haben Sie geturnt, waren sehr sportbegeistert. Kann Ihnen die Schauspielerei heute einen Ausgleich zum Sport geben?
Es ist bis heute sehr schwer für mich, auf den Sport zu verzichten. Ich würde noch immer gerne Trampolin springen oder schwerelos sein am Reck. Heute investiere ich zwei Stunden täglich, um meinen Körper in Stand zu halten, unter anderem mit einem Arm- und Beinfahrrad. Das ist mir wichtig.
Sie sind ein religiöser Mensch. Wie drückt sich das für Sie nach einem Schicksalsschlag aus? Hadert man mit Gott oder ist er die nötige Stütze?
Der Glaube ist ähnlich wie Sauerstoff, man kann ihn nicht sehen. Aber dennoch braucht man ihn im Leben. Natürlich zweifelt man nach so einem Unfall daran. Nachdem ich zunächst gedacht habe, dass Glaube vielleicht nur ein psychologisches Konstrukt ist, hat er mich dann im Endeffekt doch getragen. Man könnte sagen, dass es oft die lebenserhaltende Maßnahme war. Alex Maier
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