Ski-Legende Marc Girardelli: "Linus Straßer ist ein Flachländer - wie ich"

AZ: Herr Girardelli, am Sonntag ist Linus Straßer im Slalom von Adelboden als Zweiter durchs Ziel gerauscht - die Bestätigung seines Premieren-Weltcupsieges von vergangener Woche, das zweite Podium innerhalb von fünf Tagen - und das nach vielen Jahren auf den hinteren Plätzen. Können Sie uns das erklären?
MARC GIRARDELLI: Der Linus ist so gut gefahren! Der erste deutsche Sieg nach Felix Neureuther: eine Top-Leistung! Und dann gleich nachgelegt. Ich kenne den Linus ein bissl, hab' seine Eltern ein paar Mal getroffen. Er kommt ja nicht aus den Bergen, ist eher ein Flachländer - so wie ich. (Girardelli stammt aus Lustenau in Vorarlberg, einer Gemeinde auf 400 Metern Höhe, Anm. d. Red.) Ich finde das toll, wenn so ein Exot vorne mitmischt - und sogar gewinnen kann.

Und im weichen Schnee von Zagreb fast genauso schnell ist wie auf der pickelharten Piste von Adelboden. . .
Komplett andere Verhältnisse! Am Boden bleiben, geschmeidig fahren, nicht so viele Bewegungen machen, nicht brachial und trotzdem schnell, weniger Fehler: Das scheint er wirklich intus zu haben, er scheint den Respekt vor den wirklich Guten verloren zu haben. Und die paar Zehntel, die er pro Durchgang schneller ist, reichen dann zum Sieg oder zum Podium. Toll, wenn einer so die Kurve kratzt und innerhalb einer Woche eine Kategorie besser ist und plötzlich ein Siegläufer wird. Aber das hat natürlich auch mit dem Selbstvertrauen zu tun. Wenn du mal so einen Riesen-Wurf gelandet hast. . .
Nach Platz zwei in Adelboden sagte er: "So ein Sieg - das macht was mit einem. Ich habe gemerkt, es ist menschlich, so ein Rennen zu gewinnen."
Als der in Zagreb gewonnen hatte, war er paralysiert. Er hat wahrscheinlich geglaubt, er ist irgendwo auf dem Mond. Er hat so gar nicht mehr dran geglaubt, dass er das in seinem Leben nochmal schaffen würde, ein Weltcuprennen zu gewinnen - und dann ist es plötzlich passiert! Ich habe mich da an meinen eigenen ersten Sieg erinnert: Das war emotional einfach ein unglaubliches Erlebnis.
Erzählen Sie!
Lustig, dass Sie fragen. Vor drei Wochen rief mich meine Mutter an und meinte: ‚Hey Marc, ich hab' im Internet auf Youtube deinen ersten Weltcupsieg gefunden!' Die hängt nur im Internet rum mit ihren 81 Jahren. Ich musste richtig lachen. Dieser erste Sieg war einer der wichtigsten meiner Karriere. 1983, ein Slalom im schwedischen Gällivare. Ich hab' die Allergrößten deklassiert: den Stenmark, Phil Mahre, Bojan Krizaj, Paolo di Chiesa, mit eineinhalb Sekunden Vorsprung, zwei Mal Laufbestzeit! Ich habe nicht zufällig gewonnen.
Allesfahrer und Allesgewinner wie Sie gibt es kaum noch.
Eigentlich erwarte ich das von Alexis Pinturault. Der ist in allen Disziplinen top, nur in der Abfahrt kriegt er es nicht auf die Reihe - wie der Benni Raich früher: gewinnt im Super G, aber punktet nie in der Abfahrt. Der Schritt von Super G zur Abfahrt ist halt noch größer als der von Riesenslalom zu Super G. Und heute einen Abfahrer zum Slalom zu bringen, wäre ein Wunder.
Wie hat sich die Ski-Technik im Slalom seit Ihrer Zeit verändert?
Durch die Veränderung zur Carving-Technik hat sich alles enorm verändert. Mit diesen 2,05-Meter-Schwarten, die wir hatten, war das ja keine Kurvenfahrerei, sondern eher Zirkusakrobatik, die Skier um die Ecke zu kriegen. Die Hälfte des Schwunges musste man rutschen oder fliegen, die zweite Hälfte konnte man ein bisschen auf der Kante rumcarven. Heute fahren die von oben bis unten auf der Kante - mit 1,60 oder 1,65 m kurzen Skiern.
Von den Ergebnissen her war Slalom Ihre beste Disziplin: 16 Ihrer 46 Weltcupsiege feierten Sie in dieser Disziplin.
Dabei war meine Lieblingsdisziplin die Abfahrt - obwohl ich grundsätzlich Slalomfahrer war. Ich hatte aber auch viele Tiefs im Slalom, wo gar nichts lief und ich sogar aus der ersten Startgruppe rausgeflogen bin.
Diese Tiefs kennt auch Linus Straßer zu Genüge. . .
Ich freue mich für den Linus und seine Familie - und sogar für den DSV auch noch. Denn auch wenn der Tourismus derzeit blockiert ist, schauen in Deutschland als Kompensation halt doch zig Millionen in den Fernseher, wenn Skirennen sind, und da schadet es nicht, wenn ein Deutscher vorne mitmischt. Höchste Zeit, dass neben dem Abfahrer Thomas Dreßen auch wieder ein deutscher Techniker vorne mitfährt.
Was trauen Sie ihm in Zukunft noch zu?
Wie alt ist er jetzt?
Im November 28 geworden.
Das geht noch. Das ist jung für einen heutigen Skisportler. Da hat er sicher noch knappe zehn Jahre vor sich. Wer körperlich gut trainiert, hat im Slalom auch im höheren Alter noch Chancen. Manni Mölgg ist 39 und fährt offenbar gleich bis zur Rente weiter.
Sie waren gerade beim Skifahren in Sölden im Ötztal. Wie sieht es aus auf der Piste?
Ein fantastischer Tag - mit Minus 17 Grad. Man konnte aber schon wehmütig werden: Die Pisten waren so unglaublich gut präpariert, aber halt leer. Jammerschade, mir tun die Skigebiete total leid. Der Ort ist tot. Auf der Piste habe ich ein paar Hoteliers getroffen, die die Zeit nutzen, um mal selbst Ski zu fahren. Die sagen: ‚Es ist ein Trauerspiel.' Die werden finanziell ein Riesen-Loch haben, wenn sie's überhaupt überleben. Ich bin kein Finanzexperte, aber ich glaube, dass das Geld in den nächsten Jahren unheimlich entwertet werden wird. Irgendjemand muss die Schulden zahlen. Nur Geld drucken allein ist nicht die Lösung.
Seit ein paar Jahren sind Sie Besitzer des Skigebiets im bulgarischen Bansko, wo auch der Weltcup Station macht. Wie ist die Situation dort?
Bansko läuft überraschend gut. Dadurch dass die einen recht großen Binnenmarkt haben, war das kein Wahnsinns-Dezember, aber es könnte sich kostendeckend ausgehen - im Gegensatz zu all den Skigebieten in Österreich und der Schweiz. Das Zillertal zum Beispiel lebt ja nur von den Deutschen - die können zusperren.