Die blauen Rechenspiele

Nochmals Hoffnung bei 1860.„Vier Punkte fehlen uns noch.“ Heute Abend gegen Wehen soll sich die Lage entspannen. Doch die Abstiegsangst krasiert bei den Löwen.
von  Abendzeitung
„Wenn wir gegen Wehen gewinnen, dann sind die größten Existenzängste ausgestanden“.
„Wenn wir gegen Wehen gewinnen, dann sind die größten Existenzängste ausgestanden“. © sampics/Augenklick

Nochmals Hoffnung bei 1860.„Vier Punkte fehlen uns noch.“ Heute Abend gegen Wehen soll sich die Lage entspannen. Doch die Abstiegsangst krasiert bei den Löwen.

Wenn es bei 1860 in besseren Zeiten so etwas gab wie eine eingebaute gute Laune, dann war das Berkant Göktan. Der Offensivspieler lächelte immer, und seine Tricks haben die Fans erfreut. Doch Göktans Laune hat sich inzwischen grundlegend geändert. Er ist betrübt.

Das liegt nicht zuvorderst daran, dass die Verhandlungen über seine Vertragsverlängerung ziemlich zäh angelaufen sind. Sondern es ist der sportliche Absturz des TSV 1860 in der Zweiten Liga, der den einstigen Spaßmacher zum Kummerkicker gemacht hat. „Wenn du neun Spiele hintereinander nicht gewinnst“, bemerkt der 27-jährige Löwen-Star vor dem Zweitliga-Duell heute in der Allianz Arena gegen Wehen, „dann ist es normal, dass du dir Sorgen machst“. Aus Sorge ist bei den Löwen inzwischen Angst geworden. Abstiegsangst.

Der 2:0-Sieg des 1. FC Kaiserslautern über den FC Augsburg am Dienstag hat die Situation der Löwen (35 Punkte) zusätzlich verschärft. Sechs Spieltage vor Schluss beträgt ihr Vorsprung auf einen Abstiegsplatz nur noch sechs Zähler. „Das macht es für uns nicht einfacher“, sagt Göktan, der vorrechnet: „Ich bin zwar kein Mathematiker, aber 39 Punkte brauchen wir schon. Vier Punkte fehlen uns dazu noch.“

Es beginnen die blauen Rechenspiele. Löwen-Kenner tippen schon, wo die nötigen Punkte für den Klassenerhalt herkommen sollen. Denn noch nie haben seit Einführung der Drei-Punkte-Regel in der Zweiten Liga 35 Punkte zum Klassenerhalt gereicht, Dynamo Dresden stieg 2006 sogar mit 41 Punkten ab.

„Wenn wir Wehen schlagen“, glaubt Vize-Präsident Karsten Wettberg, „dann ist das die halbe Miete. Dann können wir am Donnerstagabend alle entspannter sein.“ Eine Sichtweise, der sich 1860-Legende Petar Radenkovic anschließt: „Wenn wir gegen Wehen gewinnen, dann sind die größten Existenzängste ausgestanden.“ Und wenn nicht? „Dann möchte ich nicht in der Haut von Marco Kurz stecken“, sagt Radenkovic.

Paul Agostino, der frühere Löwen-Stürmer und Publikumsliebling, der inzwischen für Adelaide United in seiner Heimat Australien spielt, ist ebenfalls besorgt. 15466 Kilometer ist er weg von Giesing – und kann sich doch hineinfühlen ins Seelenleben der 1860-Profis. „Meine Löwen müssen sich bewusst sein“, sagt der Ex-Kapitän des TSV 1860 zur AZ, „dass jetzt der Abstiegskampf begonnen hat. Sechs Punkte sind nur zwei Siege.“ Agostino spricht aus eigener Erfahrung. Er hat in der Zweitliga-Saison 2005/06 mit 1860 Abstiegsängste ausgestanden; Trainer war damals der Österreicher Walter Schachner. Agostino: „Wir hatten damals auch geglaubt, dass wir um den Aufstieg spielen. Am vorletzten Spieltag haben wir uns mit einem 1:0-Zittersieg über Saarbrücken (Torschütze Patrick Milchraum, d. Red.) gerettet. Das war eine schlimme Geschichte.“ 1860 schleppte sich am Ende als Dreizehnter über die Ziellinie – mit einem Punkt Vorsprung vor Absteiger Dresden. So etwas, wünscht sich Agostino, möge 1860 diesmal erspart bleiben.

Reiner Maurer, der Ex-Trainer, warnt die Löwen davor, die Situation zu unterschätzen. „Im Fußball ist alles möglich“, sagt der Mindelheimer, der derzeit ohne Job ist. „1860 braucht auf jeden Fall 40 Punkte, die reichen in dieser Saison.“ Dass die Löwen in der Rückrunde so eingebrochen sind, kann sich auch Maurer nicht erklären. „Das war nicht zu erwarten“, sagt er, „die Mannschaft hat viel Potenzial.“ Überrascht ist Maurer, unter dem die Löwen 2005 bis zum letzten Spieltag um den Aufstieg spielten und am Ende Vierter wurden, allerdings darüber, dass das Umfeld noch so ruhig hält. „Hätte ich damals so beschützt und behütet arbeiten können wie Marco Kurz“, meinte Maurer zur AZ, „dann wären wir vielleicht schon in der Bundesliga.“

In Zeiten wie diesen ist das irgendwie ein schöner Gedanke für einen Löwen-Fan.

Oliver Griss

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