"Was soll ich jetzt bloß zuhause?"

Der tiefe Sturz auf den Boden der Realität. Bittere Tränen, untröstliche Verliererinnen und ein paar unangenehme Fragen: Was bleibt vom Frauen-Fußball-Boom?
von  Frank Hellmann

Wolfsburg - Ein sonniger Sonntag in Deutschland. Im ICE spielt eine fünfköpfige Familie Karten. Vor ihnen liegt eine Zeitung, der Zehnjährige studiert den Sportteil. Sagt zum Papa: „Abends spielt Brasilien gegen die USA. Das will ich sehen.” Das Familienoberhaupt nickt, der zweite Sohn auch. Brasilien gegen USA. Klangvolle Namen. Aber es ist Frauenfußball, und das am Tag nach dem tränenreichen Aus der deutschen Frauen-Nationalmannschaft. In allen Zügen des Landes wurden dieser Tage Ergebnisse von Gruppenspielen Australien gegen Äquatorial-Guinea vom Bahnpersonal verkündet, und schon darüber hat sich niemand aufgeregt. Wo doch vor drei, vier Jahren undenkbar schien, dass das irgendeinen Menschen hierzulande interessiert. Nun gibt die fußballinteressierte Jugend vor, sich den weiblichen Kick ohne deutsche Beteiligung im Fernsehen ansehen zu wollen.

Begebenheiten wie diese lassen hoffen, dass von dieser Frauen-WM doch ein wenig Nachhaltigkeit ausgeht. Wie hatte Theo Zwanziger, der leutselige DFB-Präsident zu mitternächtlicher Stunde in der Wolfsburger Arena nach dem deutschen Aus gesagt? „Es wird jetzt spannend sein, ob die Fernsehzuschauer reine Event-Menschen waren oder sich ein echtes Interesse entwickelt.”

Zwanziger weiß, dass jeweils mehr als 16 Millionen TV-Konsumenten, die die deutschen Auftritte gegen Nigeria, Frankreich und nun gegen Japan verfolgt haben, erst mal nicht wieder bei einem Frauen-Länderspiel einschalten. Aber der DFB-Boss fühlt sich unterstützt in seinem Verlangen, „dass die Frauen-Bundesliga in die Nähe der Dritten Liga der Männer rückt; dass sie in der Sportschau gezeigt wird, dass darüber diskutiert wird”. Ein hehres Anliegen, immerhin eine Millionen Mitglieder des DFB sind weiblich.
Fragt sich nur, ob auch der 66-jährige DFB-Boss ein zukunftsförderndes Zeichen aussandte, als er in Wolfsburg alle verheulten Fußballerinnen Deutschlands in den Arm nahm. Simone Laudehr, Saskia Bartusiak und Lena Goeßling kamen in den Genuss der zweifelhaften Fürsorge, zuvor konnte sich Silvia Neid Zwanzigers Umarmung nicht entziehen. „Ich bin etwas älter, ich kann das leichter verarbeiten”, erklärte Zwanziger seine Trostspende, um dann die unvermeidliche Frage zu beantworten, ob es denn richtig gewesen sei, so unvermittelt vor dem Turnier den Vertrag mit der bislang bei WM und EM noch ungeschlagenen Fußballlehrerin gleich bis 2016 auszudehnen. „Da stehen wir absolut dahinter. Silvia Neid muss analysieren, was schiefgelaufen ist.”

 


 

Schiefgelaufen ist nicht nur fußballerisch im deutschen Team eine Menge. Silvia Neid hat es nicht geschafft, trotz der wochenlangen Vorbereitung dem Team eine Handschrift zu verpassen, die zu weltmeisterlichen Begehrlichkeiten berechtigt hätte. Und fast schon peinlich geriet der Umgang mit ihrer Rekordnationalspielerin Birgit Prinz, die von der Hauptfigur zur Nebendarstellerin hinabstieg und am Ende ernüchtert konstatierte: „Uns ist spielerisch wenig eingefallen. Es reicht nicht, nur irgendwann auf einen Standard zu hoffen.” Mit dieser simplen Variante – Ecke/Freistoß, Kopfball, Tor – hatten sich noch die männlichen Rumpelfüßler bis ins neue Jahrtausend beholfen. Doch die weiblichen Abgesandten standen immer für die elegantere Interpretation des Spiels. Es ist eine eigene Geschichte, dass genau dies sich umgekehrt hat.

Die Enttäuschung und Ernüchterung hinterlässt neben Fragen auch Fassungslosigkeit. Bezeichnend, wie die tapfere Frankfurter Abwehrspielerin Saskia Bartusiak, am entscheidenden Gegentor gegen Japan beteiligt, aus lauter Frust in der Nacht zu Sonntag eine Wasserflasche über den Rasen von Wolfsburg trat, während Stürmerin Alexandra Popp bitterlich weinte. „Auch wenn dieses Ausscheiden unerklärlich bleibt”, konstatierte die Allrounderin Linda Bresonik, „geht das Leben weiter. Wir sind alle starke Persönlichkeiten”. Doch nicht nur Simone Laudehr schien verzweifelt: „Was soll ich jetzt bloß zuhause?” Eine Woche früher als vorgesehen steht für die deutschen Nationalspielerinnen die Heimreise an. „Jede hat sich verabschiedet mit Tränen in den Augen”, berichtete Silvia Neid am Sonntag bei ihrem letzten öffentlichen Auftritt aus einer Wolfsburger Turnhalle. „Jeder war sehr traurig und in sich gekehrt. Einige haben sich auf ihre Zimmer zurückgezogen, einige haben noch zusammengesessen und geredet.”

Immerhin ist die übernächtigt wirkende 47-Jährige so ehrlich gewesen, dass die lähmende Erwartungshaltung ein Gutteil zum Versagen beigetragen hatte. „Der Druck war schon groß.” Vielleicht sollten diese jungen Frauen, von denen viele noch einem geregelten Studium oder normalen Beruf nachgehen, auch einfach zu viel Last schultern.
Ansehnlich spielen und attraktiv aussehen, sich bestens vermarkten lassen und besser als je zuvor Fußball spielen, für Integration und Toleranz werben und sich nirgendwo eine Blöße geben. Fatmire Bajramaj, die attraktive „Lira”, stand beispielhaft für diesen erzwungenen Spagat zwischen Sport und Show, der sich für eine Fußballerin irgendwann nicht mehr bewältigen ließ.

Und doch haben sie etwas geschafft. Nämlich den Frauenfußball in neue Dimensionen gehievt. Ganz gleich, ob das Interesse durch die penetrante Dauerberieselung geschürt oder verordnet wirkte. Auch Kritiker müssen erkennen, dass dieses Event alle Erwartungen gesprengt hat. Niemand war gezwungen, Frauenfußball zu sehen.
Aber profitiert die Frauen-Bundesliga vom Boom? Dazu müssten sich die, die sich gestern Brasilien gegen die USA angesehen haben, bald auch für eine Begegnung SC Bad Neuenahr gegen USV Jena interessieren.

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