Bundesliga-Jubiläum: Meisterlöwe Manni Wagner erinnert sich
AZ: Herr Wagner, zum 50. Mal startet heute eine Bundesliga-Saison. Sie standen mit den Löwen am ersten Spieltag damals auf dem Platz. Franz Beckenbauer und die anderen vom FC Bayern nicht.
MANFRED WAGNER: Diese Entscheidung war damals knapper als viele denken. Heute wird ja gerne behauptet, die Löwen wären damals mit Abstand die Nummer eins in der Stadt gewesen und Bayern hätte uns erst über die Jahre überflügelt. In Wahrheit aber war der FC Bayern schon Anfang der 60er Jahre so gut wie ebenbürtig. In der Zwölf-Jahres-Wertung, die das wichtigste Kriterium war zur Ermittlung der Bundesliga-Gründungsmitglieder, waren die Roten sogar leicht vorne.
Wieso also durfte 1860 in die Liga?
Wir wussten zu Beginn der Saison 1962/63, dass wir nur eine Chance haben würden, um dabei sein zu können: Wir mussten Meister werden in der Oberliga Süd.
Was Sie geschafft haben.
Allerdings. Im Vorjahr war Max Merkel gekommen, der hat uns das schon eingebläut, dass er kein Zweitligatrainer sein würde. Und so hat der Trainer uns laufen lassen. Aber auch wir Spieler wollten unbedingt in die Bundesliga. Wir wollten uns Woche für Woche mit den Besten messen. Und ein bisschen mehr Geld gab’s schließlich auch.
So? Wie viel denn?
In der Oberliga habe ich ein paar hundert Mark Grundgehalt bekommen. Dazu kamen Punktprämien und ein Handgeld – das für junge Hüpfer wie den Fredi (Heiß, d.Red.) oder mich natürlich viel niedriger war als das, was der Radi bekommen hat. In der Bundesliga haben wir 1200 Mark Grundgehalt bekommen plus Prämien und Handgeld. Das war schon ein Unterschied.
Und? Was haben Sie sich gegönnt vom Mehrverdienst?
Moment, Moment: So viel Geld war das damals auch wieder nicht. Die meisten von uns haben damals ihre Familien gegründet oder konnten beginnen, ihre Häuser zu finanzieren. Viel mehr war nicht drin. Wir haben nicht schlecht gelebt, aber es ist nicht so, dass ich mir einen Porsche hätte leisten können. Ich hatte ja vorher Maschinenbauer gelernt, da hätte ich als Geselle auch 800 Mark bekommen.
Haben Sie eigentlich noch nebenher gearbeitet?
Am Anfang schon. Ich war Bauzeichner, das konnte ich stundenweise machen. Zu Oberligazeiten ging das ganz gut, aber in der Bundesliga hat das der Merkel bald nicht mehr geduldet. Wir haben damals schon acht Mal die Woche trainiert, richtig trainiert.
Sie waren plötzlich Profi?
Na ja, so hat man das damals noch nicht genannt. Wir hießen Vertragsspieler, aber ja, wir wurden Profis. Der Merkel ist ja der Erfinder der Trainingslager vor den Spielen. Zumindest in Deutschland waren wir die ersten, die vor Heimspielen immer zwei bis drei Tage einkaserniert wurden und nicht bei unseren Frauen schlafen durften. Jeden Donnerstag ging es nach Wartaweil. Überhaupt war der Merkel innovativ: Diese Dinger, die der Arjen Robben im Winter trägt...
Die langen Unterhosen?
Bei uns waren es noch richtige Strumpfhosen. Auch da waren wir die ersten, die die hatten. Der Uwe Seeler hat vielleicht komisch geguckt, als er uns damit gesehen hat. Aber ich hab’ nicht gefroren im Gegensatz zu ihm. Vielleicht hat er deswegen nie so richtig gut ausgesehen gegen mich...
Seeler war damals der Star der jungen Bundesliga-Ära.
Das war eine tolle Sache. Ich habe damals meistens Rechtsverteidiger gespielt und musste die Stürmer decken: Uwe, dazu noch die Idole meiner Jugend: Hans Schäfer, Max Morlock, die 54er-Weltmeister. Das hat mir am meisten gefallen – jede Woche gegen die richtigen Stars zu spielen.
Was waren noch die großen Unterschiede der Bundesliga im Vergleich zur Oberliga-Zeit?
Die langen Reisen zu den Auswärtsspielen, in den Westen, in den Norden.
Geflogen sind Sie damals wahrscheinlich nicht, oder?
Fliegen? Nur zu den Europapokalspielen. Nein, nein, wir sind Zug gefahren. Treffpunkt war immer donnerstags um 22 Uhr am Hauptbahnhof. Und so sind wir durch die Republik gezuckelt. Immerhin im Schlafwagen. Um sechs Uhr morgens waren wir dann meistens da, durften im Hotel frühstücken – und dann ging’s gleich wieder auf den Trainingsplatz. Überhaupt ist alles professioneller geworden durch die Bundesliga: Das Training war wissenschaftlicher, wir hatten mehr Masseure dabei, auch der Vorstand hat sich bemüht, professioneller zu agieren – was natürlich nicht so richtig geklappt hat. Sechzig war halt damals schon Sechzig...
Aber Sie waren erfolgreich. Am Ende der ersten Bundesliga-Saison waren Sie Pokalsieger, danach standen Sie im Europapokalfinale, im Jahr darauf die Meisterschaft. Sie waren Stars in München.
Na ja, der Rudi Brunnenmeier war ein Star. Der Radi sogar ein Superstar, der war von Anfang an die große Attraktion der Liga. Dem haben selbst die Fans der Gegner auswärts zugejubelt, weil er so ein verrückter Vogel war. Der Timo Konietzka war sehr populär. Der Grosser Peter war in München eine große Nummer, der Merkel war der Welttrainer, wie er sich selbst genannt hat. Aber ich oder der Fredi (Heiß, d.Red.)? Waren wir Stars? Ich weiß nicht. Ich würde sagen, wir waren bekannte Fußballspieler. Wir sind schon erkannt worden von den Leuten auf der Straße, aber es war alles familiärer als heute. Als Teil der Schickeria habe ich mich jedenfalls nie gefühlt.