Trainer des Jahres Pat Cortina: "Das ist mein Stanley Cup"
Pat Cortina trainiert seit September auch die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft. Hier spricht der Coach des EHC über seine Erfolge, die Stadt München – und eine große Sinnkrise.
AZ: Mister Cortina, seit sieben Jahren sind Sie der Trainer des EHC München, kein Wort dürften Sie in dieser Zeit öfter gebraucht haben als humble, das im deutschen so viel wie bescheiden oder demütig bedeutet. Wofür steht für Sie Demut auf dem Eis?
PAT CORTINA: Es ist für mich eine Einstellung, die Champions formt. Es heißt, nie zu leicht mit dem Erreichten zufrieden zu sein. Es bedeutet, hart zu arbeiten, sich zu hinterfragen. Es steht für das Wissen, dass der gestrige Erfolg genau das ist: gestrig, vergangen. Auf einer tieferen Ebene bedeutet es, seine Grenzen zu kennen und zu akzeptieren. Seine Schwächen zu kennen, ist eine der größten Stärken. Kaum ein Fisch kann fliegen, das muss ein Fisch akzeptieren. Bescheidenheit heißt: Dass jede Erfahrung, die wir im Leben machen, mit Wunden verbunden ist. Diese Wunden sind wie Orden. Bescheidenheit bedeutet, zu wissen, dass das Kollektiv über dem Individuum steht, dass persönliche Erfolge unwichtig sind, ohne den Erfolg des Ganzen.
Na dann Herr Cortina, ist es jetzt an Ihnen, bescheiden zu sein. Die Leser der Abendzeitung haben Sie zum Trainer des Jahres 2012 gewählt!
Wow! Wow! Das ist Wahnsinn, das ist krank! Danke im Namen des ganzen EHC! Diese Auszeichnung, die von den Lesern, also den Fans in München kommt, ist eine unglaubliche Auszeichnung für die Organisation. Ich bin nur das Gesicht, das exemplarisch für den EHC steht, aber es ist eine Trophäe die dem Verein gilt, die zeigt, dass die harte Arbeit, die die Spieler, die Betreuer, alle in all den Jahren abgeliefert haben, Früchte trägt. Das ist ein wunderbarer Moment! Danke, liebe AZ-Leser!
Was war Ihr größter persönlicher Erfolg als Spieler?
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je einen Titel gewonnen hätte. Mein größter Erfolg war es wohl, dass ich sowohl im Football als auch im Eishockey zum Kapitän gewählt wurde, obwohl ich sicher nicht der beste oder talentierteste Spieler war. Auch dass ich im Eishockey ein Stipendium für ein französischsprachiges College erhalten hatte, war ein Erfolg.
Und als Trainer?
Der Aufstieg mit dem EHC, die Erfolge in Italien und auch, dass ich in Ungarn für die Arbeit mit der Nationalmannschaft zum Ritter geschlagen wurde. Aber diese Wahl hier, die betrachte ich als meinen persönlichen Stanley-Cup!
Es zeigt, wie sehr Sie in München beliebt sind.
Das beruht auf Gegenseitigkeit. Erst vor ein paar Tagen hat meine Frau, die seit einem halben Jahr auch hier lebt, gesagt wie schön es in München ist. Ich habe nur gemeint: Du hast noch fast gar nichts gesehen. Die Stadt hat alles zu bieten, wovon man träumen kann. Sport, Kultur, Natur, gutes Essen. Sie ist sicher, sauber. Ich habe mich von der ersten Sekunde an heimisch und wohl gefühlt. In all den Jahren gab es vielleicht zwei, drei Vorfälle, in denen Menschen mit mir die Geduld verloren haben, weil ich manchmal im Deutschen unfähig bin mich so auszudrücken, wie ich es will. Aber in all den Fällen waren es keine Münchner.
Sie sind nicht nur EHC-Coach, sondern nun auch Bundestrainer. Haben Sie daran gedacht, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen?
Ich muss zugeben, das ist mir schon in den Sinn gekommen. Ich lebe hier, ich liebe es hier. Ich fühle mich sehr deutsch, ich will dem Land das mich so grandios aufgenommen hat, auch den Respekt erweisen, den es mir gezeigt hat. Die größte Hürde wäre sicher der Sprachtest. Mein Deutsch ist leider nicht so gut, das es rechtfertigen würde, dass man mir die Staatsbürgerschaft geben könnte. Aber ich arbeite daran. Mal sehen, ob ich irgendwann ein in Französisch-Kanada geborener Deutscher mit italienischen Wurzeln bin.
Vor einem Jahr stand der EHC vor dem Aus und Sie waren fast Ihren Job in München los. Sie waren damals emotional sehr angeschlagen. Hand aufs Herz: Wie nahe waren Sie damals am Burnout? Ganz ehrlich?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie weit ich noch davon entfernt war, in dieses tiefe Loch zu fallen. Aber es ging mir nicht gut. Auf jeden Fall war es eine große Sinnkrise. Mit der Zeit habe ich mir ganz essenzielle Fragen gestellt. Kann ich es verantworten, dass ich meiner Familie nur eine derart unsichere Zukunft präsentieren kann? Bin ich als Familienvater nicht verpflichtet, ihnen Sicherheit zu geben? Ist der Beruf des Eishockeytrainers, den ich so liebe, der richtige für mich als Ernährer einer Familie? Es waren quälende Fragen, die ich zum Glück nicht ganz zu Ende denken musste, da sich beim EHC alles zum Guten wandte. Diese Auszeichnung der AZ-Leser zeigt, dass sich all der Schweiß, die Arbeit, die Tränen aller EHC-Mitarbeiter gelohnt haben.
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