"Warum?" - Olympische Familie trauert um Kumaritaschwili
WHISTLER - Favorit Felix Loch und Co. rodeln – trotz des Tods des jungen Georgiers und vieler offener Fragen. Wie kam es zu dem Unglück, wie gefährlich ist rodeln? Und: Wie geschmacklos können manche Zuschauer sein?
Viele Fragen tun sich auf nach dem Tod des georgischen Rodlers Nodar Kumaritaschwili. Doch bei all den Unsicherheiten, die zu Tage treten – ein paar Gewissheiten gibt es. Michail Saakaschwili, der Staatspräsident Georgiens, hat eine davon formuliert, die wohl wichtigste: „Kein sportlicher Fehler darf zum Tod eines Athleten führen.“ Niemand wird ihm widersprechen wollen – und doch ist genau das passiert. Die AZ beantwortet die wichtigsten Fragen zur Tragödie.
Wie kam es zum Unglück?
Dass Kumaritaschwilis Sturz von einem Fahrfehler herrührt, darüber sind sich alle Experten einig. Der dreimalige Olympiasieger Georg Hackl analysierte: „Da kam alles zusammen, was nicht zusammen kommen darf: Er erwischte eine blöde Stelle, hebelt dann den Schlitten aus und schießt über die Bande hinaus im Stil eines Hochspringers.“ Für den deutschen Trainer der kanadischen Rodler, Wolfgang Staudinger, ist ausschließlich der Georgier selbst schuld: „Zu hundert Prozent. Er muss in der Kurve 16 einen riesengroßen Fahrfehler begangen haben. Mit der Bahn hatte der Unfall nichts zu tun. Kumaritaschwili war ein junger Fahrer, gerade mal 21 Jahre alt. Doch Georgiens Präsident Saakaschwili sagte: „Man kann ihn nicht unerfahren nennen. Nodar hat viele Wettkämpfe bestritten und Fortschritte gemacht. Für sein Alter war er schon sehr weit.“
Wie gefährlich ist Rodeln?
Georg Hackl sagt nach 30 Jahren Erfahrung in den Eiskanälen dieser Welt: „Es kann immer was passieren, ob bei 60 Stundenkilometern oder bei 140.“ Auf den unzureichend ausgebauten Natureisbahnen gab es bis 1960 allein 25 tödliche Unfälle. Aber auch in den Jahren danach starben Menschen, auch in Deutschland. 2004 starb Yvonne Cernota aus Oberbärenberg, als sie in der berüchtigten Echowand von Königsee die Kontrolle über ihren Zweierschlitten verlor, aus der Bahn geschleudert wurde und gegen eine Bahnüberdachung prallte. In Altenberg starb 1989 der Rumäne Daniel Oaida nach einem Sturz, zwei Monate später prallte Peter Förster mit dem Hals an die Oberkante seines Bobs und starb.
Was sagt der Bahn-Konstrukteur?
Der Leipziger Udo Gurgel hatte einen denkbar uneinsichtigen Auftritt im Fernsehen, fern jeglichen Schuldbewusstseins: „Von Vorwürfen kann man nicht reden, weil wir die Bahn in Absprache mit den beiden Verbänden sehr sorgfältig gebaut und geprüft haben. Ein Umdenken müsse es, so Gurgel, nicht geben.
Welche Schutzmaßnahmen wurden nun getroffen?
Um ein Herausschleudern an der Ausfahrt der Kurve 16 zu verhindern, wurde die Bande mit einer Holzwand bis zum Dach hoch verkleidet. Im Bereich Ausfahrt Kurve 16 wurde die Rundung an der Bande begradigt, die wie eine Rampe wirkte und das Herausschleudern ermöglichte. In Kurve 12 hatten die Bahnarbeiter nach mehreren Stürzen im Training Eis aufgebaut und eine Rundung geschaffen, die ein besseres Herausgleiten ermöglicht. Zudem fahren die Männer nun vom Frauen-Startpunkt los und sind damit rund zehn Stundenkilometer langsamer. Frauen und Doppelsitzer beginnen vom Junioren-Start. Damit verkürzen sich beide Rennstrecken erheblich.
Wie reagiert der deutsche Top-Favorit Felix Loch?
Der Berchtesgadener schaffte sich am Tag nach dem Unfall in den ersten beiden Durchgängen eine gute Ausgangsposition fürs Finale in der Nacht zum Montag (bei Redaktionsschluss nicht beendet). Zum Drama um den Georgier sagte der zweifache Weltmeister nur: „Mit Psychologie hatte ich noch nie ein Problem.“ Eher mit seinem Renngerät: „Der Schlitten war am Limit.“
Wie reagieren Fans und Zuschauer?
Mit Trauer, viele stellten im Zentrum von Whistler, an den Olympischen Ringen, Kerzen auf, legten Blumen nieder. Doch es setzte auch Katastrophen-Tourismus ein. Rund 50 Menschen ließen sich grinsend mit dem Rücken zur Kurve fotografieren. Olympia geschmacklos.
Thomas Becker
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