Stephanie Beckert: Die Silberfrau vom Goldacker
VANCOUVER - Die 21-jährige Eisschnelläuferin wird in Vancouver überraschend Zweite. Danach trifft sie ihr großes Idol Gunda Niemann-Stirnemann– und vermisst ihren Labrador Trixie.
Kerspleben. Ein 1700-Einwohner-Dörfchen sechs Kilometer nordöstlich von Erfurt. Berühmtester Bewohner: Fußballer Carsten Sänger, 16 Länderspiele für die DDR, nun Trainer beim FC Blau-Weiß Dachwig-Döllstädt. Das ist vorbei. Carsten Sänger wird seinen Promi-Status verlieren. Seit Sonntagnacht hat eine andere seinen Platz eingenommen: Stephanie Beckert, 21 Jahre alt und Silbermedaillengewinnerin bei Olympia.
Nicht nur Sänger wird überrascht gewesen sein, als für die junge Thüringerin vom Eissportclub Erfurt im Richmond Olympic Oval plötzlich die „2“ aufleuchtete. Als ihre Team-Gefährtin Daniela Anschütz-Thoms im letzten Paar über 3000 Meter ins Ziel gerauscht war und auch im siebten Anlauf um gerade mal drei Hundertstel eine olympische Einzelmedaille verpasst hatte, da war die Sensation perfekt: Silber für Beckert, Blech für Anschütz-Thoms.
Auf den letzten 400 Metern hatte die 35-Jährige Anschütz-Thoms rund 1,8 Sekunden auf ihre Erfurter Rivalin verloren und war danach am Boden zerstört: „Ich habe Sch... an der Backe kleben. Ich bin unendlich traurig.“
Das war Stephanie Beckert natürlich nicht, aber nach einer Überraschungs-Silbermedaille sah ihr Jubel nicht aus. Es gab nämlich kaum welchen. Als Platz zwei feststand, hüpfte sie nicht aufgekratzt herum, fiel niemandem um den Hals. Sie schaute nur still zur Anzeigetafel hinauf und lächelte. Seit 2006 startet sie im Weltcup, hat zwei Siege eingefahren, aber über die Langstrecken erst vier Weltcups bestritten. In Moskau im Februar 2008 kam sie erstmals unter die Top 3 – hinter der jetzigen Olympiasiegerin Martina Sáblíková und einer gewisssen Claudia Pechstein.
Das große Vorbild der Erfurterin ist eine Andere: Gunda Niemann-Stirnemann, Serien-Siegerin der 90er-Jahre. Zu Hause in Kerspleben hängt ihr Zimmer voll mit Gunda-Postern, und als die dreimalige Olympiasiegerin, die in Richmond als Co-Kommentatorin für das ZDF arbeitet, ihr als eine der Ersten gratulierte, da dürfte sich so einiges abgespielt haben bei Stephanie Beckert.
Gesagt hat sie: „Gunda hat mich begeistert, seit ich zehn war. Auch wegen ihr bin ich damals vom Eiskunstlauf zum Eisschnelllauf gewechselt.“
Beckerts Karriere begann in einer eissportverrückten Familie: fünf Geschwister und Mutter Angela – alles Eisschnellläufer. Doch die kleine Stephanie will lieber eiskunstlaufen. Sie verliert erst die Lust, als sich keine Erfolge einstellen. Die hat sie dann nach dem Wechsel recht flott: Sieben Mal wird sie deutsche Juniorenmeisterin.
Nur Bruder Patrick konnte mit ihrer Entwicklung einigermaßen mithalten. Über 5000 Meter belegte er in Vancouver als bester Deutscher Rang 22. Er ist der einzige aus der Familie, der sie nach Vancouver begleitete - was Stephanie Beckert sehr bedauert: „Die ganze Familie hat mir geholfen, wenn es mal nicht lief. Ich vermisse sie hier so sehr. Und auch meine Labrador-Hündin Trixie. Natürlich habe ich schon telefoniert. Sie sind alle völlig aus dem Häuschen. Da wird jetzt immer noch gefeiert.“
In der kommenden Woche stehen noch der Teamwettbewerb und die 5000 Meter auf dem Programm: weitere Medaillenchancen für Stephanie Beckert. Dafür soll dann nun der Straßennamen ihrer Heimatgemeinde Kerspleben ein gutes Omen sein: Die Beckerts wohnen Am Goldacker. tbc
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