Vitali: "Ich werde mit ihm spielen"
Am Samstag verteidigt Vitali Klitschko seinen WM-Titel. Hier spricht er über Gegner Charr, Politik - und warum er nicht auf seine Mutter hört.
AZ: Herr Klitschko, wir sagen Servus. In Bayern kann dieses Hallo aber auch ein Abschiedsgruß sein. Ist Ihr Kampf am Samstag gegen Manuel Charr Ihr Letzter? Müssen wir Servus sagen?
VITALI KLITSCHKO: Das weiß ich selber noch nicht. Ich mache mir natürlich Gedanken. Ich bin jetzt 41, ich verfolge zudem eine politische Karriere. Und wenn ich auf meine Frau und meine Mutter hören würde, dann hätte ich schon längst mein Karriere beenden müssen. Ich hätte sie im Fall meiner Mutter gar nicht beginnen dürfen. Sie mag Boxen gar nicht. Sie mag es gar nicht, dass ich boxe.
Dabei war sie jetzt in Ihrem Trainingslager zu Besuch.
Das stimmt, aber selbst da hat sie es nicht übers Herz gebracht, mir beim Training zuzuschauen. Nur als ich schwimmen war, hat sie vorbeigeschaut, wenn ich die Fäuste sprechen lasse, will sie nicht dabei sein. Aber es war schön, sie da zu haben, denn nach dem Tod unseres Vaters vor gut einem Jahr kümmern mein Bruder Wladimir und ich uns noch verstärkt um unsere Mama.
Selbst wenn Sie sich nicht auf die Politik-Karriere konzentrieren sollten, Ihnen gehen im Boxring die Gegner aus. Manuel Charr ist jetzt nicht gerade die 2012-Version eines Muhammad Ali...
Er hat sicher seine technischen Mängel. Aber er hat etwas, was man nicht lernen oder kaufen kann - ein Kämpferherz. Er ist ungeschlagen und glaubt, dass die Box-Welt auf ihn gewartet hat. Er ist extrem selbstverliebt. Das sieht man in jeder Geste, jedem Wort, in seiner gesamten Körpersprache. Er war in seiner Karriere nie am Boden, er hat große Nehmerfähigkeiten. Und er ist physisch sehr stark. Vielleicht sogar stärker als ich.
Wie bitte? Charr ist stärker als Sie?
Ich rede von der reinen Physis. Aber egal, wie stark er ist, er wird mich nicht schlagen. Die Größe deines Bizeps entscheidet keinen Boxkampf. Dann wäre der Muskelberg Shannon Briggs unbesiegt, ich habe ihn aber auseinandergenommen. Auch Charr wird das erleben. Ich werde mit ihm spielen, ich werde auf seine Fehler – und die macht er – warten und dann werde ich ihn für diese Fehler bestrafen.
Wir sprachen über Ihre politische Karriere. Am 28. Oktober stehen in der Ukraine die Parlamentswahlen an. Ihre Partei Udar ist in Umfragen die drittstärkste Kraft, kommt auf etwa 15 Prozent. Als Parteivorsitzender würden Sie automatisch ins Parlament einziehen. Bisher sagten Sie, dass es dann den Boxer Klitschko nicht mehr geben kann, also: Karriereende ja oder nein?
Ich freue mich, dass die deutsche Sprache ein Wort hat, dass es im ukrainischen nicht gibt: Das Wort Jein. Ich sage jetzt nicht, dass es vollkommen ausgeschlossen ist, dass ich noch einen weiteren Kampf machen werde. Ich sage aber nicht, dass es so ist.
Warum findet der Kampf ausgerechnet in Moskau statt?
Warum nicht? Meine Mutter ist Russin. Wir Klitschkos haben uns in Russland nie fremd oder unerwünscht gefühlt. Wladimir und ich haben dort eine große Fangemeinde. Die Probleme, die es zwischen Russland und der Ukraine gibt, sind ja eher auf der politischen Ebene.
Sie sind aber eben auch Politiker, Sie machen ja keinen Hehl daraus, dass Sie die Zukunft der Ukraine in Europa, in der EU sehen.
Ja, für mich gehört die Ukraine zu Europa. Und das sieht auch die Mehrzahl der Ukrainer so.
Russlands Präsident Wladimir Putin ist ja großer Kampfsport-Fan, wird er Ihrem Kampf am Ring sitzen?
Ich weiß es nicht. Wir haben keinen Kontakt, aber ich kann es nicht ausschließen.
Würden Sie Ihm die Hand geben? Schließlich dürfte sein Verständnis von Demokratie nicht gerade dem Ihren entsprechen?
Ich bin ein höflicher Mensch, meine Mutter hat mich so erzogen. Aber es ist richtig, dass das heutige Russland von einer Demokratie weit entfernt ist.
Die jetzige Regierung der Ukraine ist aber eher Russland zugewandt.
Deswegen sollte man das ändern. Wir sind eine Partei, die die alten Zöpfe abschneiden will und wird. Die Regierung manipuliert die Gesetze, wie sie will. Es gibt keine Sicherheit, das Land bewegt sich auf eine Diktatur zu. Dagegen kämpfen meine Parteifreunde und ich. Wir wollen, dass die demokratische Opposition gewinnt und das Land nach Europa führt. Dafür sind wir bereit, mit anderen Oppositionsparteien zu koalieren.
Auch mit der Partei der inhaftieren Julia Timoschenko?
Ja. Ich habe mehrfach versucht, sie im Gefängnis zu besuchen, aber alle meine Gesuche wurden abgeschmettert. Das Urteil war ein Beispiel dafür, wie in der Ukraine zurzeit Politik gemacht wird.
Sie haben auch einen anderen Prozess verfolgt: Den gegen die Band Pussy Riot, eine Musikband, die wegen der Kritik an Putin zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt wurde.
Ja, mich hat die Härte des Urteils überrascht und entsetzt.