Sensation: BMW nimmt den Fuß vom Gas

Die Münchner ziehen sich aus der Rennserie zurück und setzen fortan auf sanfte Technologie. Der Vorstand spricht vom Paradigmenwechsel, der Motorsportchef von einer Enttäuschung
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Ausgebremst: Robert Kubica im BMW beim Grand Prix von Bahrein
dpa Ausgebremst: Robert Kubica im BMW beim Grand Prix von Bahrein

MÜNCHEN - Die Münchner ziehen sich aus der Rennserie zurück und setzen fortan auf sanfte Technologie. Der Vorstand spricht vom Paradigmenwechsel, der Motorsportchef von einer Enttäuschung

Zum Rebell taugt Mario Theissen nicht, aber vielleicht ist der Verzicht auf die Krawatte doch ein Zeichen der Distanz, auf die er nun gehen wird. Neben ihm sitzen der BMW-Vorstandschef, der Entwicklungsvorstand und der Konzernsprecher, drei korrekt gekleidete Anzugs- und Schlipsträger, und verlesen wohlfeil formulierte Begründungen für den spektakulären Ausstieg der Bayerischen Motorenwerke aus der Formel 1; natürlich loben und danken sie auch dem Motorsportdirektor für zehn Jahre Formel-1-Engagement.

Theissen, im geöffneten weißen Hemd auf der Beerdigung seines Projektes erschienen, sitzt ganz außen, er hört sich die Verlesung der Trauerreden eher gequält an, und weil von ihm (anders als von den beiden Vorständen) kein Manuskript an die Reporter vorab verteilt wurde, spricht er (frank und) frei. „Ich bin persönlich enttäuscht über die Entscheidung“, sagt der Ingenieur aus Monschau in der Eifel, „sportlich gesehen wären wir gerne weitergefahren und hätten gerne dieses ambitionierte Projekt weitergeführt“. Pflichtgemäß ergänzt Theissen noch, „aus unternehmerischer Sicht“ könne er die Entscheidung nachvollziehen.

Knapp zehn Jahre nach der Rückkehr 2000 als Motorenpartner von Williams und vier Jahre nach der eigenen Teamgründung steigt BMW zum Saisonende aus der Formel 1 aus – nach elf Siegen in 167 Rennen und einer Vize-Weltmeisterschaft in der Konstrukteurs-WM (2007) sieht der Vorstand das Engagement in der Sackgasse. Auf die Bremse getreten seien sie schon früher, das Budget wurde seit 2006 in fünf Jahren von gut 400 Millionen Euro auf nunmehr geschätzte 200 Millionen halbiert. Doch als es nun darum ging, eine Verpflichtungserklärung mit der Formel-1-Vereinigung für drei weitere Jahre zu unterzeichnen, hielt Vorstandschef Norbert Reithofer das Stoppschild hoch: Alle aussteigen, bitte!

Die Krise schlagt zu und die Piloten fahren hinterher

Natürlich hat die Autokrise auch BMW erfasst. Heftige Gewinn- und Umsatzrückgänge, knapp 20 Prozent weniger verkaufte Autos im ersten Halbjahr. Es gibt Kurzarbeit, Stellenabbau, über Staatsanleihen wurde nachgedacht. Und das Formel-1-Team fährt heuer hinterher wie nie zuvor.

Reithofer sagt, das aber habe nicht zum Rückzug geführt: „Die wirtschaftliche Lage hat bei der Entscheidung keine Rolle gespielt und auch nicht die derzeitige sportliche Performance.“ Er spricht von BMW als „Premiumhersteller“, von „besonderer Verantwortung für die Produkte, das Unternehmen, das gesellschaftliche Engagement“, von einer neuen „nachhaltigen Ausrichtung“. Übersetzt heißt das: Die Formel 1 ist nicht mehr zeitgemäß.

70 Liter auf 100 Kilometer

Reithofer preist neue Entwicklungsmodelle wie den „CO2-Champion“ oder den „BMW Vison EfficientDynamics“, die bald auf der IAA präsentiert werden, sportliche ambitionierte Fahrzeuge mit vernünftigem Verbrauch. Sanfte Technologie statt sinnloser Benzinverbrennung.

Im Schnitt 5,9 Liter auf 100 km verbraucht ein Straßen-BMW heute, es soll noch weniger werden. „Und was verbrennt ein Formel-1-BMW?“, wird der Motorsportdirektor gefragt. Theissen umschreibt es so: „Zwei bis drei Kilo Benzin pro Runde, je nach Rennstrecke – jetzt rechnen Sie das mal aus.“ Fast 70 Liter pro 100 Kilometer dürften das sein.

Man sieht, man spürt die Differenz. Reithofer spricht von Obama (!), CO2-Reduzierung und einem „Paradigmenwechsel“ – den nicht jeder nachvollziehen kann. Ex-Weltmeister Niki Lauda, so etwas wie die Symbolkappe der Vollgasszene, spricht von einem „Imageverlust für BMW und vom Schaden für den Sport“.

Reithofer spricht von Obama und Niki Lauda mosert

Aber um den geht es nicht, sonst wäre Theissen ja eingebunden gewesen in den Entscheidungsprozess. „Ich habe diese Woche die Information bekommen“, sagt er. Er nimmt die Watschn erhobenen Hauptes an und verweist auf seine Verantwortung fürs Team. Die beiden Fahrer Nick Heidfeld und Robert Kubica werden andernorts unterkommen, was aber wird aus den 700 Mitarbeitern an den Formel-1-Standorten Hinwil, München und Landshut? Theissen wird prüfen, ob sich das Team verkaufen lässt, vielleicht an Peter Sauber, den 20-Prozent-Teilhaber.

Ob er seine Zukunft noch bei BMW sieht, wo er sich nun um Tourenwagen- und Motorsport kümmern müsste? Da lächelt Theissen: „Um mich müssen Sie sich keine Sorgen machen“, sagt er. Und tritt ab.

Gunnar Jans

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