“Ein cooles Grünwalder Stadion“: Diese spektakulären Ideen fürs Sechzger bringt ein TU-Prof ins Spiel

Der renommierte Architektur-Professor Florian Nagler hat in Oberbayern viele Spuren hinterlassen. Und auch im Münchner Stadtbild, etwa mit dem Stelzenhaus am Dantebad oder der Florianskirche in Riem. Mit seinen Studenten an der TU hat er schon vor Jahren aber auch Pläne für das Sechzgerstadion entwickelt, dessen Umbau noch in diesem Jahr im Stadtrat beschlossen werden soll. Wenn er denn beschlossen wird. Ein Gespräch über Charme und Chancen eines Umbaus, absurde Vorgaben - und Tribünen-Wohnungen.
AZ: Herr Nagler, Sie gelten als Experte für einfaches und nachhaltiges Bauen. OB Dieter Reiter schwärmt von seinen nachhaltigen Olympischen Spielen. Aber fast eine Milliarde Euro sind eingeplant für Bauten, die direkt danach wieder abgebaut werden wie Stahlrohrtribünen. Kann man da ernsthaft von nachhaltigen Plänen sprechen?
FLORIAN NAGLER: Wenn man wirklich Elemente verwendet, die dann wieder abgebaut und anders genutzt werden können wie bei Gerüstbauten oder temporären Holzbauten, dann ist der Aufwand vertretbar, ja.
Sie sagen: Besser so, als ein Risiko einzugehen, dass teure Neubauten danach ungenutzt rumstehen?
Genau. Es gibt ja viele Großveranstaltungen wie Weltausstellungen, wo dann Gebäude-Leichen jahrzehntelang ungenutzt vor sich hinrotten. Das kann natürlich nicht das Ziel sein. Übrigens gibt es mit der eigentlich sehr schönen Tribüne der Regattaanlage der Olympischen Sommerspiele von 1972 auch hier ein Beispiel eines inzwischen sogar unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes, für das es aber keine sinnvolle Nachnutzung gibt...

Architektur-Professor Florian Nagler: "1972 hat es doch auch funkioniert"
Wo stehen Sie Olympischen Sommerspielen kritisch gegenüber?
Wie in vielen Bereichen sind die ständig steigenden Anforderungen – in diesem Fall auch durch die Sportverbände - ein Problem. Es hat 1972 doch auch funktioniert, warum brauchen wir für alles viel höhere Anforderungen?
Im Münchner Olympia-Konzept taucht auch das Grünwalder Stadion auf – als Spielort für Rugby. 40 Millionen sind dafür veranschlagt. Was ist mit diesem Geld möglich – und was nicht?
Mit 40 Millionen Euro kann man bei einem Gebäude dieser Größenordnung nicht die Welt bewegen. Da wird man nur das Nötige machen können – etwa, um Vorschriften einzuhalten.

Der Stadtrat hat eigentlich einst grundsätzlich beschlossen, 80 Millionen auszugeben. Warum sind Umbauten an einem solchen alten Kasten so teuer?
Es ist eine sehr komplizierte Baustelle. An dem Hang, am Mittleren Ring, mit den nahen Häusern hinter der Haupttribüne. Sie müssen es sich so schwer vorstellen, wie wenn man einen Bahnhof im laufenden Betrieb umbaut.
Architektur-Professor Florian Nagler: "Die Westkurve ist die schönste Stelle"
Die Stadt argumentiert immer rechtlich - man müsse an dem Standort im Bestandsschutz bleiben, für einen Neubau gebe es sicher keine Genehmigungen. Abseits von diesen rechtlichen Fragen: Was ist aus architektonischer Sicht dringend erhaltenswert - die Westkurve, der man ansieht, dass sie ein Bauhaus-Schüler entworfen hat?
Ja, die Westkurve ist auf jeden Fall die schönste Stelle des heutigen Stadions. Einfach sehr gut gemacht.

Inwiefern?
Die Figur, die sie an dieser Stelle hat, wie sich die Kurve über den Hang schwingt, die ganze Konstruktion ist für die damalige Zeit sehr gut. In die Richtung muss man ja schallschutzmäßig eigentlich eh nicht viel machen.
Wahrscheinlich doch, die Vorschriften sind klar, alles muss überdacht werden.
Auch da stellt sich wieder die Frage, ob wir heute viel zu hohe Anforderungen haben. Das werden wir uns insgesamt beim Bauen langfristig nicht leisten können.
"Wir müssen auch Stadien mit weniger Ansprüchen bauen"
Das eine sind die gesetzlichen Vorschriften, das andere die Sportverbände. Im Olympiastadion können Olympische Spiele stattfinden, ein Weltereignis mit zehntausenden Plätzen ohne Dach. In Deutschland dürfte dort aber kein Zweitligafußball mehr stattfinden. Das ist schwer nachvollziehbar, oder?
Ja, das würde ich auch so sehen. Absurd. Und solche Regeln sind eben auch ein Grund, dass Bauen immer teurer wird. Wir müssen endlich anfangen, mit weniger Ansprüchen zu bauen. Wohnungen - und auch Stadien.
Das einfache Bauen, für das Sie ja auch persönlich stehen, was könnte das bei einem Stadion bedeuten?
Das geht einfach los: Muss eben jeder Platz ein Sitzplatz sein, was muss wirklich überdacht sein? Es muss nicht immer alles super-bequem sein.
Steht alles auf dem Prüfstand?
Nein. Dass Rettungswege und Brandschutz funktionieren müssen, ist natürlich klar.

Was macht den Charme des Sechzgerstadions aus?
Es ist auch das Fragmentale.
Jede der vier Tribünen steht architektonisch für eine andere Zeit, oder?
Ja, jede steht für eine andere Zeit. Das ist interessant, man sollte es nicht zu sehr schleifen, das Stadion nicht zu einheitlich machen. Ich glaube, man könnte auch Geld sparen, wenn man anerkennt, dass dieses Stadion einen besonderen, erhaltenswerten Charakter hat. Nur reparieren, was nötig ist und trotzdem ein cooles Stadion zu schaffen - das ist dann die Aufgabe von Architektinnen und Architekten.

Welche Idee Ihrer Studenten ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Es waren schon sehr coole Ansätze dabei. Zum Beispiel, das Stadion zur Grünwalder Straße hin baulich richtig zu schließen, einen großen Bügel drüber zu bauen und einen städtischen Auftritt an dieser engen Stelle für das Stadion zu machen. Ein großes Haus da drüber zu bauen, das fand ich gut, so würde es noch städtischer werden. Wir haben uns sehr eingehend mit dem Stadion befasst, wollten so viel wie möglich im Bestand erhalten, aber das Thema auch frei angehen. Muss es nur ein Stadion sein, das halt zufällig in der Stadt steht? Oder könnte es auch viel mehr sein?
Was könnte so ein Ort mehr sein, als dass hier alle zwei Wochen Fußball gespielt wird?
Gerade an so einer belebten Straße könnten Geschäfte unten rein, das könnte eine Verschränkung zur Stadt herstellen. Gastronomie könnte auch unter der Woche attraktiv sein.

Niemand müsste erst lange über ein großes Betonfeld laufen wie draußen in Fröttmaning.
Ja, es wäre halt Gastronomie, selbstverständlich, wie auf der anderen Seite der Straße auch.
Was waren andere Entwürfe, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind?
Lässig fand ich auch, dass in einem Entwurf oben über der Osttribüne Wohnungen geplant waren. Das wären natürlich auch sehr coole Wohnungen - mit direktem Blick aufs Spielfeld! Es wäre fast ein Hochhäuschen im Stadion! Es wäre auch im Stadion selbst eine spezielle Situation - und die Tribüne darunter wäre geschützt. Obwohl es hier an der Grünwalder Straße so eng ist, wäre das alles sehr gut zusammengebracht.

Würden sich Bewohner finden für die Tribünenwohnungen?
Auf jeden Fall! Das ist übrigens auch grundsätzlich etwas, was ich mir wünsche. Die erste Frage wäre beim Bauen eigentlich doch eh sehr oft nicht: Haben wir hier den perfekten Lärmschutz? Sondern: Können wir eine gute Wohnung bauen? Wir brauchen andere Prioritäten.
"Die Stadt braucht auch Freiräume - gerade ums Sechzgerstadion"
Beim Viehhof argumentiert die Stadt, dass man das ganze Areal erst neu plant, wenn klar ist, was mit dem Schlachthof passiert. Beim Stadion gibt es nun neue Pläne für die Freifläche am Candidplatz, wo sich unter der Woche Jugendliche treffen und am Spieltag Löwenfans zu einem selbstorganisierten, nicht kommerziellen Treffpunkt. Müsste man nicht auch rund ums Stadion alles aus einem Guss planen?
Natürlich sollte man immer strategisch denken. Und es ist wichtig, dass wir nicht alles zubauen, auch Freiräume haben. Gerade rund ums Sechzgerstadion ist es ja speziell. Ich halte auch den Grünspitz für einen Ort, den man nicht aufgeben darf. Eine Stadt muss solche Orte aushalten.
Thema Parken: Wo und wie könnten neue Parkplätze entstehen?
Auch das macht den Standort aus und ich finde, man muss sich darauf einlassen: Hierhin kommt man öffentlich.
Aber?
Aber natürlich gibt es trotzdem wieder krasse Vorgaben - übrigens auch für Presseparkplätze.
Wie haben Ihre Studierenden das gelöst?
Oberirdisch gibt es hier eigentlich keinen Platz. Es gab zum Beispiel den Plan einer neuen Garage unter dem Spielfeld, Einfahrt vom Ring aus.

Was macht für Sie insgesamt den Charme dieses Standorts aus?
Durch die Lage gibt es eine automatische Verschränkung mit der Stadt, die Kneipen außen rum, an Spieltagen spüren Sie, wie das ganze Quartier pulsiert. Dass auf Giesings Höhen Fußball gespielt wird, prägt das Gefühl des ganzen Stadtteils.
"Das wäre mal eine ganz andere Art von Loge!"
Ein Löwenfan, der selbst Architekt ist, hatte mal die Idee, dass man Logen über der Westkurve bauen könnte, auch in einer Arbeit Ihrer Studenten gibt es den Ansatz. An Nicht-Spieltagen böten Sie dann einen Blick über die Isar, zum Heizkraftwerk und in die Stadt.
Das wäre mal eine ganz andere Art von Loge, nicht nur mit Blick aufs Stadion und auch abseits der Spieltage richtig attraktiv. Sie sehen, es steckt sehr viel Potenzial in so einem innerstädtischen Stadion!

Was halten Sie davon, dass die modernen Fußball-Arenen in Deutschland eigentlich alle an einer Autobahn oder am Stadtrand in Industriegebieten entstanden sind?
Das ist halt einfach der Erschließungsfrage geschuldet.
"Eine völlig andere Idee davon, was ein Stadion bedeuten kann"
Im Ergebnis aber entkoppelt es das Ereignis vom Stadtleben.
Ja, logisch. Ich habe in Kaiserslautern studiert, aus meiner Wohnung das Stadion gehört. Aus fast allen Ecken der Stadt geht man zu Fuß auf den Betzenberg. Das ist eine völlig andere Idee davon, was ein Stadion in einer Stadt bedeuten kann.

Was bedeutet dieser Gedanke für Giesing?
Eine große Umbauplanung ist eine große Chance. Dafür, dass das Stadion noch städtischer wird, andere Funktionen bekommt. Ja, es ist eine große Chance für die Stadt und das sollte die auch begreifen.