Ski-Springer Wellinger: "Wäre erste Sommer-Weltmeister im Skispringen"

Der deutsche Skisprung-Star könnte nachträglich doch noch mit der Goldmedaille belohnt werden. In der AZ spricht der Traunsteiner über den Skandal bei der WM und die Anzugschummeleien der Norweger.
Thomas Becker |
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Konnte noch eine Goldmedaille zugesprochen bekommen: Andreas Wellinger.
Konnte noch eine Goldmedaille zugesprochen bekommen: Andreas Wellinger. © IMAGO

AZ: Herr Wellinger, beim Wings for life World Run am Sonntag im Olympiapark werden Sie wieder das sogenannte Catcher-Car fahren, das die Läufer nach und nach einsammelt. Da braucht ihr Gas-Fuß wie beim Skispringen ein Gefühl für den richtigen Druckpunkt, korrekt? Oder hilft der Tempomat?
ANDREAS WELLINGER: Den gibt’s, aber der funktioniert erst ab 20 km/h.

Wellinger will keinen "über den Haufen fahren"

Das ist flott.
Das Tempo habe ich nach etwa zweieinhalb Stunden. Davor ist nur der große Zeh am Pedal.

Da müssen Sie sich ja richtig konzentrieren!
Durchaus. Letztes Jahr hab' ich gesagt: ‚Ziel erreicht: Ich hab' keinen über den Haufen gefahren.' Das ist auch jetzt wieder der Plan.

Diesmal führt die Strecke auch in die City, oder?
Bevor es raus Richtung Dachau geht, führt die Route diesmal in die Maxvorstadt, durch Schwabing, wo ich ja mal ein paar Jahre gelebt habe.

Ski-Springen: Wellinger startet im Mai in die Saison

Wo genau?
Elisabethplatz.

Schön! Aber jetzt zieht es Sie nicht mehr so oft nach München?
Nein, zwei, drei Mal im Jahr vielleicht.

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Ihre Wettkampfpausen im Jahr sind ja auch überschaubar.
Jetzt ist mal zwei Monate Pause, die einzige Phase im Jahr, in der wir nicht springen – aber in unserem Frühjahrs-Block schon wieder athletisch trainieren und Gewichte stemmen. Ab Mai ist dann der offizielle Saisonauftakt in der Kleingruppe.

Wellinger erwartet Regeländerungen für neue Saison

Wie sieht so ein Skisprung-Sommer aus?
Im August, September und Oktober sind jeweils zwei Wettkämpfe – wie viel ich davon springen werde, stellt sich noch heraus. Es wird sicher wieder ein paar Regeländerungen geben, was das Material betrifft – wie jedes Jahr. Das ist die erste Aufgabe: das Set-up gut aufstellen, ein Gefühl dafür entwickeln. Da vergehen schnell mal drei Monate, bis es so weit ist, wie man es haben möchte.

Und schon sind wir beim Thema Anzug-Gate: Wie sehr hängt Ihnen der Betrug der Norweger nach, der Sie WM-Gold gekostet hat? Sollte Marius Lindvik nachträglich disqualifiziert werden, können Sie im Sommer ja noch nachträglich Weltmeister werden...
Dann wäre ich der erste Sommer-Weltmeister im Skispringen! Nein, das steckt mir gar nicht so sehr in den Knochen. Zum einen glaube ich nicht daran, dass irgendwann der Kurier mit der Goldmedaille vor der Haustür steht. Ich habe mich auch gar nicht groß mit der Thematik beschäftigt. Was eher traurig ist: dass das für unseren Sport ein Riesen-Skandal ist, der Glaubwürdigkeit gekostet hat. Ich bin froh, dass wir danach überhaupt noch Wettkämpfe springen durften – das stand wohl auf der Kippe. Ich kann nur beeinflussen, was ich mache, und diese Einstellung ist mir in den Wochen nach der WM extrem gut gelungen: Ich habe sogar noch die Raw-Air-Wertung gewonnen, was nicht absehbar war. Ich habe es einfach geschafft, mich aufs Skispringen und mich selber zu konzentrieren. Natürlich geht es um Medaillen, um meine und um zwei weitere in den Teambewerben. Aber worauf es mir ankommt – unten ankommen, über die Linie springen, die Eins aufleuchten sehen, mit dem Team die Emotionen, die Fans und die Hymne erleben -, das wird mir sowieso keiner mehr geben können. Wenn der Kurier da steht, wäre das nett, weil ich mir dann in zwei Jahren die Weltmeister-Startnummer anziehen darf, aber an dem Tag von Trondheim wird sich eh nichts mehr ändern.

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"Habe versucht jeden Norweger zu meiden"

Traurig genug. Haben Sie seitdem nochmal mit Lindvik gesprochen?
Ihn nicht, aber einen seiner Mannschaftskollegen, der auch sichtlich perplex war, was da gerade so abgeht. Ansonsten habe ich versucht jeden Norweger zu meiden, weil ich die Konfrontation auch gar nicht wollte.

Aber man läuft sich doch bei den Wettkämpfen ständig über den Weg, oder?
Lindvik und Forfang durften ja nicht mehr starten, und die anderen drei norwegischen WM-Teilnehmer wurden dann beim Training in Oslo suspendiert. Dann durften nur noch norwegische Nicht-WM-Teilnehmer beim Weltcup starten, was sehr überschaubar war. Schwer zu sagen, wer für wie viel kann, wer wie viel weiß, wer ist involviert. Kann und will ich gar nicht beurteilen. Fakt ist, dass es aufgeflogen ist und dass es sehr viele verschiedene, widersprüchliche Geschichten gibt, die die Norweger selbst erzählen.

Andreas Wellinger hatte in dieser Saison das ein oder andere Mal Grund zum Jubeln.
Andreas Wellinger hatte in dieser Saison das ein oder andere Mal Grund zum Jubeln. © IMAGO

Wellinger: "Für den Moment ist die Suspendierung wieder aufgehoben"

Derzeit ermittelt der Weltskiverband FIS…
...was wohl noch Monate dauern wird, bis das final aufgearbeitet wurde und eine Entscheidung rauskommt. Für den Moment ist die Suspendierung wieder aufgehoben, aber jetzt ist es ja auch egal.

Gibt es derzeit im Springer-Lager überhaupt ein anderes Thema?
Bei fünf Leuten gibt es viereinhalb verschiedene Meinungen. Mit irgendwelchen Videos ist dann auf die Österreicher gezeigt worden, was ich sehr traurig finde: von sich ablenken und mit dem Finger auf andere deuten. Am Ende soll der beste Skispringer gewinnen und nicht der, der am besten bescheißt. Dass der Anzug ein großer Faktor ist, ist klar, aber dieser Vorfall braucht nun Konsequenzen. Die Frage ist: Wie kann man es möglichst fair machen?

OIympiaschanze soll zum Sommer-Grand-Prix fertig sein

Wäre schön, schließlich steht ja eine Olympia-Saison bevor. Wo wird 2026 gesprungen?
In Predazzo. Da wird nach einem Hangrutsch vor einigen Jahren gerade neu gebaut. Im Januar hätte Olympia-Generalprobe sein sollen, nun soll die Schanze zum Sommer-Grand-Prix im September fertig sein.

Heißt: gleiche Bedingungen für alle Springer?
Die, die näher dran wohnen, können leichter mal hinfahren. Ansonsten wird jede Nation ein Mal zum Sommertraining hinfahren. Eigentlich cool: Es geht bei null los.

Wellinger will "vorn mitkämpfen und zur Siegerehrung gehen"

Wann und wie setzen Sie sich Ihre Saisonziele?
Ich setze mir meine inhaltlichen Ziele im Frühjahr: Wo will ich mit meinem Sprung und meinem Gefühl hin? Wie soll sich Skispringen für mich anfühlen? Manchmal sind das aber auch Ziele, die an einer Platzierung festzumachen sind. Manche Ziele bleiben nur bei mir, manche bespreche ich mit meinem Umfeld. Manche Dinge mache ich allein, manche in der kleinen und manche in der größeren Runde.

Verraten Sie uns diese Ziele?
Die bleiben bei mir. Am Ende der Saison kann ich dann sagen, ob ich sie erreicht habe. Aber das Ziel ist definitiv, ganz vorn mitzukämpfen und zur Siegerehrung zu gehen. Das ist in jeder Saison das große Ziel, vor allem von Anfang bis Ende der Saison. Vorletzten Winter ist es mir von Tag eins bis nach der Skiflug-WM extrem gut gelungen, da war nur der letzte Monat holprig. Letzte Saison war der Anfang sehr stabil, dann von der Vierschanzentournee bis Februar eher ein Durchhänger und von der WM an wieder eine ziemlich steigende Aktie. Das Plateau von Anfang bis Ende ist noch nicht erreicht. Wenn mir das gelingt, wird es auch einfacher sein, am Tag X ganz oben zu stehen.

Skispringer Andreas Wellinger in der Luft.
Skispringer Andreas Wellinger in der Luft. © IMAGO

"Da machen Kleinigkeiten am Material die entscheidenden Meter aus"

Können Sie diese Formdellen erklären? Sie werden da ja nicht abends vier Teller Nudeln essen und körperlich aus dem Leim gehen…
Das ist, was das Skispringen so faszinierend macht: Teilweise ist das erst sehr viel später erklärbar. Da gehört natürlich Selbstvertrauen dazu. Es gibt Phasen, da springt man so Ski, dass selbst mit Fehlern alles funktioniert - und Phasen, in denen man subjektiv gesehen keine Fehler macht, und es funktioniert dennoch überhaupt nichts. Da machen Kleinigkeiten am Material die entscheidenden drei, vier Meter aus. Nuancen, die das ganze System Körper-Ski beeinflussen. Vielleicht hat eine Änderung am Anzug über den Schuh eine Auswirkung auf den Ski. Ein oder zwei Grad mehr oder weniger Ski-Anstellwinkel können fünf Meter ausmachen, was nach 15 Sprüngen zu mehr Selbstvertrauen führt - oder einen eben nach unten katapultieren. Dann heißt es ‚Wieso nicht gleich so?!' oder ‚Hä? Warum geht jetzt gar nix mehr?'

Ein Albtraum.
Das ist auch für mich faszinierend, auch wenn ich es manchmal selber nicht verstehe.

Wellinger will noch nicht aufhören

Im August werden Sie 30 - aber ein Ende ist nicht in Sicht, oder?
Nö. Vor Jahren habe ich mal gesagt ‚Mit Mitte 20 aufhören, wäre schon ganz okay'. Aber dann war das Knie kaputt, es folgten zwei Scheiß-Jahre, aber dann ist es wieder besser geworden. Keine Ahnung, wie lange ich das noch mache. Leistungssport ist ein beinhartes Geschäft, ist Verzicht in vielen Bereichen, aber trotzdem eine gewisse Erleichterung und Befriedigung, wenn's dann wieder funktioniert. Solange ich die Leidenschaft habe und bereit bin, Dinge für meinen Sport zu opfern, solange werde ich weitermachen. Definitiv noch Olympia und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die WM danach in Falun.

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