Lorants Abrechnung mit 1860: Hat er Recht?
MÜNCHEN - Das AZ-Interview mit Werner Lorant sorgt für Zündstoff unter den Fans, löste heftige Diskussionen aus. Der Ex-Coach kritisierte die Klub-Führung, forderte "einen starken Präsidenten" wie einst Karl-Heinz Wildmoser, bezeichnet sein ehemaliges Team als "Fahrstuhlmannschaft" und wirft dem aktuellen Coach Marco Kurz vor, dass der "von oben gelenkt" wird. Hat Lorant Recht mit seiner Kritik? Debattieren Sie mit!
Werner Lorant ist es anzumerken, dass er mit seinen Löwen mitleidet, dem Klub, den er neun Jahre lang trainierte. Höhepunkt war ein vierter Platz in der Saison 1999/2000 und die Teilnahme an der Champions League-Qualifikation. Heute sind die Löwen nur noch graues Mittelmaß, und das in der zweiten Liga.
"Das ist peinlich", sagte Lorant im AZ-Gespräch, "ich frage mich: Haben die überhaupt Ziele? Es kann nicht sein, dass ein Klub wie 1860 um Platz acht spielt. In der Zweitliga-Tabelle sind die Löwen eine Fahrstuhl-Mannschaft. Mal oben, mal unten. Keine Konstanz. Mir tun die Fans leid."
Höchste Zeit sei es, dass Sechzig wieder in der Bundesliga spiele, so Lorant: "Bei 1860 zählt nur der Aufstieg und sonst nix." Kritik übte er auch am aktuellen Löwen-Trainer, der ihm wie eine Marionette der Vereinsbosse vorkomme: "Schauen Sie sich doch nur Marco Kurz an. Der lässt bei 1860 alles mit sich machen. Wie will der mal Erfolg haben, wenn er nur von oben gelenkt wird."
AZ: Herr Lorant, am Freitag werden Sie ein Sechziger: Denken Sie schon an die Rente?
WERNER LORANT: An was? Bei mir geht die Rente erst mit 70 los. Ich bin noch ein junger Bursche, gehe nicht am Stock. Ich fühle mich wie 40. Meine Spieler, die Jungs, die ich in all den Jahren betreut habe, halten mich jung. Ich habe keine Beschwerden – nur das Knie tut ab und zu weh. Vor allem beim Wetterumschwung.
Wie, bitte?
Ja, mein Knie ist der beste Meteorologe. Ich könnte den Winterbericht bei RTL machen. Sobald das Knie schmerzt, gibt es hundertprozentig anderes Wetter – egal in welche Richtung
Wird gefeiert?
Nein, ich habe Freitag Arbeit, stehe auf dem Trainingsplatz. Der 60. Geburtstag ist für mich kein Tag zu feiern, meine Frau kommt in die Slowakei, wir stoßen kurz an, und das war’s dann.
Was verbindet Sie heute noch mit 1860, dem Verein, in dem Sie neuneinhalb Jahre das uneingeschränkte Sagen hatten?
Nichts – da ist doch alles neu. Das Stadion, das Management, die Spieler, der Präsident. Ich sehe, dass 1860 Achter ist. Hinter Fürth, hinter St. Pauli – das kann nicht sein. 1860, das ist Religion, diesen Verein muss man kapieren. Mich wundert es nicht, dass jetzt alle scheitern.
Seit Sie weg sind, rutschten die Löwen immer tiefer ab.
1860 zu trainieren, das kann nicht jeder. Du brauchst eine Gruppe, mit der das funktioniert: Wildmoser und ich – und dann hatten wir auch die Spieler dazu. Und was machen sie jetzt? Sie freuen sich, dass Marcel Schäfer (bis 2007 bei 1860, d. Red.) beim VfL Wolfsburg Nationalspieler wird. Mir würde es stinken, wenn ich als Manager nicht sehe, dass er mehr wert ist als 900000 Euro Ablöse. Das ist peinlich. Ich frage mich: Haben die überhaupt Ziele? Es kann nicht sein, dass ein Klub wie 1860 um Platz acht spielt. In der Zweitliga-Tabelle sind die Löwen eine Fahrstuhlmannschaft: Mal oben, mal unten. Keine Konstanz. Mir tun die Fans leid.
Die 1860-Funktionäre schieben es auf die chronische Finanzschwäche.
Auch ich hatte anfangs kein Geld bei 1860, auch in der Zweiten Liga nicht. Heute haben die 40000 Zuschauer gegen Augsburg: Wenn ich als 1860 in der Allianz Arena spielen will und es nicht gescheit mache, muss ich viel dafür bezahlen. Ich muss ein Jahr Risiko gehen: Bei 1860 zählt nur der Aufstieg – und sonst nix.
Sie sind damals bei 1860 über den Aufsichtsrat und OB Ude gestürzt. Die waren gegen Sie.
Wenn ich schon die Politiker sehe, du brauchst doch nur jeden Tag in die Zeitung zu schauen. Die machen nur Mist. Politiker im Fußball - das ist das Schlimmste, was es gibt. Franz Maget hatte bei der Landtagswahl lächerliche 18,6 Prozent. Und jetzt will er die Löwen nach oben bringen? Ich lach’ mich tot.
Was fehlt 1860?
Die Löwen brauchen einen starken Präsidenten – wie damals Wildmoser. Das ist Sechzig. Heute redet jeder mit. Vor Wildmoser war 1860 ein Dreckhaufen, danach hatte der Verein das schönste Trainingsgelände in Deutschland. Die Leute, die jetzt über Wildmoser schimpfen, sitzen in dem Gebäude, das er gebaut hat.
Wer war der beste Löwen-Trainer, der Ihnen folgte?
Zuerst mal war meine Entlassung der größte Witz des Jahrhunderts. Aber der beste nach mir? Peter Pacult. Der macht seine Arbeit, ist ein fleißiger Junge. Er ist Meister mit Rapid Wien geworden, das kommt nicht aus Zufall. Und wer war Pacults Nachfolger? Falko Götz, der hatte mal gar keine Ahnung. Der hatte nur gefönte Haare.
Und Benny Lauth? Haben Sie sich damals in ihm getäuscht, als Sie abweisend sagten: „Lauth? Kenn’ ich nicht!“
Das war ja auch nur so dahin gesagt. Aber Lauth ist auch heute noch kein Bundesligaspieler für mich. Er hat von einem guten Jahr bei 1860 gelebt, danach war Schluss! Lauth ist nicht hart genug für die Bundesliga. Er hat in jungen Jahren zu wenig trainiert. Talent hat er ja, aber wo ist sein Durchbruch?
Bei 1860 sagte Jugend-Chef Ernst Tanner, mit Ihnen als Trainer wäre die Jugendwelle mit den vielen eigenen Talenten nie möglich gewesen.
Der hat wohl einen Vogel. Die Hleb-Brüder (Aliaksandr, jetzt FC Barcelona, und Vatcheslav, ehemals HSV, d. Red.) waren damals auch hier mit 16 beim Probetraining – und wer hat sie weggeschickt? Der Jugendleiter. Der soll nicht so einen Scheiß quatschen, der soll seine Arbeit machen und meinen Namen nicht in den Mund nehmen. Solche Leute hasse ich: Bei mir waren Jeremies jung, Bierofka oder auch Stranzl. Tanner ist ein Wichtl.
Nach Ihrer Zeit bei 1860 hat Sie als Trainer irgendwie das Glück verlassen, oder?
Wie, bitte? Ist ein zweiter Platz mit Fenerbahce in der Türkei nichts? Oder Platz fünf mit einem Aufsteiger wie Sivaspor? Wo steht Spaniens Europameister-Trainer Aragones jetzt mit Fenerbahce? Auf Platz fünf, mit einem viel besseren Kader. Und bei Saipa Teheran zum Beispiel habe ich selbst gekündigt. Ich war Tabellenführer im Iran, aber sie haben meinen besten Spieler nach Dubai verkauft, ohne mich zu fragen. Wenn’s nicht passt, dann gehe ich: Schauen Sie doch mal Marco Kurz an. Der lässt bei 1860 alles mit sich machen. Wie will der mal Erfolg haben, wenn er nur von oben gelenkt wird?