Vettel, der genügsame Champ
Shanghai - Nummer 1, endlich mal wieder: Im Promi-Rennen auf den Straßen Shanghais gegen VIPs der chinesischen Mega-Metropole war Sebastian Vettel der Sieger. In der Formel 1 ist der Serienweltmeister aber notgedrungen genügsam geworden in den letzten Wochen. „Ich habe kein Problem damit, Sechster oder Achter oder Zehnter zu werden“, sagte Vettel vor dem Rennen am Sonntag (9 Uhr, RTL und Sky live).
Frust? Druck? Verzweiflung? Fehlanzeige. Zumindest lässt Vettel sie sich nicht anmerken. Der Seriensieger der Vorjahre gibt sich angesichts der Dominanz von Mercedes als lächelnder Realist, der auch mit Niederlagen umzugehen weiß. „Top Fünf, das wäre ein gutes Ergebnis für uns“, meinte Vettel.
Als WM-Sechster ist der Titelverteidiger nach China gereist. In seinem sechsten Jahr bei Red Bull steht Vettel damit schlechter da als je zuvor zu diesem Zeitpunkt. Spätestens im vierten Grand Prix hat der Hesse in jeder Saison beim Weltmeister-Team sein erstes Rennen gewonnen. Für Sonntag aber rechnet der 26-Jährige nicht mit einer Siegerparty. „Es wäre eine Riesenüberraschung, wenn wir die Lücke schließen können“, sagte Vettel.
Bei den Trainings am Freitag war Vettel ganz ordentlich unterwegs – und wurde Fünfter, einen Platz hinter seinem Teamkollegen David Ricciardo. Doch ganz vorne war – wie immer dieses Jahr – ein Mercedes. Diesmal jener von Lewis Hamilton. Nico Rosberg, derzeit der Führende in der WM-Wertung, wurde Dritter. Als Fleisch-Patty in den Silberpfeil-Sandwich fuhr Ferrari-Star Fernando Alonso. Doch Rosberg sagte: „Noch nehmen wir das nicht sehr ernst. Mein Konkurrent hier ist wieder mein Teamkollege“.
Sieht Vettel genauso. „Man sieht, dass uns bei den Speedwerten ein bisschen was fehlt – ein bisschen viel“, umschrieb er seine Hauptsorge mit gewohnter Ironie. Bis zu 80 PS fehlen seinem Renault-Motor wohl zum überlegenen Mercedes-Triebwerk. „Wir würden uns wünschen, dass wir grenzenlos PS dazupacken könnten, aber es gibt keine Leistung extra“, erklärte Vettel.
Die neuen Sechszylinder-Turbos dürfen durch das Regelwerk während der Saison nur bei Benzinverbrauch und Standfestigkeit verbessert werden. „Der Grundfehler war, dass Renault viel zu spät angefangen hat“, sagte Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko in einem Interview der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Zwar sei es der Rennstall gewohnt, mit weniger PS die Rivalen in Schach zu halten, doch derzeit sei der Nachteil gegenüber Mercedes zu groß. „Sie haben mehr Leistung, eine bessere Fahrbarkeit und weniger Verbrauch“, stellte Marko fest. Und so fremdelt Vettel noch immer mit seinem neuen Dienstwagen, den er „Suzie“ getauft hat. „In den vergangenen Jahren wussten wir, an welchen Stellschrauben wir drehen mussten, um das entsprechende Ergebnis zu bekommen. Jetzt sind ein paar dieser Schräubchen weggefallen und viele neue dazugekommen“, sagte der amtierende Champion.
Er fühle sich noch nicht wohl im Auto, habe seinen Rhythmus noch nicht gefunden. Also übt sich Vettel in Bescheidenheit und Genügsamkeit. Doch selbst wer ihn und seinen Ehrgeiz gut kennt, kann sich wohl nicht mal ansatzweise vorstellen, wie schwer das dem viermaligen Weltmeister fallen muss. Letzte Saison noch pulverisierte Vettel jeden Rekord, den er letztes Jahr knacken konnte. Heuer könnte er Michael Schumachers Serie von fünf Titeln hintereinander knacken. Doch glaubt angesichts der Dominanz der Silberpfeile da wirklich jemand dran? Vettel vielleicht? „Wir müssen maximal punkten, bis wir sie eingeholt haben. Und das ist hoffentlich bald der Fall“, sagt er.