„Staubtrocken“

Audio von Carbonatix
Hier spricht Box-Champion Vitali Klitschko (38) über seinen WM-Kampf auf Schalke, den richtigen Zeitpunkt für ein Karriereende und ein Bild, für das er sich schämt.
AZ: Herr Klitschko, Sie steuern auf die 39 zu, auch für Schwergewichtler ein hohes Box-Alter. Wollen Sie sich noch lange im Ring prügeln – oder wird es bald Ihren Abschied, die Klitschko-Dämmerung, geben?
VITALI KLITSCHKO: Lassen Sie mich so antworten, schauen Sie meine Hände an.
Sehen ziemlich groß und mächtig aus.
Und staubtrocken. Ich habe noch viel trockenes Pulver in meinem Fäusten. Aber ich verstehe Ihre Frage. Im Trainingslager beim Stanglwirt in Going bin ich jeden Tag an einem Sinnspruch vorbeigegangen: „Die Zeit schlägt uns alle.“ Sehr viele Sportler haben dies nicht beachtet. Aber wann die Zeit gekommen ist – im Leben und im Sport –, das weiß nur Gott allein. Genau aus diesem Grund bestreite ich aber jeden meiner Kämpfe so, als wär’s mein letzter.
Einer, der den Zeitpunkt sicher verpasst hat, ist Box-Legende Evander Holyfield, der sich mit seinen 47 Jahren immer noch im Ring versucht.
Das tut mir weh. Holyfield war eines meiner Vorbilder. Jetzt zu sehen, wie er zum lebenden Sandsack für junge Boxer wird, trifft mich. Ich verspreche, ich werde nie zum Sandsack für die neue Generation werden.
Gegen Albert Sosnowski verteidigen Sie in der Arena auf Schalke Ihren WM-Titel. Davon haben Sie geträumt.
Das ist unglaublich, wenn dir 50000 Fans zujubeln, das wollte ich unbedingt erleben. Ein Traum wurde wahr.
Speziell, wenn man an Ihre Anfänge zurückdenkt.
Ja, ich war 13 Jahre alt bei meinem ersten Kampf, es waren vielleicht 80 Zuschauer da, alles Soldaten. Und ich verlor auch noch! Aber schon damals hatte ich den Glauben, dass ich irgendwann Weltmeister werden würde.
Ernst genommen hat Sie da aber vermutlich keiner.
Ich glaube, meine Freunde haben selten so gelacht. Aber ich habe ein Gedächtnis wie ein Elefant. Nachdem ich Weltmeister geworden war, habe ich sie alle zum Essen eingeladen. Da sagte ich: Erinnert ihr euch noch an den kleinen Vitali und was er damals gesagt hat, wofür ihr ihn verlacht habt? Ich sagte, ich würde Weltmeister, ich bin Weltmeister. Dann haben wir alle zusammen gelacht. Aber das war meine kleine Rache.
Auf Rache sinnen die Klitschkos auch gegen WBA-Champion David Haye, der Sie und Ihren Bruder mit geschmacklosen Sprüchen und T-Shirts provoziert hat, aber die angesetzten Kämpfe gegen Sie und zuvor gegen Ihren Bruder Wladimir platzen ließ.
Ich würde Haye gerne meine Faust essen lassen. Er redet groß, aber wenn es darauf ankommt, ist er ganz klein. David, entweder du kämpfst gegen einen von uns, oder du hast einen neuen Titel, den du tragen kannst: Feigling! Er weiß: Wann immer er mit einem Klitschko in den Ring steigt, würde er das gleiche Schicksal erleiden – bewusstlos am Boden zu liegen. Ich würde kurzen Prozess machen. Ich will nur seinen Gürtel, den letzten WM-Gürtel, der nicht im Besitz der Klitschkos ist. Wladimir interessieren die Gürtel nicht, er sieht das als eine persönliche Sache zwischen ihm und Haye. Er würde Haye im Ring lange quälen und erst ganz am Schluss zu Boden schicken. Gegen mich wird es kurz und schmerzhaft, gegen Wladimir lang und schmerzvoll.
Neben Ihrer Box-Karriere engagieren Sie sich in der ukrainischen Politik. Dort gab es zuletzt Schlägereien, sogar Tränengaseinsätze im Parlament. Eher nicht das Bild von der Ukraine, das Sie in die Welt getragen haben wollen.
Nein, das war sehr peinlich und ich schäme mich, dass meine Heimat so ein Bild abgibt. Wenn Menschen sich im normalen Leben nicht mehr mit Worten auseinandersetzen können, sondern zu physischer Gewalt greifen, dann zeigen sie nur ihre Hilflosigkeit, sie demaskieren sich selber. Was zur Zeit in der Ukraine abgeht, bereitet mir Sorgen. Es gibt eine harte Trennung zwischen dem Osten und dem Westen, zwischen prorussischen und proeuropäischen Tendenzen. Wir müssen aufpassen, dass mit der Ukraine nicht dasselbe geschieht, was mit Jugoslawien passiert ist: dass das Land in viele kleine Nationen zersplittert. Das wollen wir verhindern. Ich will die Zukunft der Ukraine aktiv gestalten, nicht nur passiv zuschauen und meckern, was schief läuft. Es liegt an jedem Einzelnen von uns, ob es schiefgeht – oder eben nicht.
Auch bei der Vorbereitung auf die Fußball-EM 2012, die die Ukraine und Polen zusammen ausrichten sollen, läuft viel schief. Uefa-Präsident Michel Platini äußerte seine große Sorge, dass nicht alle ukrainischen Spielorte rechtzeitig fertiggestellt werden.
Platini ist mit seinen Sorgen nicht allein. Diese EM ist eine einmalige Chance für die Ukraine, sich positiv zu präsentieren, zu zeigen, wie weit unsere junge Demokratie schon ist. Es wäre ein Fiasko, wenn das ins Gegenteil umschlagen würde, weil wir es nicht schaffen, alle Spiele auszutragen. Das darf nicht passieren, das würde uns weit zurückwerfen. Deswegen engagiert sich unsere Firma KMG (Klitschko Management Group, d. Red.) auch direkt, damit die EM ein voller Erfolg wird. Ich wünsche mir das sehr. Auch das wäre ein Traum von mir.
Interview: Matthias Kerber
- Themen:
- Michel Platini
- Vitali Klitschko