Interview

TSV-1860-Kult-Stadionsprecher Stefan Schneider über Allianz Arena: "Dieser Anzug war einfach zu groß"

AZ-Serie zum 20-jährigen Jubiläum der Münchner Allianz Arena. Dieses Mal: Stefan Schneider, die Stimme der Löwen, über die Zeit des TSV 1860 in Fröttmaning. "Ich habe mit der Arena nie so gefremdelt wie viele."
Matthias Kerber
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„Wenn unsere Fans von Anfang an mit dem Stadion Erfolgserlebnisse verbunden hätten, wäre es anders gelaufen“, sagt Sechzigs Stadionsprecher-Legende Stefan Schneider.
„Wenn unsere Fans von Anfang an mit dem Stadion Erfolgserlebnisse verbunden hätten, wäre es anders gelaufen“, sagt Sechzigs Stadionsprecher-Legende Stefan Schneider.

AZ: Herr Schneider, 20 Jahre Allianz Arena, einige davon haben Sie als Stadionsprecher des TSV 1860 begleitet, was sind heute Ihre Gedanken, wenn Sie an dem Stadion vorbeifahren?
STEFAN SCHNEIDER: Ich bin ja jetzt wieder öfter bei den Löwen im Grünwalder, das gefällt mir schon aus nostalgischen Gründen. Ich weiß noch sehr genau, wie ich als Bua mit dem Opa mit der Tram 25 den Giesinger Berg hochgefahren bin zu den Spielen. Aber im Gegensatz zu vielen Sechzig-Fans habe ich mit der Arena nie so gefremdelt. Ich hatte tolle Momente im Grünwalder, aber auch im Olympiastadion und der Allianz Arena. Ich bin Löwen-Fan, nicht Stadion-Fan. Wenn Sechzig im Circus Krone spielen sollte, bin ich halt im Circus Krone dabei. Da ich ein grundoptimistischer Mensch bin, denke ich, wenn ich an der Arena vorbeifahre, an die schönen Erlebnisse – nicht die anderen, die es ja auch gab. Und dann fällt mir immer ein, dass ich eine Sitzschale der Arena bei mir daheim im Büro habe. Die habe ich mal aufgefangen und ist ein geiles Erinnerungsstück – mit lauter Aufklebern drauf. Sehr authentisch, sehr 1860.

Aufgefangen? Dann kann das ja nur vom Löwen-Tiefpunkt stammen, als Sechzig 2017 in der Relegation gegen Regensburg aus der Zweiten Liga abgestiegen ist und die Fans Ihrer Wut freien Lauf ließen und etwa Sitzschalen aufs Feld warfen.
Genau. Auch das ist eine Arena-Erinnerung. Das war wirklich bitter, tat auch sehr weh. Und – typisch 1860 – war es nicht nur ein Abstieg, sondern gleich ein Doppelabstieg, weil Investor Hasan Ismaik den Stecker gezogen hat, wir keine Drittliga-Lizenz bekamen und Sechzig gefühlt auf dem Dorf wieder anfangen musste.

Stadionsprecher Stefan Schneider
Stadionsprecher Stefan Schneider © imago/Lackovic

1860-Abstieg in der Allianz Arena: "Aber es war ein Tiefpunkt, keine Frage – auf vielen Ebenen"

Wie ist es, wenn man das als Stadionsprecher erlebt und plötzlich die Fans in ihrer Trauer und Wut nicht mehr erreicht?
Das sind diese Momente, die jeder Stadionsprecher fürchtet, dass die Stimmung wegkippt – dann musst du gewaltig rudern, um das wieder einfangen zu können. Bei dem Spiel war es so, dass alle dachten, daheim packen wir das und bleiben drin. Keiner rechnete mit einem weiteren Kioyo-Moment. . .

Francis Kioyo, der 2004 mit seinem verschossenen Elfer Sechzigs Abstieg aus der Bundesliga besiegelt hat.
Richtig. Als wir wieder abstiegen, brodelte die Fanseele. Solche Momente haben wir alle im Fußball anderswo schon erlebt. Ich möchte es auf keinen Fall und in keiner Art schönreden, aber zum Glück ist bis auf ein paar Sitzschalen nicht arg viel passiert. Die Stangen, die geflogen sind, waren Plastikstangen. Am Ende konnten wir die Partie doch noch zu Ende spielen. Aber es war ein Tiefpunkt, keine Frage – auf vielen Ebenen. Das war übrigens auch das letzte Mal, dass ich in der Arena war.

Stadionsprecher Stefan Schneider erinnert sich an die Eröffnungsfeier in der Allianz Arena

Und Ihr schönster Moment in der Allianz Arena?
Zum einen die Eröffnungsfeier mit Otti Fischer und Monica Lierhaus. Status Quo haben gespielt, es hat in Strömen geregnet und dann sind lauter Löwen-Kids aufs Feld gelaufen und haben die Buchstaben 1-8-6-0 geformt. Die hatten alle T-Shirts an: Wir waren zuerst hier – 1860. München. Das allerbeste Erlebnis – von der Emotion her – war die Relegation gegen Holstein Kiel. Wir waren schon fast draußen, dann sage ich durch: "Liebe Löwen-Fans, es gibt hier jetzt keine Sitzplätze mehr!" Alle stehen auf und 15 Sekunden später fällt das allesentscheidende Tor durch Kai Bülow. Sechzig bleibt oben. Das ist ein Spiel, über das heute immer noch geredet wird – und das zurecht.

Die Eröffnungsfeier mit Löwen-Edelfan Otti Fischer
Die Eröffnungsfeier mit Löwen-Edelfan Otti Fischer © imago

Das war die Partie, bei der Sie im Freudenjubel Ihre Jacke ins Publikum geworfen haben?
Stimmt. Die Krawatte, das Sakko. Leider hatte ich in dem Moment nicht mehr dran gedacht, dass in der Jacke noch mein Arbeitsausweis und mein Personalausweis waren. Zum Glück wurden die mir in der Woche drauf zurückgeschickt – auf Löwen-Fans ist eben Verlass.

"Das allerbeste Erlebnis", sagt Stefan Schneider über das Relegationsspiel der Löwen gegen Kiel und Bülows Treffer.
"Das allerbeste Erlebnis", sagt Stefan Schneider über das Relegationsspiel der Löwen gegen Kiel und Bülows Treffer. © imago/MIS

1860 hat die Allianz Arena "nie als Heimat empfunden"

Emotionale Highlights, doch der Löwen-Alltag in der Arena war schon sehr bald eher trist.
Eins vorweg: Wenn der Löwe gewinnt, ist die Stimmung immer gut – egal wo. Aber wir waren halt nicht mehr Bundesliga und haben auch nicht so gut und erfolgreich gespielt. Wenn wir eine Performance hingelegt hätten, wie zu Zeiten des Durchmarschs aus der Bayernliga, wäre da draußen auch Stimmung gewesen. Es hat auch nicht die Derbys gegen die Roten, den FC Bayern, außer dem Pokalspiel, als Franck Ribéry uns in der letzten Minute mit diesem rotzfrechen Lupfer-Elfer aus den Bewerb kegelt, gegeben. Schon bleiben welche weg und wenn in einer 65.000-Mann-Arena nur 20.000 sind, ist es bald einsam. Die Stimmung war schnell – ich will nicht sagen Löwen-unwürdig – aber es hat was gefehlt. Wenn unsere Fans von Anfang an mit dem Stadion Erfolgserlebnisse verbunden hätten, wäre es anders gelaufen. Heute ist es ja undenkbar, wenn man die Arena sieht, damals war es aber ein neutrales Stadion mit grauen Sitzen. Da konnte man zu Hause sein. Aber der Löwe hat es nie als Heimat empfunden. Ich habe das nicht ganz verstanden, der Löwe ist nicht immer leicht zu erklären. Das gehört zu seinem speziellen Charme dazu.

„Ein rotzfrecher Lupfer-Elfer“, sagt Stefan Schneider über den Strafstoß von Ribéry im DFB-Pokal 2008 gegen den TSV 1860.
„Ein rotzfrecher Lupfer-Elfer“, sagt Stefan Schneider über den Strafstoß von Ribéry im DFB-Pokal 2008 gegen den TSV 1860. © imago sportfotodienst

Die Entscheidung mit den Bayern das Stadion zu stemmen, erinnerte aber schon sehr an Großmannssucht. . .
Um Himmels willen – natürlich. Wir hatten diesen deutlichen Bürgerentscheid im Rücken, sodass jeder in München wusste, ohne die Stimmen von 1860 München hätten die da draußen nicht mal eine Pommesbude aufgestellt. Deswegen waren wir ganz selbstbewusst. Dennoch: Jeder wusste, das Projekt ist wahrscheinlich für meinen Lieblingsverein, den traditionellen Turn- und Sportverein aus Giesing, eine Nummer zu groß. Dieser Anzug war einfach für 1860 zu groß. Ich glaube, es war schwierig mit jemandem wie den Bayern, mit denen man sonst in fast jeder Sache über Kreuz war, plötzlich gemeinsame Sache zu machen. Das war vielleicht bereits von Anfang an zum Scheitern verurteilt. So war die Arena für Sechzig leider schon sehr bald ein Stimmungsgrab, keine Heimat.

Sie hatten stets ein besonderes Gespür, wie man aus den Fans das Maximum herausholt, damit diese die Mannschaft pushen, und die vielleicht noch zwei Prozent mehr Leistung bringt.
Man muss ein gewisses Feingefühl haben, denn der Impuls geht stets von den Fans aus. Den nimmt man auf - andersrum funktioniert es nicht, ist es nur künstlich. Natürlich hilft es, wenn man selber Fan ist, den Fan kennt. Deswegen ist auch Sebastian Schäch, mein Nachfolger als Stadionsprecher der Löwen, so schnell, so gut angenommen worden. Die Fans wissen: Das ist ein echter Löwe, der stirbt mit uns. Und zum Thema Anheizen: Das ist ein schmaler Grat. Du bist als Stadionsprecher für die Stimmung zuständig, aber du musst wissen, spüren, wie weit kann ich gehen, ab wann wird es zu heiß. Da muss man sehr vorsichtig sein, da hat man eine große Verantwortung. Ich habe das selber erlebt: Wir haben mal gegen Energie Cottbus gespielt und ich habe gesagt: "Erzgebirge Aue wechselt aus." Das war mein Fehler, weil ich abgelenkt war. Es hat keine zehn Sekunden gedauert, da waren die Cottbus-Fans schon auf 180. Da war es eng, dass die Stimmung wegbricht. Daher: Du darfst auf keinen Fall drübergehen, solltest aber alles tun, was deinem Verein dienlich ist. Meine Devise war immer: Anheizen zu 1000 Prozent, aber niemals eskalieren. So habe ich meine Aufgabe immer verstanden. Das größte Kompliment, das ich in meinem Stadionsprecher-Leben in 30 Jahren erhalten habe, kam vom Christian Winkler, dem Manager des EHC Red Bull München, wo ich auch Stadionsprecher war. Der hat mal gesagt: "Schneider, ein Punkt, vielleicht sogar eineinhalb, gehen heute auf dein Konto." Ein Ritterschlag, da weißt du: Alles richtig gemacht!

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