Bilanz: 100 Tage Robert Schäfer

"Es gab Grausamkeiten, die mir nicht leicht gefallen sind": Der Geschäftsführer will ein noch höheres Tempo bei der Sanierung und ist mit der sportlichen Leistung unzufrieden.
Filippo Cataldo, Marco Plein |
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Benny Lauth nach der Niederlage gegen Augsburg.Geschäftsführer Robert Schäfer will den Stürmer überzeugen, seinen Vertrag bei den Löwen zu verlängern.
fishing4 Benny Lauth nach der Niederlage gegen Augsburg.Geschäftsführer Robert Schäfer will den Stürmer überzeugen, seinen Vertrag bei den Löwen zu verlängern.

Die 100-Tage-Bilanz: Der Geschäftsführer will ein noch höheres Tempo bei der Sanierung einschlagen und ist mit der sportlichen Leistung unzufrieden: „Momentan macht es im Stadion nur wenig Spaß”.

AZ: Herr Schäfer, Sie sind 100 Tage im Amt...

ROBERT SCHÄFER: ...vielleicht hätten wir das Interview am 107. Tag machen sollen (Schäfers Vorgänger Robert Niemann war nach 106 Tagen zurückgetreten, d. Red.). Dann wäre der große Druck weg . (lacht)

Es fällt auf, dass die große Trophäen-Vitrine aus dem Geschäftsstellen-Eingangsbereich verschwunden ist.

Ja, ich wollte das offener haben. Ich wollte nicht, dass die Pokale  der Vergangenheit das erste sind, was man von uns sieht. Für mich steht da die falsche Haltung dahinter.

Inwiefern?

Das ist nur ein kleines Symbol, aber für mich gehört das zum Mentalitätswechsel dazu, den ich umsetzen möchte. 1860 soll wieder nach vorne schauen, das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen, die Schuld für den Ist-Zustand bei sich selbst suchen und nicht bei den den Schiedsrichter, der Stadt, dem FC Bayern und so weiter. Die Pokale suggerieren, dass wir erfolgreicher wären als wir es tatsächlich sind.

Abgesehen von den kosmetischen Änderungen: Wie würden Sie die ersten 100 Tage bewerten?

Wir stehen noch total am Anfang der Sanierung, ich bin noch lange nicht zufrieden. Ich bin ja ungeduldig und verlange viel. Von meinen Leuten, aber auch von mir. Ich denke, es war okay, aber wir können insgesamt vielleicht ein noch schnelleres Tempo anschlagen. Insgesamt sind wir sicherlich einen ersten Schritt vorangekommen und haben fast alle Maßnahmen umsetzen können, die wir uns vorgenommen hatten. Und natürlich waren auch Grausamkeiten dabei, die mir nicht leicht gefallen sind. Wenn ich da nur an den Gehaltsverzicht denke...

Sie haben zusätzlich Kündigungen ausgesprochen. Gewöhnt man sich irgendwann daran, Menschen zu entlassen?

Zunächst möchte ich feststellen, dass wir niemanden gekündigt haben. Wir haben uns mit allen betroffenen sieben Mitarbeitern geeinigt. Zu Ihrer Frage: Nein, ich werde mich nie daran gewöhnen. Ich versuche ja, den Job nicht mit nach Hause zu nehmen. Aber so etwas  beschäftigt einen die ganze Zeit.



Waren die Einsparmaßnahmen wirklich unabdingbar für die Rettung oder ging es eher darum, Sanierungsberater und Banken zu beruhigen?

Nein, alle Maßnahmen waren nötig. Es war mehr als ein Zeichen für die Banken, es ging wirklich um die Summen. Ich möchte auch betonen, dass wir den Sanierungsplan gemacht haben. Wir müssen das Ergebnis von jahrelanger Misswirtschaft korrigieren. Die Banken und Partner begleiten uns im Prozess der Sanierung, das Heft des Handelns liegt aber in unserer Hand. 

Dass Spielern wie Benny Lauth angeboten wird, rückwirkend auf Geld zu verzichten, war also Ihre Idee?

Es hat keiner gesagt, dass eine Sanierung Spaß macht. Grundsätzlich halten wir unsere Verträge ein. Aber wenn ein Spieler, der hier einen guten Vertrag hat und sich mit dem Klub identifiziert, einen Anschlussvertrag haben will, dann muss er die Situation des Klubs akzeptieren.

Und rückwirkend auf Geld verzichten.

Bei solchen Verträgen wie sie unsere Gutverdiener haben, ja. Das halte ich nicht für unmoralisch. Da geht es für uns auch darum, einen Beitrag zu haben, der sofort wirksam ist. Daniel Bierofka und Gabor Kiraly haben dem zugestimmt. Mit Benny Lauth möchte ich darüber noch einmal persönlich sprechen.

Vor zwei Wochen sprachen Sie davon, ein schlechtes Bauchgefühl zu haben in Bezug auf Lauths Verbleib. Wieso haben Sie das gemacht? Lauth reagierte enttäuscht.

Wenn ich etwas denke, dann denke ich das und sage es auch.

Sie haben auch gesagt, keine Spielphilosophie zu erkennen und so Trainer Reiner Maurer angegriffen. Plappern Sie manchmal zu viel?

Ich sage das, was ich sehe und was ich denke. So bin ich. Ich fand einige Spiele, die wir gemacht haben, nicht gut. Unser Spiel geht nicht in die richtige Richtung, das sehe ich nach wie vor so und habe es auch am Freitag nach dem 0:2 im Derby wieder gesagt.

Was wäre denn die richtige Richtung?

Ich möchte einen Fußball sehen, der identitätsgleich ist mit dem Klub und mit dem, was die Fans des Klubs sehen wollen. Das ist ein lauf- und kampfstarker Pressing-Fußball. Vor der Kunst muss die völlige Kampf- und Einsatzbereitschaft zeigen. Das haben wir am Freitag im Derby vermissen lassen. Der Trainer ist für die Aufstellung und das System verantwortlich. Wenn ich das Gefühl habe, dass die Idee nicht umgesetzt wird, dann erlaube ich mir, darauf hinzuweisen. Die Bilanz der letzten Wochen war zu schlecht.


 

Die Verträge von Sportdirektor und Trainer laufen aus. Zwischen Maurer und Stevic scheint es Dissonanzen zu geben. Es scheint nicht, dass beide bleiben werden.

Das sind Spekulationen. Klar ist, dass die zwei unterschiedliche Typen sind, aber fachlich sehr konstruktive Diskussionen führen. Meine Aufgabe ist es, den Klub dahin zu bringen, dass wir wirtschaftlich und sportlich vorankommen. Und dass wir sportlich insgesamt vorankommen, das sehe ich momentan nicht. Ich denke, dass wir sportlich nicht weiter gekommen sind als im letzten Jahr.

Ist es überhaupt denkbar, dass beide bleiben?

Denkbar ist alles.

Ist es wahrscheinlich?

Vom Bauchgefühl her? (lacht) Wir werden uns nach der Lizensierung am 15. März zusammensetzen, den Gesprächen möchte ich nicht vorgreifen.

Präsident Dieter Schneider scheint mit Maurer weitermachen zu wollen.

Ich finde es okay, wenn sich Dieter Schneider dazu äußert.

Sie sind aber nicht immer einer Meinung?

Fast immer.

Schneider zum Beispiel scheint gegen einen Verkauf der Klubanteile zu sein.

Er hat natürlich Recht, dass es besser wäre, Anteile erst nach der Sanierung zu verkaufen, weil die Anteile dann teurer wären. Wir müssen aber sehen, ob man überhaupt die Wahl hat.

„Wenn unsere Partner und Gott uns helfen, dann schaffen wir den 15. März“, sagte Schneider auch. Braucht es Gottes Hilfe?

Ich bin kein übermäßig gläubiger Mensch, aber Gott schadet nie. Wenn das, was wir uns ausgedacht haben klappt, dann wird die Lizenzierung am 15. März klappen. Wenn nicht, haben wir ein Problem. Bis jetzt hat alles funktioniert. Ich sehe momentan keinen Grund, dass das jetzt zusammenbrechen würde.

Plant man wieder mit einem Defizit für die kommende Saison?

Ohne Zahlen kommentieren zu wollen, werden wir sicherlich nicht aus dem Stand ein Plus machen können.

Der FC Bayern hat den Löwen Stadionmiete und sonstige Schulden bis Saisonende gestundet. Wird man das gestundete Geld zurückzahlen können?

Wir haben ein Sanierungskonzept, das alle wesentlichen Faktoren beinhaltet und sicherlich keinen Posten vergessen. Darüber hinaus werde ich keine Inhalte des Konzepts oder Zahlen kommentieren.

Was entgegnen Sie Fans, die sich eine Insolvenz und den Gang in den Amateurbereich wünschen?

Ich glaube, dass der Weg nach oben heute noch schwerer ist als früher. Wenn wir jetzt schon Probleme haben, finanziell und sportlich auf die Beine zu kommen, dann ist es in der Bayernliga nicht einfacher. Ich möchte den bestmöglichen Fußball sehen und im Idealfall mal wieder ein sportliches Derby in München haben.

Woher glauben Sie, kommt das Bedürfnis dieser Fans?

Ich denke, man hat die Fans zu lange nicht mitgenommen und ihnen aber auch nicht die Möglichkeit gegeben, sich mit dem Neuen zu identifizieren. Ich nehme die Meinung dieser Fans ernst, aber ich finde, wir müssen die Realität annehmen. 

Mit Verlaub, die Realität ist aber derzeit recht grau. Die Allianz Arena ist leer, sportlich ist man seit fast sieben Jahren in Liga zwei. Was kann 1860 den Fans bieten?

Ich verstehe die Sehnsucht nach blauem Himmel. Aber man muss auch sehen, aus welchem Gewitter wir gekommen sind. Der Regen hat vielleicht aufgehört. Aber bis die Sonne scheint, dauert es noch. Wenn du verlierst, hast du keine Argumente im Fußball. Aber ich kann nur appellieren, noch ein bisschen Geduld mit uns zu haben. Wir müssen wieder dahin kommen, dass es Freude macht, zu 1860 zu gehen und dass es Spaß macht, das Geld für die Eintrittskarten auszugeben und nicht als Spende zu sehen.

Wenn Sie Kinder davon überzeugen müssten, Löwen- und nicht Bayern-Fans zu werden – was würden Sie tun?
Ich würde sagen, dass es einen Verein gibt, der schon seit ganz langer Zeit in München ist und der für die Belange von einfachen Menschen steht. Dieser Klub hat in den letzten Jahren sicher nicht alles richtig gemacht, aber er versucht jetzt wieder, zu den Wurzeln zurückzukommen. 1860 ist ein Klub, der nicht alles gewinnen muss. Aber alles, was dieser Klub macht, macht er ehrlich und aufrichtig. Die Fans sollen sagen können, dass sie Anhänger eines Klubs sind, der ehrlich und aufrichtig ist und einen der einen Fußball spielt, der Spaß macht.


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