Spiele der Herzlichkeit
MÜNCHEN Die Olympiahalle ist in der Mitte geteilt und doch stehen alle zusammen. Auf der einen Seite balancieren Judoka über umgelegte Holzbänke, wie man sie von früher aus den Turnhallen kennt. Auf der anderen Seite kämpfen die „Lady Runners” aus Neuendettelsau auf dem Basketballcourt gegen die Konkurrenz aus Amberg. Ramona Wolf ist eine der Lady Runners und nimmt trotz geistiger Behinderung mit vollem Einsatz teil – immerhin geht es für die Mädchen aus Mittelfranken um Gold. Gold bei den „Special Olympics”, den Spielen für Menschen mit geistigem Handicap. Es sind aber auch die besonderen Spiele. Die, bei der die Herzlichkeit an erster Stelle steht.
Im wahren Leben schüchtern, scheut Ramona auf dem Court keinen Zweikampf. Passen, werfen, in Position laufen – seit Herbst trainiert sie hart für ihre ersten Spiele. Die Eröffnungsfeier am Montag hat die 23-Jährige in der Olympiahalle hautnah mitverfolgt. „Das mit dem Feuer”, sagt sie, „das hat mir am besten gefallen.” Die Lady Runners schlagen sich in ihrem ersten Spiel gut, gewinnen mit 8:0. Ramona hat keinen Korb erzielt, aber das ist egal.
18 Sportarten haben die nationalen Wettkämpfe mit nach München gebracht, das Olympische Feuer inklusive. 5000 Athleten messen sich in verschiedenen Klassen, 1200 von ihnen kommen aus Bayern. Basketball findet dabei als „unified” (Englisch für „vereinigte”) Sportart statt – hier treten behinderte und nichtbehinderte Athleten gemeinsam an. Die 25-jährige Nicole Schwamb spielt zusammen mit Ramona Basketball, ist eine von 151 nichtbehinderten Athleten. „Es ist wirklich bemerkenswert, wie viel man aus den Teamkollegen rausholen kann”, sagt sie. Ganz nach dem Motto der Spiele – „Gemeinsam stark” – spielt sie schon seit 2005 mit geistig behinderten Sportlerinnen zusammen: „Ein Riesenspaß.”
Noch länger, insgesamt elf Jahre, gibt Hansjörg Bauer bei den Judoka den Ton an. Im echten Leben ist er Hauptkommissar bei der Polizei. Seine Leidenschaft gehört dem Judo. Als Trainer von „G-Judo” – das G steht für die geistige Behinderung – schickt der Ingolstädter zehn Athleten an den Start.
„Es ist die Herzlichkeit trotz aller Konkurrenz, die einen umhaut”, sagt er. Einer seiner Schützlinge, Jochen Brezina, ist ein Goldkandidat. Normalerweise ist der 40-Jährige Schreiner bei der Lebenshilfe. „Holzwurm sagt man auch zu mir”, meint Jochen. In München tritt Jochen, der Holzwurm mit dem grünen Gürtel, in der ersten Kategorie an – was dem olympischen Judo sehr nahe kommt. Für die Spiele hat er heimlich fünf Kilo abgenommen, damit er nicht mit seinem Kumpel Roman, einem 89-Kilo-Brocken, in derselben Gewichtsklasse kämpfen muss. Dafür rechnet sich Jochen im „Kataturnier” Chancen gegen Roman aus, einer Art choreographierten Wurf- und Technikfolge. „Ich bin sein Wurfdummy”, sagt Trainer Bauer und man ahnt, wie gut Jochen sein muss, wenn er diesen Bär von einem Hauptkommissar über die Schulter werfen kann.
Dreimal hat Jochen bei den besonderen Spielen schon Gold gewonnen. Und trotz eines Intelligenzquotienten von unter 75, dem Limit für Judoka der Special Olympics, bekommt der 40-Jährige sein Leben alleine auf die Reihe. „Nur beim Finanziellen, da hilft die Mama”, sagt er. Ein Motto der Spiele lautet auch: „In jedem von uns steckt ein Held.” Manchmal auch ein heldenhafter Holzwurm.
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