„Skandal! Offenbarungseid!“ Die Löwen regen Lienen auf
Der Trainer beklagt schwere Management-Fehler in der Vergangenheit. Er findet, 1860 habe seine Talente verschleudert: „Ich bin sehr verärgert.“Und nun geht auch noch Baumgartlinger (21)
MÜNCHEN Beim Dehnen wirkte Ewald Lienen noch entspannt, als wäre er beim Joga-Training. Kaum aber hatte er den Platz verlassen, genügte die Nennung des Namens Julian Baumgartlinger – und der Löwen-Trainer wütete. „Er hat sich gestern entschieden, zu Austria Wien zu gehen. Acht Jahre wurden in diesen Spieler investiert, jetzt wird er für einen feuchten Händedruck weggegeben – ein Skandal“, schimpfte der sonst so souveräne Coach. Es war der erste Wutausbruch des 55-Jährigen, seit er vor knapp zwei Wochen den Cheftrainerposten bei 1860 übernommen hatte.
Wie viel Geld der Transfer einbringt (angeblich rund 350000 Euro), spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Geschäftsführer Manfred Stoffers meinte zwar zur AZ, dass man „natürlich weiß, was so ein Mann wert ist“. Lienen jedoch hätte Defensivspieler Baumgartlinger (21) lieber behalten – und kritisiert deshalb die Management-Entscheidungen der Vergangenheit: „Ich bedauere, dass Baumgartlinger geht und bin zugleich entsetzt, wie hier in der Vergangenheit mit den jungen Spielern umgesprungen wurde.“
Die Vorwürfe richteten sich sowohl gegen den im Februar entlassenen Sportdirektor Stefan Reuter als auch gegen die früheren Cheftrainer Marco Kurz und Uwe Wolf. „Das ist ein Offenbarungseid! Baumgartlinger hat keine Chance bekommen, sich auf dem Platz zu beweisen. Hier wurde Tafelsilber verschenkt. Da rühmt man sich für die phantastische Nachwuchsarbeit und dann so etwas: Ein Skandal!“
Skandalträchtig sei auch die Entscheidung gewesen, Christian Träsch abzugeben. „Eine fatalere Fehlentscheidung gibt es kaum“, motzte Lienen, „mir wurde zugetragen, man habe ihn gehen lassen, weil wir noch genug andere gute Spieler hätten.“ Der heute 21-jährige Träsch war 2007 im Tausch mit Daniel Bierofka zum VfB Stuttgart gewechselt. Dort debütierte er 2008 in der Bundesliga. Bei der Asienreise der Nationalmannschaft wird er nun sein DFB-Debüt geben.
„Ich bin sehr, sehr verärgert! So etwas wird unter mir nicht mehr vorkommen. Ich werde dafür sorgen, dass die Nachwuchsspieler eine realistische Chance bekommen im Profibereich mitzuarbeiten“, verspricht der Löwen-Coach.
Ein Plan, der auch für Nikola Gulan (Lienen: „Ein Spieler, nach dem man sich die Finger schlecken sollte“) zu spät kommt. Auch wenn Geschäftsführer Stoffers sagt, es sei noch nicht definitiv, dass der serbische U21-Nationalspieler (bis Ende Juni ausgeliehen vom AC Florenz) im Sommer zurück nach Italien geht, sagt Lienen: „Angenommen, ich wäre ein Verantwortlicher in Florenz und man würde mich fragen, ob wir den Jungen nochmal ausleihen können, würde ich eine nicht fertig gebratene Pizza nehmen und sie demjenigen ins Gesicht schleudern.“ Lienen weiter: „Gulan ist ein ausgezeichneter Spieler. Wer in der U21 für Serbien spielt, wird ja wohl für Sechzig reichen!“
So muss er sich also neue Spieler suchen. Und nicht nur das: Er sucht auch ein neues Heim. „Eine Villa natürlich, mit Pool in Grünwald“, bemerkte Lienen gestern ironisch. So ganz hat er seinen Humor doch noch nicht verloren.
Boris Breyer