Voller Mut in die Eiswand

Canyoning im Winter ist ein ganz besonderes Abenteuer: Seilrutschen, Hangeln, Klettern. Trittsicherheit und Sportlichkeit sind ein Muss in der kalten Klamm: „Achtet auf jeden Schritt!”
von  Beate Hitzler
Etwa drei Stunden dauert eine Wintercanyoning-Abenteuertour.
Etwa drei Stunden dauert eine Wintercanyoning-Abenteuertour. © AZ

Im Sommer im Neoprenanzug durch eine Klamm klettern hat seinen Reiz. Weit weniger bekannt ist die Variante Winter-Canyoning: Die führt durch eine verschneite Schlucht – allerdings ohne dabei selbst nass zu werden.

Den ganz großen Kick sparen wir uns heute: Einen 70 Meter langen Flying Fox, bei dem es per Seilrutsche über die schroffe Canyonwand, über Schnee und Wildwasser in die Tiefe geht. „Lawinenwarnstufe 4” sei Dank, ohne sie würde unsere fast dreistündige Canyontour jetzt mit dieser Mutprobe beginnen. Weil es die Tage zuvor viel Neuschnee gegeben hat, erobern wir den Canyon nicht vom Einstieg sondern von seinem Ende aus, statt eineinhalb Kilometern nur knapp einen. Auch recht, denke ich und stapfe mit Schneeschuhen, Helm und angelegtem Klettersteig-Set zum Ausgangspunkt hinter Roland Popp her, bevor uns der Kühlschrank in sein Inneres lässt. Der 52-jährige staatlich geprüfte Kanu-Lehrer und Raft-Führer, der seit 27 Jahren unter anderem Kajaken anbietet und mit seinem Unternehmen von Höhlen- über Lama- auch Canyoning-Touren durchführt, hat uns in eine eisige Schlucht unweit der Grenze zu Österreich im Bayerischen Inntal geführt. In der Nähe von Kiefersfelden liegt sie, ihren Namen will er nicht nennen. Aus gutem Grund, denn wer ohne Guide hinein will, müsste Popps Haken und Sicherungsseile nützen, sich bestens im Klettermetier auskennen und große Verantwortung zeigen. „Die Mehrheit allerdings ist weit davon entfernt”, seufzt der geschulte Schluchtenführer.

Jetzt ziehen wir die Schneeschuhe aus, Roland fixiert ein Seil über den Bach. Dann klicken auch schon die ersten Karabiner der Sicherungsseile unserer Ausrüstung ins Stahlseil. Schon sind wir mittendrin im sportlichen Winterabenteuer: Hangeln uns in wegloses Gelände hinüber, landen unter einem Gesteinsvorsprung, den Schmelzwasser-Massen über Jahrtausende ausgewaschen haben. Nur noch ein kleines Fenster ist weit oben der blaue Himmel.

Eiswasser tropft von majestätischen Wänden, zu unseren Füßen schlängelt sich wildes Wasser. „Schaut, dass ihr in den Standzeiten immer unter einem Felsen steht”, sagt Robert, „zum Schutz vor herabfallendem Schnee und Geröll. Achtet auf jeden Schritt, manchmal bedeckt Schnee Steine aber auch gefrorenes Wasser.” Ab jetzt geht es über Gestein und an Sicherungsseilen immer Bachaufwärts, mal ebenerdig, mal mehrere Meter hoch über ihm, um dann teils auf Schuhen, teils auf dem Hintern und mit festem Kunststoff geschützt, im Schnee rutschend wieder hinab. Wir seilen uns neben Wasserfällen ab, klettern an kniffligen Passagen wacklige Hängeleitern hinauf und überqueren immer wieder auf Burmabrücken das Wasser: Ein Stahlseil für die Füße, zwei Seile auf Schulterhöhe zum Sichern und Festhalten. „Winter-Canyoning”, erklärt Popp, „setzt nicht viel voraus, Trittsicherheit, ein bisschen Sportlichkeit und die nötige Portion Mut zum Abseilen.”

Kalt ist es niemandem geworden in dieser abgeschiedenen Winterwunderwelt. Und beim heißen Tee im Outdoor-Camp zum Abschluss des Abenteuers beschließe ich, doch noch einmal den Kühlschrank zu knacken – diesmal allerdings über den 70 Meter langen Kick.

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