"Was ist das denn für ein verzogener Rotzlöffel?": Laura Dahlmeier packt über Biathlon-Star aus

AZ: Frau Dahlmeier, Ihre Ex-Kolleginnen und -Kollegen machen es mal wieder spannend bei der Biathlon-WM in Lenzerheide. Am Donnerstag lagen Franziska Preuß und Justus Strelow im Mixed-Wettbewerb lange auf Gold-Kurs, am Ende langte es noch zu Bronze - und zur Fortsetzung der Franz-Festspiele. Vier Medaillen hat Ihre ehemalige Mannschaftskameradin schon gesammelt, im reifen Athletenalter von 30 Jahren. Wer hätte das gedacht?
LAURA DAHLMEIER: So ganz überraschend kommt das für mich gar nicht. Klar hat sich das im Saisonverlauf so ein bisschen abgezeichnet, aber sehr cool, dass sie das bei einem Groß-Event wie der WM jetzt so umsetzen kann. Oft war sie in der Vergangenheit an dem ein oder anderen gescheitert. Irgendetwas hat immer nicht ganz gepasst, und das ist jetzt bei dieser WM definitiv anders zu sein. Das freut mich für sie, dass es jetzt aufgeht.
Dahlmeier und Preuß: Party auf dem Hotelgang und Radl-Ausflug in Sotschi
Sie und die ein Jahr jüngere Preuß haben im selben Jahr im Weltcup debütiert: 2013. Was für ein Typ ist sie?
Eine ganz Bodenständige, Fleißige, die extrem viel macht für den Sport. Die sich viele Gedanken macht, viel trainiert, voll und ganz dahintersteht. Die aber immer auch für einen Spaß zu haben ist. Das merkt man ja jetzt auch, wo sie in Lenzerheide ihrem Trainer die Haare rasiert hat. Wenn ich mich zurückerinnere: Wir waren extrem jung, als wir unsere ersten Rennen im Weltcup und Olympische Spiele in Sotschi bestritten - klar waren wir fokussiert, aber drumherum haben wir eine gute Zeit gehabt.
Was haben Sie abseits der Loipe angestellt in Sotschi?
Wenn man gemeinsam unterwegs und so lang von daheim weg ist, ist es wichtig, dass man sich gut versteht, egal ob bei einer Party auf dem Hotelgang oder beim Radl-Ausflug in Sotschi am Meer.
Waren Sie auch zusammen auf dem Zimmer?
Eine Zeit lang schon. Wir sind gemeinsam Staffel-Weltmeister geworden. Ich hab' mich dann recht schnell weiterentwickelt - bei ihr hat es einen Tick länger gedauert, bis sie den kompletten Durchbruch geschafft hat.
"Wenn eine Kleinigkeit nicht ideal läuft, lässt sie sich davon nicht zu lange negativ beeinflussen"
Wie kommt's? Allein an der Nebenhöhlen-OP im letzten Sommer wird es nicht gelegen haben.
Das muss schon in dir stecken, und das ist sicherlich schon immer in der Franzi gesteckt, hat in ihr geschlummert. Das war das, was für sie vielleicht in einer gewissen Art und Weise auch schwierig war: dass sie ihr Leistungsvermögen nicht immer auf den Punkt abrufen konnte. Sie wusste, sie kann es besser. Du spürst ja als Athlet: ‚Mensch, ich kann's besser! Eigentlich könnte ich ganz da oben stehen.'
Was einen auf Dauer natürlich frustrieren kann.
Sie hat da sicher eine schwierige Zeit durchgemacht, es vor der Saison aber geschafft, diesen Schalter umzulegen. Ihr gelingt es jetzt, auf den Punkt abliefern zu können. Und wenn eine Kleinigkeit nicht ideal läuft, lässt sie sich davon nicht zu lange negativ beeinflussen.
Wie im Mixed-Wettbewerb am Donnerstag: nicht fehlerfrei, aber dennoch gut genug für Bronze. Was für die beiden noch ausstehenden Rennen am Wochenende Gutes verheißt, oder?
Gerade die Damen-Staffel hat gute Chancen. Man hat gesehen, dass andere Top-Favoriten auch nicht in jedem Rennen performen. Wobei die Französinnen schon der Gold-Favorit sind. Aber auch die müssen erst mal durchkommen.

Wärmere Winter als Biathlon-Hemmer? "Es geht viel mehr als man meint"
Und hinter Preuß sieht es nicht so schlecht aus.
Aktuell sieht es für den Weltcup wirklich gut aus. Und das obwohl Vanessa Voigt jetzt gar nicht mit dabei ist und Janina Hettich-Walz ihr erstes Kind erwartet - wenn die beiden zurückkommen, ist schon eine gute Mannschaft da. Schaut man eine Etage tiefer in den IBU-Cup, kommen schon immer mal ein paar Gute, aber wir haben in Deutschland einfach nicht unendlich viele Top-Biathleten. Im Biathlon ist bei den ganz jungen Kindern und Schülern leider nicht mehr so ganz viel Nachwuchs da.
In einem schneearmen Winter wie diesem ist es schwierig, sich für Schneesport zu begeistern.
Die Winter verändern sich, was nicht für den Biathlon-Sport spricht. Klar ist es dann schwierig, sich dafür zu motivieren. Ich radele durch die Stadt, aber man kann dennoch jeden Tag in Kaltenbrunn langlaufen. Es geht viel mehr als man meint.
"Bö-Rücktritt? Eine extrem starke, mutige Entscheidung"
Schauen wir noch zu den Männern. Warum geht bei denen so wenig auf?
Wenn man sich die Ergebnisse der letzten Jahre anschaut und die Top-Ergebnisse von Benni Doll wegrechnet, dann hat sich dieser Trend schon abgezeichnet. Dass es einfach schwer wird, dauerhaft ganz nach vorn zu laufen. So ehrlich muss man schon sein. Vereinzelt laufen sie schon mal nach vorn, aber so mannschaftlich geschlossen ist die deutsche Mannschaft aktuell nicht, dass sie da in jedem Rennen die Medaillen abräumen. Hinzu kommt, dass es bei dieser WM schießtechnisch gar nicht läuft - ein Trend, der sich schon im Januar abgezeichnet hat.
Abschied nehmen heißt es derweil von den Dominatoren des Sports: den norwegischen Brüdern Johannes Thingnes und Tarjei Bö. Schade, oder?
Eine extrem starke, mutige Entscheidung. Wenn sie das nicht mehr fühlen und es nurmehr eine Qual ist, ist es egal, ob das ein Jahr vor oder nach Olympia ist. Es ist ihr Leben. Ein starker Schritt.

Dahlmeier-Eindruck von Bö 2011: "Was ist das denn für ein verzogener Rotzlöffel?!"
Es soll erfolgreiche Athleten gegeben haben, die noch früher aufhörten - so wie Sie, mit 25.
Stimmt. Mit Johannes Thingnes Bö waren die Franzi und ich gemeinsam bei der europäischen Jugend-Olympiade. Er gewann damals und meinte, er werde besser als sein Bruder Tarjei, und der hatte in dem Jahr sogar schon den Gesamt-Weltcup gewonnen. Da dachte ich ‚Was ist das denn für ein verzogener Rotzlöffel?! Stellt sich da hin und sagt, er wird besser als sein Bruder, der gerade der Beste der Welt ist'. Aber: Er hatte recht.
Sie haben im Dezember mal wieder einen Ausflug in die Berge gemacht: Ama Dablam, das "Matterhorn Nepals", 6814 Meter hoch. Nach der Gipfel-Besteigung sind Sie nach zwei Tagen Pause ein zweites Mal hoch, in Rekordzeit: die schnellste bekannte Besteigung des Ama Dablam durch eine Frau.
Vor acht Jahren hatte das nicht geklappt, jetzt war's schön.
Aber wie schon 2023 bei Ihrem ersten 7000er im tadschikischen Pamir-Gebirge gab's wieder kalte Füße...
Ich bin einfach lange Zeit ohne die dicken Bergschuhe gegangen, nur in Zustieg-Schuhen - da hatte ich kalte Füße. Aber sobald ich wieder in den Bergschuhen war, war alles gut. Diesmal war ich gut vorbereitet, aber hallo!