"Vom Talent her stelle ich Laura über Lena"
Ex-Biathlet Greis erklärt vor der WM, was ihn an Dahlmeier beeindruckt und was er Schempp zutraut: "Er kann aus dem Schatten angreifen".
Hochfilzen - Der 40-jährige Allgäuer holte bei den Olympischen Spielen 2006 drei Mal Gold, er ist außerdem dreimaliger Weltmeister. 2012 beendete er seine Karriere.
AZ: Herr Greis, die Biathlon-WM in Hochfilzen (9. bis 19. Februar) steht an, was sagen Sie, der Triple-Olympiasieger, der König der Spiele von Turin, kann diese Weltmeisterschaft ein deutsches Festschießen werden?
MICHAEL GREIS: Bei den Männern stehen wir etwa mit Simon Schempp ganz gut da und bei den Frauen mit der Laura Dahlmeier noch besser. Wobei man bei den Männern schon ganz klar sagen muss, der Weltmeister-Titel geht nur über einen Mann.
Martin Fourcade, der große Dominator.
Stimmt. Es ist schon bewundernswert, wie er Jahr für Jahr seine Leistung bringt. Und auch bei den Großereignissen nie wirklich am Druck scheitert. Das ist schon eine Qualität, eine mentale Stärke, die ihresgleichen sucht. Wobei man schon sagen muss, die Luft da oben ist dünn. Auch ein Fourcade kann sich keine Fehler erlauben, darf sich nicht zurücklehnen.
Bei ihm ist eher die Gefahr, dass er sich selber ein bisschen überschätzt, dass er glaubt, sich mit der Konkurrenz spielen zu können. Sollte er überheblich sein, ist er verletzlich. Aber man muss schon sagen, er ist ein ganz Großer. Ich hätte nicht gedacht, dass es in der Zeit des modernen Biathlons nochmal einen Athleten geben wird, der das ganze derart dominieren kann.
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Einer der Leidtragenden ist der Deutsche Simon Schempp.
Ja, er ist einer der besten Biathleten, den Deutschland jemals vorzuweisen hatte, aber seine Einzelerfolge spiegeln das noch nicht so wieder. Eben, weil es einen gibt, der noch besser ist. Das kann frustrierend sein, aber so ist der Sport. In jeder Generation gibt es eben einen oder zwei, die nochmal hervorstechen.
Sie sagten, Sie hätten damit eigentlich nicht mehr gerechnet.
Ja, weil heutzutage die Leistungsdichte so enorm ist. Kaum ein Bewerb ist vor dem letzten Schießen entschieden. Das ist geil für die Zuschauer, weil immer eine enorme Spannung ist, aber die Luft da oben ist wahnsinnig dünn. Das war früher ein bisschen anders.
Was trauen Sie Schempp jetzt zu?
Einiges. Ich denke, dass ihm die jetzige Situation entgegenkommt, dass er nicht als der einzige große Herausforderer von Fourcade gilt, sondern er ein bisschen aus dem Schatten heraus angreifen kann, dass der Druck nicht ganz so auf seinen Schultern lastet, wie es vielleicht in den letzten Großereignissen war. Es ist nicht leicht, mit so einer Drucksituation umzugehen.
Wie sieht’s bei den Frauen aus? Kaum einer hätte damit gerechnet, dass Dahlmeier so schnell in die Fußstapfen der zurückgetretenen Biathlon-Queen Magdalena Neuner treten könnte.
Die Laura ist ein echtes Phänomen. Sie hat unglaubliches Potenzial und Talent. Vom reinen Talent her würde ich sie sogar über die Lena stellen. Die aber musste nie vollkommen an die Leistungsgrenze gehen, weil ihre Konkurrenten sie nie an ihr absolutes Limit gepusht haben. Wenn sie eine Gegnerin gehabt hätte, die ihr immer vollkommen im Nacken gewesen wäre, hätte sie noch mehr aus sich herausholen können.
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Was beeindruckt Sie an Dahlmeier am meisten?
Ihr Wille. Sie geht mutig auf die Piste und an den Schießstand. Sie steht voll im Leben, sie klettert ja ganz extreme Touren. Wer jemals gesehen hat, was das für Berge sind, die sie bezwingt, der weiß, welche Stärke im Kopf sie haben muss, um das zu schaffen. Sie ruht vollkommen in sich selber, weiß aber eben auch, dass es ein Leben außerhalb des Biathlon gibt. Sie ist extrem bodenständig. Sie schafft sich ihren Ausgleich. Man kann sie da nur bewundern. Sie ist grandios und hat auch eine Härte gegen sich selbst. Das sieht man an vielen Dingen.
Zum Beispiel?
Schon allein, wenn sie jubelt. Andere Mädels winken dann mit dem abgeknickten Händchen huldvoll ins Publikum. Die Laura macht hingegen vollkommen emotional die Fußballer-Faust, schreit die Freude raus. Bei ihr wird auch keiner sehen, dass sie nach einem schlechten Rennen rumheult, wie schlecht alles ist. Sie sagt sich: Morgen mache ich es besser.
Nicht dabei ist das einstige Glamour-Girl Miriam Gössner, die Freundin von Felix Neureuther.
Ja, es ist schade, dass die Miri an ihre alten Leistungen nicht anknüpfen kann. Früher hat sie im Laufen zwanzig Sekunden herausgeholt, das ist nicht mehr so, Sie muss sich selber fragen, ob sie wirklich immer alles in jeder Lebenslage für den Sport getan hat.
Ihr große Schwäche ist das Schießen.
Ja, da wo die Laura hingeht und sagt, jetzt packe ich alle, wird die Miri da eher zitternd an den Schießstand gehen. Ich denke auch, dass sie aus der Situation nicht allein rauskommen wird.
Braucht Sie einen Mentaltrainer?
Das kann helfen, aber es gibt auch andere Sachen, die dir helfen können. Vielleicht sollte sie mal mit Felix zusammen trainieren, der ist ein Wettkampftyp. Aber das muss sie selber wissen.
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