„Sagen Sie Nujen – ohne G!“
Ob Marcel Mink Phuc Long Nguyen beim Frühstück in Central London tatsächlich so viel Spaß hat, ist höchst zweifelhaft. In der Innenstadt wollte der Hachinger einen Tag nach dem sensationellen Gewinn der Silbermedaille im Turn-Mehrkampf seine Familie – Mama, Schwester, Freundin und Freund der Schwester – treffen und „es mal locker angehen lassen“. Die olympische Kleiderordnung aber schreibt vor, dass er sich im Trainingsanzug des deutschen Teams einen freien Tisch suchen muss. Es drohen zahlreiche Erinnerungsfotos, die begeisterte Fans mit ihm schießen wollen. Nguyen mit Semmeln und Marmelade ist daheim Zuhause sicher ein Hit.
Bevor der 24-Jährige am Morgen das „Deutsche Haus“ in den London Docklands verlassen konnte, musste der Mann, der nach 76 Jahren das Kunststück fertig brachte, eine Mehrkampfmedaille für Deutschland zu gewinnen, einige Geheimnisse lüften. Beispielsweise das seiner Frisur, die er mit Haarspray zementiert, damit sie nicht einmal beim Tsukahara , dem schwierigsten Abgang vom Barren, durcheinander gerät. Oder sein Name. Nguyen wird „Nujen“ ausgesprochen wird: „Sagen Sie Nujen. Einfach das G weglassen, dann passt es."
Etwas schüchtern sah der Athlet aus Unterhaching aus, der seit 2007 am Olympiastützpunkt in Stuttgart mit Valeri Belenki trainiert, als er neben Innenminister Hans-Peter Friedrich, den Silbergewinnern Tony Martin (Rad) und Kerstin Thiele (Judo) und den Ruderinnen des Vierers saß. „Rein biologisch bin ich halber Vietnamese, aber ich war noch nie dort, spreche die Sprache nicht und habe wenig Verwandte dort", sagte Nguyen, der in der Bundesliga für den KTV Straubenhardt startet. „Ich muss das nachholen. Irgendwann."
Vorher turnt er in London noch die Einzelfinale am Boden und Barren. Bevor Vietnam zum Reiseziel wird, jettet Nguyen mit Turnkollege Philipp Boy, seinem Zimmergenossen aus dem olympischen Dorf, samt Begleitung ins weniger exotische Ibiza, um es „dort endlich richtig feiern".
Mit seiner Medaille hat Nguyen zumindest am Denkmal Fabian Hambüchen gerüttelt. Um das Thema aber macht der neue Star am deutschen Turn-Himmel lieber einen Bogen. Einige würden eine neue Führungsfigur im Turnen allerdings durchaus begrüßen, zumal Nguyen im Gegensatz zu Hambüchen mehr als umgänglicher Teamplayer gilt. „Wir sind zuerst alle Einzelkämpfer und schauen nach uns“, verteidigt er Hambüchens Weg, lieber allein zu trainieren und sich dem Diktat seines Vaters Wolfgang zu fügen. Selbst Nguyen geht seinen Weg. Meist pendelt er zwischen Stuttgart und München, wo seine Familie lebt. In Stuttgart hat er eine Wohnung, trainiert zweimal täglich bis Samstagmittag, „dann schaue ich, dass ich so oft wie möglich bei der Familie bin."
Kein Wunder, dass die meisten Glückwünsche per SMS aus Stuttgart und München kamen. „Das ging gleich nach dem Finale los", sagte er und lachte. „Ich bin Hachinger, da habe ich 20 Jahre meines Lebens verbracht, die freuen sich alle."
Am Sonntag und Montag könnte Nguyen wieder viel Speicherplatz auf seiner Mailbox brauchen. Dann stehen die Endkämpfe am Boden und Barren an, wobei er am Barren als Mit-Favorit gilt.
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