TSV 1860: Thomas Miller - Fußballgott und Unesco-Sechzger

Beim Einlaufen gefeiert, für seine Grätschen verehrt: Thomas Miller stieg auf Giesings Höhen zum Fußballgott auf. Nach der Karriere wurde es still um ihn. Dabei könnten ihn die Löwen gut gebrauchen.
von  Florian Kinast
... Ein Jahr später gelang der direkte Durchmarsch in die Bundesliga. Mit einem 3:1-Sieg vor 28.000 Zuschauern gegen den Chemnitzer FC schaffen Publikumsliebling Thomas Miller (hier mittig im Bild) und seine Mitspieler die Basis für den erneuten Aufstieg, der am letzten Spieltag durch das 1:0 in Meppen besiegelt wird.
... Ein Jahr später gelang der direkte Durchmarsch in die Bundesliga. Mit einem 3:1-Sieg vor 28.000 Zuschauern gegen den Chemnitzer FC schaffen Publikumsliebling Thomas Miller (hier mittig im Bild) und seine Mitspieler die Basis für den erneuten Aufstieg, der am letzten Spieltag durch das 1:0 in Meppen besiegelt wird. © imago

München - Auf das Ritual freute man sich irgendwie schon den ganzen Samstag. Dann, kurz vor halb 4, wenn man weit aus dem Norden aus Haidhausen hergeradelt war und aus der obersten Reihe der Westkurve - mit den bald traurigerweise abgerissenen Türmen vom Sendlinger Heizkraftwerk im Buckel - runterschaute auf den gläserenen Spielertunnel, der damals schon recht haudig beieinander war und so richtig einsehbar auch nicht wirklich, dann also stand man immer da, erahnte die Mannschaften, wie sie sich langsam aufreihten für den Gang aufs Spielfeld.

Und dann, endlich, schoss er heraus, im Sprint, als hätte ihn jemand aus einem Käfig rauslassen. Wild stürmte Thomas Miller dann immer entlang der Mittellinie dem Anstoßpunkt entgegen, im Mittelkreis angekommen, sprang er in die Höhe, setzte zu einem Kopfball ohne Ball an, dann trabte er zurück zur Mannschaft. Das Publikum dankte es mit frenetischen Ovationen. Und der Nachmittag war, wurscht, wie das Spiel ausging, gerettet. Der Löwe ist eben immer sehr leicht zu beglücken.

Dass damals gar keiner auf die Idee kam, Thomas Millers Intro zum immateriellen Weltkulturerbe der Unesco erklären zu lassen, verwundert noch heute.

... Ein Jahr später gelang der direkte Durchmarsch in die Bundesliga. Mit einem 3:1-Sieg vor 28.000 Zuschauern gegen den Chemnitzer FC schaffen Publikumsliebling Thomas Miller (hier mittig im Bild) und seine Mitspieler die Basis für den erneuten Aufstieg, der am letzten Spieltag durch das 1:0 in Meppen besiegelt wird.
... Ein Jahr später gelang der direkte Durchmarsch in die Bundesliga. Mit einem 3:1-Sieg vor 28.000 Zuschauern gegen den Chemnitzer FC schaffen Publikumsliebling Thomas Miller (hier mittig im Bild) und seine Mitspieler die Basis für den erneuten Aufstieg, der am letzten Spieltag durch das 1:0 in Meppen besiegelt wird. © imago

Thomas Miller: Giesings Fußballgott

Thomas Miller war einer der wenigen, denen auf Giesings Höhen bis heute der Ruf nacheilt, ein Fußballgott gewesen zu sein, seines Zeichens gibt es derer nicht viele. Thomas Miller, kernig, knorrig, kantig. So einen bei Sechzig musste man einfach mögen.

Miller spielte lange erst in Fürstenfeldbruck, bei der SpVgg, seinem Heimatverein, ging dann nach Haching, kickte vier Jahre in Augsburg. Ab 1989 war er ein Löwe, endlich bei seinem Traumverein, den er als siebenjähriger Bursch erstmals live im Stadion sah. Im März 1970, als sich eine große Ära anschickte, zu Ende zu gehen, und der TSV 1860 als Gründungsmitglied der Bundesliga dem Abstieg entgegentaumelte.

An jenem Samstagnachmittag bäumten sie sich aber noch einmal auf, im Derby gegen die Bayern, gewannen vor 44.000 Zuschauern 2:1. Zwei frühe Tore durch Wilfried Kohlars und Klaus Fischer, der Anschluss kurz nach der Pause, Rainer Ohlhauser. Das imponierte dem kleinen Thomas, das prägte ihn.

Gut 19 Jahre später also war er selbst ein Löwe, spielte aber erst einmal nicht gegen die Bayern, dafür in der Bayernliga gegen Plattling, Helmbrechts, Starnberg, war dabei im Mai 1990 bei jenem unvergessenen 3:3 gegen Schweinfurt im strömenden Regen, als erst der Himmel über Giesing weinte und dann der Löwe, weil man damit ein weiteres Jahr in der Bayernliga bleiben musste.

Miller: Mit Trares auf Knochenjagd in der 1. Liga

Nie hätte Miller damals damit gerechnet, vier Jahre später den Aufstieg in die Bundesliga zu feiern. Seinen Erstliga-Vertrag, so erzählte es er in einem Interview zu seinem 55. Geburtstag, holte er nach einem Anruf vom Wildmoser in dessen Wirtschaft in Hinterbrühl ab, hinterlegt war das Arbeitspapier für ihn in einem Umschlag. Er habe reingeschaut und gesagt, das passt, so Miller.

Miller ging natürlich auch in der obersten Spielklasse dahin, wo es weh tat, vor allem wo es den Gegenspielern weh tat. In der Bundesliga ging er mit dem grimmigen Bernhard Trares, ebenfalls keinem überzeugten Protagonisten filigraner Spielkultur, auf Knochenjagd. Bis 1997 grätschte er durch die Stadien der Bundesliga, dann machte er Schluss, der Rücken, bis hin zu Lähmungserscheinungen, der Körper hatte genug.

Einen wie Miller hätten sie bei Sechzig später in irgendeiner leitenden Position noch gut gebrauchen können, als Identifikationsfigur, als Personifikation des Löwen. Miller aber wollte nicht, ab und an schaute er noch in Giesing im Stadion vorbei, oder im Löwenstüberl bei der Christl. Ansonsten zog er sich zurück ins Finanzamt Weilheim und bearbeitete weiter Einkommenssteuererklärungen.

Thomas Miller, Christl Estermann, Werner Lorant (von links).
Thomas Miller, Christl Estermann, Werner Lorant (von links). © Ulrich Wagner

Zu seinem 50. Geburtstag vor sechs Jahren rief die Abendzeitung mal bei seinem Vater Albert an, er erzählte viele Anekdoten und meinte: "Am liebsten würde ich ihm einen Aufstieg der Sechzger in die Bundesliga wünschen." Es waren Zeiten, in denen der Löwe noch in der Zweiten Liga kickte. Das ist gefühlt schon lange her.

Thomas Miller ist heute 56 und er wird es wohl auch zum Sechzigsten nicht erleben, dass sein alter Verein wieder ganz oben kickt. Aber wer mal nicht über den aktuellen Zustand des Löwen sinnieren mag, einfach an Thomas Miller denken. Tut der blauen Seele immer gut.

AZ-Serie zu den Kultlöwen

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