Special Olympics der Geistigbehinderten: Ein Sieg fürs Leben

Im Chiemgau kämpfen in dieser Woche 600 Sportler um Medaillen. In der Gesellschaft ringen sie um die Anerkennung.
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Auch sie hoffen, durch die Spiele in Inzell in der  Öffentlichkeit mehr Beachtung zu finden: Zwei der 600 Teilnehmer der Special Olympics.
Special Olympics Deutschland Auch sie hoffen, durch die Spiele in Inzell in der Öffentlichkeit mehr Beachtung zu finden: Zwei der 600 Teilnehmer der Special Olympics.

Im Chiemgau kämpfen in dieser Woche 600 Sportler um Medaillen. In der Gesellschaft ringen sie um die Anerkennung.

INZELL Die Kathi Schäfer, Startnummer 57, hatte großen Rückstand. Und das im Riesenslalom, ihrer Spezialdisziplin. Nach einem Fahrfehler, oben am dritten Tor, aber unten im Ziel, da riss sie die Arme hoch und jubelte, als sei sie gerade Weltmeisterin geworden. So wie die Kathi Hölzl, ihre Namensvetterin. Als die im Februar in Val d’Isère triumphierte, schauten in Deutschland viele zu. Bei Kathi Schäfer schauen viele weg. Weil sie das Down-Syndrom hat.

Die 24-Jährige aus Gröbenzell ist diese Woche in Inzell dabei, bei den Nationalen Special Olympics. Die Deutschen Meisterschaften für Geistigbehinderte, die zu kämpfen haben. Mit den Tücken der Skipiste, vor allem mit Anerkennung der Gesellschaft.

Eine Anerkennung, die die Körperbehinderten mit den Paralympics geschafft haben, mit Live-Berichten im TV. Bei den Special Olympics ist die Öffentlichkeit reservierter.

Es fällt der Gesellschaft schwerer, einen Menschen mit Trisomie 21 anzuschauen, einen, mit einem Chromosom mehr, als einen mit einem Bein weniger.

Das hat auch Volker Leiberger erfahren. Der 43-jährige Betreuer von der Langauer Mühle, einer Werkstatt in der Pfalz, die mit zehn Langläufern nach Inzell kam. Vor einigen Jahren wollte Leiberger für seine Gruppe ein Hotel in Garmisch buchen. Aber die Wirtin weigerte sich, die Behinderten aufzunehmen.

Denn schließlich, was sollten da die anderen Hotelbesucher denken? Beim Frühstück, beim Abendessen, mit debilen Idioten am Nebentisch, Mongos und Spastis. Da würde ihnen ja der Appetit vergehen, den Gästen. Den Normalen.

Die üblichen Vorurteile halt. Bis sie sie unter viel Murren dann doch aufnahm.

Meistens sind sie eben doch unter sich, zuletzt im Februar bei den Winterspielen in Idaho jetzt im Februar mit 2500 Sportlern. Jetzt in Inzell mit 600.

600 Menschen, alle mit schweren Einschränkungen. Weil sie das Down-Syndrom haben, bei der Geburt ohne Sauerstoff waren, schwere Unfälle mit irreparabler Hirnschädigung hatten. Es gibt viele Ursachen, warum sie hier sind, aber nur einen Grund. „Über den Sport bekommen sie ein Selbstwertgefühl“, sagt Ulrich Schäfer, Kathis Vater, „es hilft ihnen, in ihrem Leben Fortschritte zu machen.“ Von Fortschritten reden sie hier oft, gerade Eltern, die auch erst lernen mussten, mit einem behinderten Kind zu leben.

Bei den Schäfers ist die Kathi die mittlere von drei Töchtern. Als sie auf die Welt kam und zunächst fern der Mutter im Brutkasten lag, traute sich Ulrich Schäfer erst nicht, seiner Frau die Wahrheit zu sagen. Es sei alles gut gegangen, sagte er ihr, worauf sie erleichtert erwiderte: „Ein Glück, dass sie nicht mongoloid ist.“ Heute sagen die Schäfers: „Ein Glück, dass wir sie haben.“

Heute lebt die Kathi im Franziskuswerk Schönbrunn, einer Behinderteneinrichtung hinter Dachau. Dort arbeitet sie in der Werkstatt, kocht ihr Essen, schaut am liebsten Soaps und fährt am Wochenende heim zu den Eltern. Nichts ungewöhnliches für eine erwachsene junge Frau. Nur dass die Kathi wohl immer auf dem geistigen Stand einer 13-, 14-Jährigen bleiben wird, wie der Vater sagt.

Und wieder spricht er von den „kleinen Fortschritten“. Von Bestätigungen wie am Montag. Da durfte sie bei der Eröffnungsfeier in Inzell nämlich den Eid sprechen. „Lasst mich gewinnen“, so die Formel. „Aber wenn ich nicht gewinnen kann, dann lasst es mich mutig versuchen.“ Und das tun sie hier alle.

Wo sie eingeteilt sind in viele Achtergruppen, je nach ihrer Zeit im Vorlauf. Wo somit jeder in seiner Kategorie eine Chance auf Gold hat. Wo schon die ganze Teilnahme ein Sieg fürs Leben ist. Auch wenn die Kathi ohne Medaille heimfährt, sie, die gerade im Ziel ist, neben dem Papa.

„Die Kathi ist ein sehr, sehr glücklicher Mensch“, sagt Ulrich Schäfer noch. Dann nimmt er seine Tochter in den Arm und geht mit ihr zum Mittagessen, in die Kessel-Alm, die Hütte neben dem Tellerlift. Da gibt es Geschnetzeltes mit Reis. Das mag die Kathi besonders gern. Eine Belohnung für ihre mutige Fahrt. Auch wenn sie nicht gewonnen hat.

Glücklich ist auch Volker Leiberger. Weil ihm die Arbeit so viel gibt, sagt er. Und wegen der Sache mit der Post an Weihnachten, wie er sagt. „Da habe ich immer Gänsehaut.“

Weil da jetzt immer eine Karte kommt. Aus Garmisch. Von besagter Hotelwirtin. Sie schreibt regelmäßig, weil sie so begeistert war von der Herzlichkeit der behinderten Gäste, ihrer Rücksicht, ihrem Ordnungssinn. Wie sie selbst den Tisch abräumten, das Zimmer säuberten, die Betten machten. Dieses Mal hatte die Wirtin den neuen Prospekt des Hotels beigelegt. Darauf hatte sie jetzt drucken lassen: „Behinderte sind bei uns herzlich willkommen.“

Auch sie hat Fortschritte gemacht.

Florian Kinast

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