„Vergiss die Tüte nicht!“

Mit 370 Stundenkilometern durch die Luft, das siebenfache Körpergewicht als Fliehkräfte ertragend: Ein AZ-Reporter hat den Selbstversuch beim Red Bull Airrace gemacht – und überlebt.
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Mit 370 Stundenkilometern durch die Luft.
AP 2 Mit 370 Stundenkilometern durch die Luft.
Tollkühne Piloten: AZ-Reporter Gordon Repinksi (re., hinter ihm Airrace-Pilot Hannes Arch) wagte den Selbstversuch.
Red Bull 2 Tollkühne Piloten: AZ-Reporter Gordon Repinksi (re., hinter ihm Airrace-Pilot Hannes Arch) wagte den Selbstversuch.

Mit 370 Stundenkilometern durch die Luft, das siebenfache Körpergewicht als Fliehkräfte ertragend: Ein AZ-Reporter hat den Selbstversuch beim Red Bull Airrace gemacht – und überlebt.

Mit 370 km/h rast das Sportflugzeug durch den Parcours. An meterhohen Pylonen vorbei, Slalom, Schraube, Überschlag. Das zwölffache Eigengewicht zerrt am Körper. Nervenkitzel pur, vor hunderttausenden von Zuschauern in Rio, Abu Dhabi oder am Sonntag beim Saisonfinale in Perth. So erlebt es der Österreicher Hannes Arch beim „Red Bull Air Race", der internationalen Rennflugserie. Ein Punkt fehlt ihm im letzten Rennen in Australien zum Titel, dabei ist es erst seine zweite Saison.

Für mich ist es heute die Premiere. Siebenfaches Körpergewicht muss ich als Fliehkräfte aushalten. Später wird es mir den Magen umdrehen, das verspricht Hannes: „Vergiss nicht, die Tüte mitzunehmen“, sagt er. „Falls du dich übergeben musst.“

Hannes ist Profi und liebt die Extreme. Er ist Bergsteiger, war Paraglider und ist schon die Eiger-Nordwand mit dem Fallschirm runtergesprungen. Zum Entspannen geht er Surfen auf Hawaii. Ich bin Journalisten und habe früher mal Tennis gespielt.

Flugplatz Stockerau in Niederösterreich. Ich sehe zum ersten Mal den Flieger. Er ist winzig, nur 700 Kilo schwer, ein Doppelsitzer. Ich kann hinter Hannes Platz nehmen. Dachte ich. „Du setzt dich dann vorne rein“, sagt er. Es gibt es kein Zurück mehr. Ich trage einen Rettungsfallschirm auf dem Rücken. Hannes zeigt mir einen Metallring vor meiner Brust. Daran muss ich ziehen, falls ich den Fallschirm auslösen will. Vorher soll ich mich bitte abschnallen. „Das Glasdach öffne ich dann“, sagt Hannes. Na prima.

Meine Nerven liegen am Boden, als ich ins Cockpit klettere. Die Füße quetsche ich an Metallstangen vorbei auf zwei Steuerpedale. „Nicht zu stark drauftreten“, sagt Hannes. Wohin dann? Mir wird klar: Ich bin mit meinen 1,92 Meter nicht für dieses Ding gemacht.

Hannes hat die Maschine gestartet, sie beschleunigt über den Asphalt. Mein Blutdruck steigt. Mein Puls rast. Mein Atem steht. Büsche, Bäume, Wiesen rasen an mir vorbei. Ich spüre jede Bodenwelle. Direkt vor der Maschine überquert ein Reh die Startbahn. Fast wären wir kollidiert. Es klappert, es weht, es flattert. Ich habe Schiss.

Hannes hält mit mir über Mikrofon Kontakt. „Wie geht's“, fragt er. „Okay!“ „Dann machen wir jetzt eine Rolle, Muskeln anspannen!" Ich gehorche. Er reißt das Flugzeug nach links. Wir drehen uns um die Längsachse. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin, aber mein Kreislauf ist stabil. Aufatmen. Mein Visier hat sich bei der Rolle halb geschlossen. Ich frage mich, ob mein Gesicht ähnlich entrückt aussieht. „Alles klar?“, schreit Hannes. "Ja!" Ich will wissen, was noch kommt.

Hannes will mich fertig machen. Ich spüre es. Er setzt zur Rückwärtsrolle an. Die Nase des Flugzeuges schießt nach oben, ich schaue für Sekundenbruchteile in die Wolken, werde in meinen Sitz gepresst, klammere mich an das Gestänge. Meine Muskeln verkrampfen sich, ich zentrifugiere durchs Universum. Ich weiß nichts mehr, ich will nichts mehr, ich kann nichts mehr. Ich spüre nur noch Fliehkräfte. Von oben fährt wieder eine Landschaft vor meine Augen. Ich sehe Bäume, die aus grünem Himmel nach unten auf Wolkenboden wachsen. Mein Gehirn hat zu viel zu tun, um sich zu wundern. Sekunden später dreht Hannes das Flugzeug weiter und ich sehe nur noch Boden. Ich rase auf Baumgipfel zu. Gleich werde ich aufschlagen, zerschellen, zerschmettern. Wir drehen uns weiter, ich werde nach vorn gedrückt, dann nach hinten. Ich bin jetzt irgendwo, und gleich irgendwo anders. Bin ich knapp über der Erde oder weit oben? Ich weiß es nicht. Ich bin willenlos. Mein Körper flattert unkoordiniert. Nur die Gurte pressen mich in meine Position.

„Jetzt überfliegen wir die Landebahn kopfüber“, schreit Hannes. Er dreht das Flugzeug ruckartig um 180 Grad. Wir nähern uns verkehrt herum der Landebahn. Nur wenige Meter trennen uns vom Boden, als wir in dieser Position am Flugplatz vorbei schießen.

Am anderen Ende zieht Hannes die Maschine wieder höher, dreht uns wieder in die normale Position. Eine letzte Schleife. Dann landen wir sicher. Boden unter den Füßen. Und mir ist noch nicht mal besonders schlecht.

Gordon Repinski

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