Tennis sucht den Superstar

Hier erklärt der erfolgreichste Trainer der Welt, Nick Bollettieri, die Krise im Frauentennis – und warum die Talente der Zukunft vermehrt aus sozial schwächeren Elternhäusern stammen werden.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Serena Williams peilt ihren vierten US-Open-Titel an. Einen Superstar der Szene sieht Bollettieri aber auch in ihr nicht (mehr).
dpa Serena Williams peilt ihren vierten US-Open-Titel an. Einen Superstar der Szene sieht Bollettieri aber auch in ihr nicht (mehr).

Hier erklärt der erfolgreichste Trainer der Welt, Nick Bollettieri, die Krise im Frauentennis – und warum die Talente der Zukunft vermehrt aus sozial schwächeren Elternhäusern stammen werden.

AZ: Herr Bollettieri, die US Open gelten als Superbowl des amerikanischen Tennis. Schönheitsfehler in diesem Jahr: Es ist kein US-Herrenspieler mehr im Turnier.

NICK BOLLETTIERI: Wir sind verwöhnt gewesen von der goldenen Generation: Sampras, Courier, Chang, Agassi. Das war eine Jahrhundertkonstellation, absolut einmalig, selbst für Amerika. Und genau wie in Deutschland in der Zeit von Becker und Stich hat man die Nachwuchsarbeit schleifen lassen. Für eine Nation wie die USA ist dieses Abschneiden kein Ruhmesblatt.

Fehlt der Ehrgeiz bei den Spielern? Was ist das Problem?

Tennis ist eine der globalsten Sportarten. Spieler aus Asien, aus Osteuropa, aus Südamerika sind oft hungriger, haben mehr Biss. Sind bereit, eher an ihre Grenzen zu gehen. In meiner Akademie ist die ganze Welt versammelt, und die mit dem größten Willen kommen aus China. Neulich stand ein chinesisches Elternpaar bei mir im Büro, die wollten ihre nicht mal zehn Jahre alte Tochter im Camp unterbringen. Würde das jemand in Amerika, in Westeuropa machen? Sicher nicht.

Stimmt wohl.

Tennis muss offen sein für alle in der Gesellschaft. Meine Akademie, aber auch der US-Verband unterstützen inzwischen viele Kids aus sozial schwächeren Elternhäusern. Erfolg hat eben mit dem Willen zu tun, ein besseres Leben haben zu wollen. Die Familie Scharapowa stand bei uns mit zwei Koffern und sonst nichts vor der Tür, die haben daheim fast alles aufgeben, um Maria die Karriere zu ermöglichen. Man kann das kritisieren, aber wo die Sache endete, weiß heute die ganze Welt.

Trotz großer Nachwuchsprobleme war die 17-jährige Amerikanerin Melanie Oudin die Entdeckung des Turniers.

Sie hat die mentale Härte, um sich in der Spitze zu behaupten. Sie ist die erste aus einer Gruppe von talentierten amerikanischen Spielerinnen, die in den nächsten Jahren das Frauentennis beleben werden. Dass sich jemand mit 1,65 Metern Körpergröße durchsetzt, finde ich bemerkenswert. Sie ist im Kopf ihrem Alter weit voraus, sie ist eine Strategin, die sich genau wie Justine Henin überlegt: Was muss ich machen, um die Großen zu schlagen?

Seit Henin in den Ruhestand abgetaucht ist, wechselte die Weltranglistenspitze acht Mal. Das Damentennis ist in keinem guten Zustand.

Die dauernden Wechsel sind nicht gut für das Image. Die größte Faszination im Tennis liefern immer dominierende Spieler, die sich gegen den großen Rest behaupten – oder schillernde Zweikämpfe wie zuletzt zwischen Federer und Nadal. Aber im Damentennis sehe ich keinen Superstar und auch keine große Rivalität. Gut, dass Kim Clijsters zurückgekehrt ist, das ist eine starke Belebung. Noch besser wäre es, auch Henin käme zurück.

Bei den Männern ist Roger Federer wieder die beherrschende Persönlichkeit. Hat Sie sein Siegeszug im Sommer überrascht?

Nein. Federer hatte vorübergehend den Glauben an sich verloren, aber nichts von seinem großartigen Können eingebüßt. Dann kam das Turnier in Madrid, er schlug Nadal - und plötzlich war er wieder in seiner ganzen Herrlichkeit da. Vor allem fürchten ihn die anderen Jungs wieder, keiner will gegen ihn spielen. Wo seine Rekordjagd endet, weiß ich auch nicht. Aber wahrscheinlich wird er mehr als 20 Grand Slams gewinnen. Auch seine neue Vaterrolle wird ihn nicht einschränken, er ist ein so entspannter Typ, dass ihn dass gar nicht belastet.

Für ihre Schützlinge Tommy Haas und Sabine Lisicki verliefen die US Open unglücklich.

Wenn man sich jetzt das Feld anschaut, dann muss man sagen: Beide hätten am Finalwochenende dabei sein können. Sabine hat nach der Verletzung aber praktisch ohne Aufschlag gespielt, es war schon mutig, überhaupt anzutreten. Tommy wird sich selbst am meisten ärgern, wenn er jetzt im Fernsehen das Turnier anschaut - es war eine verpasste Chance, hier ganz weit nach vorne zu kommen.

Sie motivieren nicht nur Tennisspieler, sondern angeblich auch US-Soldaten, die nach Afghanistan müssen.

Für mich ist es eine Ehre, vor den jungen Leuten zu sprechen. Sie haben eine harte Zeit vor sich, und das Beste ist, sich jeden Tag so perfekt wie möglich auf die Aufgaben vorzubereiten. Im nächsten Jahr werde ich wohl nach Kabul reisen und dort vor den Truppen reden. Die Regierung hat mich darum gebeten.

Interview: Jörg Allmeroth

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.