Als die Fans noch Hüte trugen
Von der Spielstätte zum Kultstadion: Wieso die 1860-Anhänger ihrem „Sechzger” treu bleiben
MÜNCHEN "Im Publikum herrschte eine Stimmung, wie man sie selten erlebt”, beschrieb Petar Radenkovic die Atmosphäre am 25. April 1965. Der TSV 1860 gewann an diesem Abend im Halbfinale des Europacups gegen den AC Turin mit 3:1. In den Jahren danach gibt es noch etliche Erfolge für die Löwen, die Meisterschaft 1966 natürlich, und auch mehrere Aufstiege werden im Stadion gebührend gefeiert. Doch von den damals anwesenden Löwen-Anhängern wird das Turin-Spiel bis heute als das mit der besten Stimmung gerühmt, die es jemals im Sechzger-Stadion gegeben habe.
In den 1960er Jahren hatte ein optischer und akustischer Wandel auf den Tribünen eingesetzt. Bis dahin waren die meist in dunklem Sonntagsgewand mit Krawatte und Hut gekleideten Zuschauer als graue Masse erschienen – so, wie es schon die ersten Sportplatz-Besucher getan hatten. 1860 trug dem Zuschauerboom in den 1920er Jahren mit dem Bau von Münchens erstem Stadion Rechnung. Die Anhängerschaft der Münchner Spitzenvereine, die nun alle im Stadion spielten, wies durchaus Unterschiede auf. Bei 1860 dominierte die lokale Giesinger Arbeiterklasse, der aus Schwabing stammende FC Bayern wies viele Akademiker im Publikum auf.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg das Zuschauerinteresse deutlich an. Während sich die betuchteren Kreise auf den wenigen Sitzplätzen der Haupttribüne einfanden, war die legendäre Stehhalle der bevorzugte Aufenthaltsort des normalen Zuschauers. Zum Repertoire der Anhänger zählten Beifallsbekundungen und einfache Anfeuerungsrufe. In den 1960er Jahren kamen die ersten Fan-Utensilien wie Fahnen oder Hupen in Mode. Die neue Generation von Fans stand bedingungslos hinter ihrer Mannschaft.
Die Anhänger der beiden Vereine, die bei Derbys jahrzehntelang bunt gemischt nebeneinander gestanden waren, begannen sich nun zu separieren. Zudem schwappte in den 1960er Jahren eine Welle aus England in die deutschen Stadien: das Singen im Stadion. In den 1970er Jahren hatten sich die Fankurven dann nicht nur durch die in den Vereinsfarben gehaltene Kleidung optisch verändert, auch die Gesänge wurden aggressiver und oft blieb es nicht bei verbaler Gewaltandrohung.
Nach dem Umzug ins von der Stimmung eher triste Olympiastadion wuchs bei einigen Löwenfans schon bald die Sehnsucht nach einer Rückkehr nach Giesing, woraufhin mehrmalige Stadionwechsel folgten, ehe sich das Thema 1982 mit dem Zwangsabstieg in die Bayernliga erledigte. Dort machte die Treue der Fans bundesweit Schlagzeilen, wenn wieder einmal fünfstellige Besucherzahlen vermeldet wurden. Viele Anhänger blieben aus Frust über den sportlichen Misserfolg aber meist daheim. Gleichzeitig bedeutete das Image als Loser-Klub aber auch, dass 1860 zum unfreiwilligen Gegenmodell des FC Bayern wurde und damit eine Anziehungskraft auf junge Fans ausübte.
Beim Durchmarsch der Löwen von der Bayern- in die Bundesliga verzeichnete das Stadion stets beeindruckende Zuschauerzahlen und die erste Saison nach dem Bundesliga-Aufstieg 1994 gilt bei vielen Fans als „das Tollste, was ich je in meiner Fankarriere erlebt habe”. Die Stimmung ging damals oftmals nicht nur von der Westkurve, sondern auch von den Sitzplätzen der Gegengerade aus.
Der Umzug ins Olympiastadion führte zu einem Bruch in der Fanszene. In den letzten Jahren hat die Szene der Amateure-Fans auf Giesings Höhen wieder Auftrieb bekommen. Und deren Proteste für den Erhalt der Spielstätte, die ihre Höhepunkte mit den X-Tausend-Spielen vor zum Teil fünfstelliger Kulisse erlebten, hatten letztlich Erfolg.