Vierschanzentournee: Dieter Thoma über Richard Freitag und Andreas Wellinger
München - Jahreswechsel, Hochspannung zwischen Bayern und Salzburger Land, Dramatik zwischen Allgäu und Tirol. Ja, es ist Vierschanzentournee. Und mit Richard Freitag, der die Qualifikation von Oberstdorf gewann, und Andreas Wellinger hat Deutschland endlich wieder zwei Siegspringer.
Der ehemalige Skispringer Dieter Thoma gewann 1990 selbst die Vierschanzentournee, für sich und die DSV-Adler. Dazu holte er bei Olympia 1994 Gold und Bronze. Bei den Spielen 1998 gewann er Silber. Heute arbeitet der 48-Jährige unter anderem als TV-Experte. Im Interview mit der AZ erklärt er, warum Freitag bei dieser Tournee Sven Hannawald folgen kann - endlich.
AZ: Herr Thoma, wird es in diesem Jahr eine deutsche Tournee? Was ist den deutschen Springern zuzutrauen?
DIETER THOMA: Ich traue unseren Athleten wirklich alles Positive zu.
"Konstanz von Freitag ist neu"
Reiben Sie sich dennoch die Augen bei den Leistungen, die Andreas Wellinger und Richard Freitag aktuell zeigen?
Andi Wellinger hat schon im vergangenen Winter, in der zweiten Phase des Weltcups gezeigt, dass er sehr viele gute Wettkämpfe auf höchstem Niveau – inklusive Treppchenabschluss – in Serie absolvieren kann. Neu ist diese Konstanz von Richard Freitag. Er war immer ein großes Talent, konnte einzelne Wettkämpfe gewinnen, war aber wechselhaft und bis auf den Mixed Teamweltmeistertitel leider nie bei den ganz großen Errungenschaften dabei.
Das könnte sich mit der neuen Selbstsicherheit und dem gewonnenen Vertrauen ändern. Gute Qualität setzt sich immer irgendwann durch. Es könnte ein ganz großes Jahr für Richard werden.
Sehen wir in Freitag und Wellinger schon die Neuauflage von Schmidt/Hannawald oder Weißflog/Thoma?
Ich mag solche Vergleiche eigentlich nicht, denn es ist jetzt die Zeit von Richard Freitag, Andreas Wellinger und vielleicht auch Markus Eisenbichler und Karl Geiger so wie Stefan Leyhe. Ihnen gehört meine gesamte Aufmerksamkeit.
Wo Sie es ansprechen, was ist von den anderen deutschen Springern zu erwarten?
Eisenbichler hat alles, was er braucht. Er ist jederzeit in der Lage Spitzenweiten zu springen. Sein stärkster Gegner, der ihm in den Weg kommen kann, ist er selbst. Ich wünsche ihm, dass er im Wettkampf dennoch locker und aufgabenorientiert seine Kraft und Technik umsetzen kann. Bei Karl Geiger und Stephan Leyhe sehe ich mehr als die Ergebnisse derzeit belegen.
Steht Freitag am 6. Januar ganz oben?
Trotz der starken Leistungen im deutschen Team – wie sehr fehlt ein Severin Freund mit seiner Erfahrung?
Das müssen sie die Sportler fragen. Ich denke, dass Severin sehr viel vorab geleistet hat und die jetzige Generation von ihm sicher viel gelernt hat. Dennoch ist es eine Einzelsportart mit Teamgedanke und jeder muss irgendwann seinen eigenen Weg einschlagen, selbst Erfahrungen sammeln und umsetzen. Wer selbstständig denkt und handelt, hat sein Leben und den Sport unabhängig besser im Griff.
Seit Sven Hannawald 2003 gab es keinen Gesamtsieg mehr für Deutschland. Wie wichtig wäre ein Erfolg für die Skisprungbegeisterung in Deutschland?
Stellen Sie mir die Frage bitte nochmal am 6. Januar, etwa gegen 19 Uhr!
Sie selbst haben ja 1990 nach 30 Jahren den ersten Gesamtsieg für Deutschland ersprungen. Können Sie nachempfinden, welcher Druck nun auf den deutschen Springern lastet?
Ich empfand das damals gar nicht so als riesengroßen Druck. Ich wollte ja gewinnen. Egal, was andere sagen – oder denken. Ich wollte meine Chance im Wettkampf sehen, war im Tunnel und manchmal auch ungenießbar für mein Umfeld. Ich habe alles der wichtigsten Situation untergeordnet, und das war das Verhältnis zwischen der Schanze und mir. Es kommt immer auf den inneren Blickwinkel an und wie man Druck von außen und innen selbst definiert.
Thoma warnt vor Kubacki
Wie sehr unterscheidet sich denn die Tour von einem normalen Weltcup-Springen?
Die Springer wissen, dass es die traditions- und prestigereichste Veranstaltung um die Jahreswende weltweit ist. Dabei ist es eben so schwer in neun Tagen an vier Orten und bei acht Qualifikations- und Wettkampftagen organisatorisch, körperlich und geistig bei jedem Wetter topfit zu bleiben.
Könnte die mentale Belastung ein Problem – gerade für die deutschen Springer – werden?
Es ist keine Frage der Nationalität, sondern bei jedem Sportler unterschiedlich ausgeprägt. Genau das fasziniert mich an Athleten in jeder Sportart, denn es gibt unter großer Anspannung immer auch überraschende Erkenntnisse der Gewinner und Verlierer.
Welche Favoriten sehen Sie sonst noch? Stephan Kraft, Kamil Stoch, Daniel-André Tande?
Ja, richtig! Außerordentliche Fähigkeiten sehe ich dazu auch bei Johann Andre Forfang und Sommerkönig David Kubacki. Allerdings weiß es der eine noch nicht so richtig – und der andere traut sich den Winter noch nicht zu.
Vierschanzentournee: Thoma hat einen Tipp
Vergangenes Jahr mischte Familie Prevc die Skisprung-Welt auf, warum sind sie bislang – wie viele Konkurrenten – eher schwach?
Dafür braucht es meist nur kleine Situationen, Erfahrungen zwischen Mensch, Material und Geist um das Selbstverständnis und das Vertrauen zu verlieren. Manchmal geht es wieder schnell und manchmal braucht es sehr lange um sich mühsam zurück zu kämpfen.
Welchen Stellenwert hat eine Tournee in einem Olympia-Jahr? Den gleichen wie sonst auch oder kann es sein, dass manche Springer den Fokus auf die zweite Saisonhälfte legen?
Die Tournee ist immer ein unglaubliches Highlight. Für mich persönlich ist sie rein sportlich auch höher zu bewerten. Aber das sind einfach ganz individuelle Bewertungen. Ich kenne keinen Athleten, der nicht auch bei der Tournee Vollgas gibt, um dort zu gewinnen Man kann sich nichts aufheben, am Ende kommt es sowieso ganz anders als man denkt. Nutze deine Chancen, solange sie da sind. Das ist mein genereller Tipp.