Vitali Klitschkos schwerster Kampf

Vor zwei Monaten verstarb sein Vater, in seiner Heimat Ukraine toben Unruhen – doch am Samstag muss der Champion seinen WM-Titel verteidigen.
Matthias Kerber |
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Vor zwei Monaten verstarb sein Vater, in seiner Heimat Ukraine toben Unruhen – doch am Samstag muss der Champion seinen WM-Titel verteidigen

AZ: Herr Klitschko, bei Ihren Kämpfen in Deutschland werden Sie fast wie ein Volksheld gefeiert, am Samstag verteidigen Sie Ihren WM-Titel in Breslau gegen den polnischen Lokalmatador Tomasz Adamek, da dürften fast 40000 Fans gegen Sie sein...


VITALI KLITSCHKO: Damit habe ich kein Problem, ich fühle mich in der Höhle des Löwen wohl. Ich bin das erste Mal Weltmeister geworden, als ich in London den Briten Herbie Hide ausgeknockt habe. Auch bei meinen Kämpfen in Los Angeles gegen Lennox Lewis und Chris Arreola wurde ich ausgebuht, als ich die Arena betrat. Aber es ist nicht entscheidend, wer gefeiert wird, wenn man in die Halle kommt, sondern wer gefeiert wird, wenn man sie wieder verlässt. Gegen Lewis oder Arreola gab es am Ende Klitschko-Sprechchöre. Der Sport steht über den Grenzen der Nationalitäten, der Rassen, der Hautfarben. Der Sport versteht nur eine Sprache: Leistung. Wenn die stimmt, wird man überall gefeiert.


Die Vorbereitung auf diesen Kampf war die schwerste Ihrer Karriere, erst verstarb Ihr Vater im Alter von nur 64 Jahren an einer Krebserkrankung, dann unterbrachen Sie – der Chef der Oppositionspartei Udar – die Vorbereitung zwei Mal, weil Sie wegen der chaotischen politischen Umstände in der Ukraine in Ihre Heimat reisten.


Der Tod meines Vaters war für uns eine große Tragödie, keine Frage. Er fehlt mir sehr. Er war es, der meinen Bruder und mich immer dabei unterstützt hat, als wir uns entschieden haben, Boxer zu werden. Unsere Mutter war immer dagegen, aber der Vater stand immer bedingungslos zu uns. Er hat uns erzogen, er hat uns geprägt. Ohne ihn wären wir sicher nicht so, wie wir sind. Am Ende waren nur meine Mutter und ich darin eingeweiht, wie schlecht es wirklich um ihn stand, nur wir wussten, dass er todkrank ist. Da mein Bruder Wladimir sich gerade auf den Kampf seines Lebens gegen David Haye vorbereitete, haben wir auch ihn da etwas rausgelassen. So hat Wladimir noch den großen Wunsch unsers Vaters erfüllen können. Er wollte, dass Haye, der unsere Familie beleidigt hat, eine heftige Abreibung kriegt – und er wollte, dass alle WM-Gürtel im Besitz der Familie Klitschko sind.

Beides ist eingetreten.


Ja, das hat unseren Vater in seinen letzten Tagen noch mal glücklich gemacht. Ich bin mir sicher, dass er jetzt auch zuschaut und sich freut. Er wird immer bei uns sein und ich glaube auch, dass es nach dem Tod noch etwas gibt.


Wie gehen Ihre Kinder mit dem Verlust des Großvaters um?


Ich habe es ihnen lange nicht gesagt. Ich habe nicht die Kraft dazu gefunden. Es fällt mir schwer, darüber zu reden.

Sie machen sich auch große Sorgen um Ihre Heimat Ukraine...


Ja, die Entwicklung ist besorgniserregend. Wenn sich nicht schnell etwas ändert, dann steuern wir schnurstracks auf eine Diktatur zu. Ein Oppositionsführer nach dem anderen wird mit fadenscheinigen Gründen verhaftet.


Das haben Sie sich sicher anders vorgestellt, als die Ukraine 1991 die Unabhängigkeit ausrief, als 2004 die Orangene Revolution die Demokratie brachte.


Vor gut 20 Jahren haben wir die Unabhängigkeit der Ukraine von Russland gefeiert. Wir hatten alle große Träume. Leider sieht die Realität ganz anders aus. Die Korruption ist ein Monster, das die Demokratie zu erwürgen droht. Selbst in den Jahren der schlimmsten Wirtschaftskrise, die die Welt seit langem gesehen hat, hat sich die Zahl der Milliardäre in der Ukraine vervielfältigt. Der Kapitalismus in seiner unbarmherzigsten Form herrscht bei uns. Die Schere zwischen den wenigen Reichen und den vielen Armen ist gigantisch groß und wird täglich größer. Es ist schon so weit, dass das Wort Politiker bei uns in der Ukraine ein Schimpfwort ist. Ich sage es mal so: Wenn Regierung und Opposition nicht bald einen Konsens finden und miteinander reden, kann ich mir vorstellen, dass sich das Volk erhebt und alle korrupten Politiker, die nie den Menschen gedient haben, aus dem Amt treibt.

Das klingt so, als fürchten Sie eine Revolution.


Das kann ich leider nicht ausschließen. Die Menschen in der Ukraine sind so desillusioniert, sie fühlen sich von den althergebrachten Politikern, die immer an der Macht sind, egal, welche Partei herrscht, verraten. Ihre Träume wurden verraten.

Auch Sie sind mit Ihrer Partei Udar ein Oppositionsführer. Fürchten Sie, dass man auch Sie verhaften könnte?


Es gibt keinen Grund, warum man mich verhaften könnte. Aber manchmal brauchen gewisse Leute auch keine Gründe. Aber nein, ich habe keine Angst. Wer immer in Angst lebt, ist für sich selbst schon unfrei, selbst, wenn er in Freiheit lebt. Ich sage es so: Himmel und Hölle sind am gleichen Ort – in unserem Kopf. Es liegt an uns, an unserem Willen, ob wir das Leben positiv führen oder ob wir geführt werden. Auch das hat uns unser Vater beigebracht.

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