AZ-Analyse: Ein Sieg für die Löwen-Moral
Der TSV 1860 trennt sich in einem hochdramatischen Zweitligaspiel vom SC Paderborn 4:4. Erst hoffnungslos hinten, dann das Spiel gedreht – und am Ende doch nicht belohnt. Was der Punkt wert ist? Die AZ-Spielanalyse.
München – Normale Fußballspiele sehen anders aus: Der TSV 1860 musste in Paderborn an seine Grenzen gehen, am Ende gab’s dafür nur in Teilen den Ertrag: In einem von vielen Wendungen geprägten Spiel trennen sich die Löwen von den Ostwestfalen 4:4.
Das Spiel: Nach kurzem Abtasten hatte Sechzig die besseren Chancen in der Anfangsphase: Kapitän Christopher Schindler vergab völlig freistehend per Kopf, Youngster Richard Neudecker verzog knapp. Paderborn brachte die Löwen mit dem 1:0 aus dem Konzept und legte nach der Pause nach, Sechzig ließ sich aber nicht unterkriegen. Auch nicht durch den Platzverweis von Neudecker und einen weiteren Gegentreffer. Was dann folgte, war eine irre Aufholjagd. Zum Leidwesen der Löwen ohne Happy End. Insgesamt verdienen es beide Teams, durch großen Kampfgeist nicht leer auszugehen: Die Partie war zwar auch von zahlreichen Fehlern geprägt, aber beide Seiten gaben nicht auf und lieferten sich einen hochdramatischen Fight. Für die Zuschauer in der Benteler Arena und die Fans vorm Fernseher ein fußballerischer Leckerbissen.
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Die Tore: Mit Moritz Stoppelkamp traf ausgerechnet ein früherer Löwe zur Führung: Der Offensivspieler, 2014 von den Blauen nach Paderborn gewechselt, musste den Ball in der 17. Minute nur noch über die Linie drücken. Zuvor hatte Löwen-Torwart Vitus Eicher einen Kopfball von Torjäger Srdan Lakic mit einer starken Parade abgewehrt, beim Abstauber war er machtlos. Nach der Pause legten die Gastgeber nach: Erst konnte Richard Neudecker einen Fallrückzieher von Mahir Saglik nicht verhindern, der zweite Ball landete an der Strafraumgrenze bei Hauke Wahl. Der ließ Christopher Schindler mit einem Haken aussteigen und traf per Flachschuss zum 2:0 (50.).
Dann waren die Löwen dran und konnten durch Gary Kagelmacher verkürzen: Der Rechtsverteidiger brauchte ebenfalls einen zweiten Versuch: Erst strich ihm eine Hereingabe von rechts über den Scheitel, der Ball sparang von Lakic aber wieder vor die Füße des Uruguayers. Der spitzelte die Kugel zum Anschluss in die Maschen (57.). Und jetzt ging der Wahnsinn erst so richtig los: Nur drei Minuten später lag der Ball wieder im Kasten der Löwen, weil Saglik einen Sonntagsschuss aus 25 Metern auspackte. Der Ball rutschte ihm dermaßen perfekt vom Spann, dass Eicher machtlos war und das Geschoss im linken Toreck einschlug.
Die Löwen steckten aber nicht auf - und zwar in Person von Rubin Okotie, der einen lupenreinen Hattrick erzielte: Erst traf der Östereicher per Kopfball-Aufsetzer nach einer Adlung-Flanke (62.), dann schob er aus rund 15 Metern ein, nachdem Mulic nach einem Paderborner Ballverlust am schnellsten schaltete, seinen Gegenspieler mit einem Häkchen in Richtung Tor austanzte. Dort stand Okotie bereit und bedankte sich mit dem Ausgleich (73.). Der dritte Okotie-Treffer war schließlich der sehenswerteste: Wieder lieferte Adlung die Vorarbeit, indem er den Angreifer an der Mittellinie bediente. Was dann folgte, war überragend: Okotie sprintete in Richtung Tor, narrte Gegenspieler Niklas Hoheneder und überwand Keeper Lukas Kruse mit einem platzierten Schuss in die rechte Ecke (88.). Paderborn rannte noch einmal an und erzielte in der Schlussminute tatsächlich noch den Ausgleich: Nach einer Njdeng-Flanke gewann Joker Proschwitz das Kopfballduell gegen Kagelmacher und traf per Kopf in hohem Bogen zum 4:4.
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Das war gut: Zu einem Zeitpunkt, wo andere Teams womöglich aufstecken würden, zeigten die Blauen eine Trotz-Reaktion, die sich sehen ließ. Die Löwen nutzten gleich drei Konterchancen eiskalt durch Okotie – und das in Unterzahl. Von einer solchen Effektivität kann die Möhlmann-Elf sonst meist nur träumen. Auch, wenn am Ende der verdiente Lohn fehlte: Auf dieser Leistung kann Sechzig allemal aufbauen - denn es war ein Sieg für die Moral. Und ein wertvoller Punkt. Klar mit einem Dreier wären die Löwen an Paderborn vorbeigezogen, so hielt Sechzig (14 Punkte) zumindest weiter Anschluss an die Ostwestfalen auf dem direkten Nichtabstiegsplatz (16).
Das war schlecht: Der erste Durchgang von Sechzig. Nach starkem Auftakt ließen sich die Löwen durch die Führung der Hausherren völlig aus dem Konzept bringen. Kaum Szenen in der Offensive, keine gute Arbeit gegen den Ball und in der Defensive schläfrig: In dieser Phase ließen die "Möhlmänner" jene Eigenschaften vermissen, die Sechzig ansonsten seit dem Trainerwechsel ausgezeichnet hatten. Der Trainer korrigierte einmal mehr bereits im ersten Durchgang seine Aufstellung und nahm den schwachen Korbinian Vollman aus dem Spiel und brachte Mulic.
Die Szene des Spiels: In der 59. Minute musste Richard Neudecker gehen. Der Linksverteidiger der Löwen ging im gegnerischen Strafraum nach einem Zweikampf zu Fall. Schiedsrichter Arlt stellte den 19-Jährigen, der zuvor bereits verwarnt worden war, wegen einer Schwalbe mit Gelb-Rot vom Platz. Wie die Fernsehbilder hinterher zeigten, eine Fehlentscheidung. Neudecker konnte es auch gar nicht fassen, er forderte wie alle restlichen Löwen einen Elfmeter. Weil der Abwehrspieler die Löwen dezimierte, ändert sich der Spielverlauf freilich komplett. Statt der Chance auf den Ausgleich vom Elfmeterpunkt mussten die Sechzger in Unterzahl weiterspielen. Am Ende gab’s trotz allem einen Punkt.
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Das sagt Löwen-Trainer Benno Möhlmann: "Für uns war es schon das achte Unentschieden, wir haben leider nur 14 Punkte auf dem Konto. Ich war mit der ersten Halbzeit nicht zufrieden. Wir sind gut ins Spiel gekommen, hatten zwei Torsituationen und haben das Spiel danach unnötigerweise wieder aus der Hand gegeben. Das hat Paderborn nutzen können. In der Halbzeit haben wir darüber gesprochen, wollten die Dinge ändern und kriegen direkt das 0:2. Dann sind wieder wiedergekommen. Dann bekommen wir die gelb-rote Karte, sind einen Mann weniger und kassieren im Gegenzug das 1:3. Letztlich war der Tag für mich schon gelaufen, muss ich gestehen, aber da hat mich die Mannschaft Gott sei Dank eines Besseren belehrt."
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Das sagt Paderborn-Trainer Stefan Effenberg: "Es war ein verrücktes Spiel. Wir haben aufgrund der Chancen, die wir hatten, verdient geführt. Auch vor der Pause hatten wir schon einige Ballverluste, was nicht ins Gewicht fällt, wenn man in die Halbzeit geht und führt. Dann legen wir direkt das 2:0 nach. Auch da hatte ich das Gefühl, dass wir es runterspielen können mit einer gewissen Ruhe, die aber nie reinkam. Man muss den Ball und Gegner laufen lassen, wir haben genau das Gegenteil gemacht. Soll ich mich jetzt Freude über ein 4:4? Auf der einen Seite ja, weil wir zu einem späten Zeitpunkt den Ausgleich gemacht haben. Auf der anderen Seite kann man glücklich sein, dass man einen Punkt geholt hat. Grundsätzlich unzufrieden bin ich nicht, aber wenn man vier Tore zuhause schießt, muss man das Spiel gewinnen."