1860-Coach Lienen: Vom Friedensbewegten zum Löwenbändiger

Der neue Löwen-Trainer Ewald Lienen kandidierte einst auf der Friedensliste für den Landtag, doch bereits seit Jahren kümmert er sich nur noch um Fußball.
von  Abendzeitung

Der neue Löwen-Trainer Ewald Lienen kandidierte einst auf der Friedensliste für den Landtag, doch bereits seit Jahren kümmert er sich nur noch um Fußball.

MÜNCHEN Ewald Lienen kam die Treppe runter, das Löwen-Emblem trug er schon auf seiner Brust. „Das ist aber ein schöner Empfang“, sagte er als er die Fans und Reporter sah, er lächelte: „Lasst uns starten.“ Er meinte die Pressekonferenz, aber auch das Unterfangen Klassenerhalt für 1860, mit dem Lienen betraut ist.

Die neue Lässigkeit des Ewald L., dem der Ruf des akribischen Arbeiters vorauseilte? Der ob seiner früheren Angewohnheit in den Spielen alles zu notieren, den Spitznamen „Zettel-Ewald“ erhielt? Ganz konnte er den Detailfanatiker doch nicht unterdrücken. Andauernd putzte Lienen hingebungsvoll und diszipliniert seine Lesebrille, die um seinen Hals baumelte. Hingabe und Disziplin sind bei ihm Auswuchs seines Wertesystems. Das geht – und ging – stets über den Sport hinaus. Und doch manifestiert es sich für ihn im Mikrokosmos Fußball. „Wenn wir es nicht schaffen, Konflikte im direkten Umfeld friedlich zu lösen, wie soll das dann erst auf internationaler Ebene funktionieren?“, meinte Lienen etwa.

Die Brüche in der eigenen Vita gehören für ihn zum Reifungsprozess. Er, der nie Profi werden wollte, weil er wichtigere Aufgaben in der Welt sah, hat „irgendwann eingesehen, dass es den Beruf, in dem man die Welt positiv verändern kann, nicht gibt“. Also wurde er Profi. Ein etwas anderer Profi. Einer, der sich um geistig behinderte Kinder kümmerte, der sich politisch engagierte. Er kandidierte in den 80er Jahren in Nordrhein-Westfalen für die DKP-nahe Friedensliste für den Landtag (und erhielt gut zwei Prozent der Stimmen), er wurde ideologisch den Kommunisten zugerechnet. Doch wie so oft bei Lienen griff das zu kurz. „Ich hatte nie Berührungsängste mit den Kommunisten, aber gerade die DKP und ihrer Vasallentreue zur DDR war mir politisch immer sehr fern.“

Heute engagiert sich Lienen nicht mehr in der Friedensbewegung. „Mir ist das Sendungsbewusstsein abhanden gekommen.“ Doch er steht zu seiner Vergangenheit, zu seinen Überzeugungen. Auf die er stolz ist. „Erst durch die Friedensbewegung ist es möglich geworden, dass die Bundesregierung heute eine Politik macht, auf die ich stolz bin. Dass sie sich dem Irak-Krieg verwehrt“, sagte er 2001. Lienen, der 1987 die Spielergewerkschaft VdV (Vereinigung der Vertragsfußballspieler, d.Red.) gegründet hat, ist ein Mann klarer Worte, aber er trägt seine Überzeugungen nicht mehr wie ein Schild vor sich her.

Der 55-Jährige hat den Extremismus und die Selbstgefälligkeit der Jugend abgelegt. Er hat sich Selbstbeherrschung antrainiert, die dem leidenschaftlichen Lienen nicht angeboren ist. Als ihm am 14. August 1981 von seinem Bremer Gegenspieler Norbert Siegmann der Oberschenkel 26 Zentimeter lang aufgeschlitzt wurde, attackierte er Werder-Coach Otto Rehhagel und warf diesem vor, er habe Siegmann angestiftet. Beim 2:5 seiner Rostocker gegen Gladbach 1998 nahm er Schiedsrichter Dardenne, der seinen Spieler Dowe des Feldes verwiesen hatte, die Rote Karte aus der Hand. Lienen: „Es war nur meiner jaherlang praktizierten Beherrschtheit zu verdanken, dass nicht mehr passiert ist.“

Da entsprach er so gar nicht der „Heldensage vom heiligen Ewald“, wie ihn die Band „Wise Guys“ nach dem Kölner Aufstieg unter Lienen besang. „Da kam der Retter in der Not – Ewald Lienen, führt uns ins gelobte Land – Ewald Lienen“, heißt es da. Die Löwen hoffen, dass der „heilige Ewald“ wieder Wunder wirkt. Der Friedensbewegte, der zum Löwenbändiger wurde.

Matthias Kerber, Boris Breyer

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