Roddicks Rachegelüste
MELBOURNE - 15 von 17 Duellen hat Andy Roddick verloren gegen Roger Federer, der Schweizer hat ihm große Titel weggeschnappt, hat ihn vom Tennis-Thron gestoßen. Nun, bei den Australian Open, sieht der US-Boy die Chance sich zu revanchieren. Weil er fit ist wie noch nie.
Er hat ihm die schönsten Momente auf dem Centre Court geraubt. Er hat Andy Roddick die kostbarsten Triumphe vor der Nase weggeschnappt, viele Wimbledon-, viele US Open-Titel. Er hat ihn zum belächelten Serienverlierer gemacht. Er hat ihn von der Spitze der Rangliste verstoßen und verhindert, dass er in Amerika der nächste Superstar hinter den Superstars Sampras und Agassi wurde.
Roger Federer ist nichts weniger als der Spielverderber seines Lebens. Der nette Bösewicht in der Karriere von Andy Roddick.
Seit Federer in der dünnen Höhenluft der Tennistour wirkt, lange Jahre als Nummer 1, nun als Nummer 2, steht er Roddick mit unschöner Regelmässigkeit im Weg - wie ein Stoppschild auf zwei Beinen. 15 von 17 Duellen hat Roddick verloren, darunter alle Spiele auf Grand Slam-Niveau, doch in Melbourne will er sich an diesem Donnerstag gleichwohl mit größter Leidenschaft und unerschütterlichem Optimismus ans Handwerk gegen Federer machen, im ersten Herren-Halbfinale der Australian Open: „Ihr könnt mich auslachen und verspotten“, rief Roddick der versammelten Pressemeute zu, „aber ich glaube felsenfest daran, dass ich ihn schlagen werde.“
Ihn, Federer, den Pokaldieb. Den Eidgenossen mit der Lizenz zum Leidgenossen für Roddick.
In der allgemeinen Aufregung um die Generation der Jungen Wilden, um die Del Potros, Murrays, Cilics und Nishikoris, und im spektakulären Zweikampf zwischen Nadal und Federer war der einstige Weltrangliste-Erste Roddick zuletzt fast verloren gegangen. Selbst bei den US Open 2008 spielte der Aufschlag-Weltrekordler nur eine bescheidene, eher beklagenswerte Rolle als Randfigur im Grand Slam-Spiel. Doch in Melbourne ist der Entertainer-Typ, der früher einmal die Clownsrolle im Wanderzirkus eingenommen hatte, auf einmal zum Überraschungsspieler des Turniers aufgestiegen – nicht einer aus der hochgehandelten Teenager-Truppe ist in der Runde der letzten Vier angelangt, sondern Roddick, der Mann aus der Vergangenheit. „Ich habe immer gesagt: Andy wird völlig zu Unrecht abgeschrieben und für erledigt erklärt“, sagt Roger Federer, „er ist ein Spieler, der in der Weltspitze seinen Platz hat.“
Warum er bei diesen Australian Open 2009 plötzlich wieder eine tragende Figur der Branche ist und als ernsthafter Herausforderer für Federer gelten kann, sieht man Roddick schon auf den ersten Blick an. In der Winterpause hat der forsche Ami sieben Kilo abgespeckt, er wirkt so drahtig und beweglich und fit wie lange nicht mehr. Fast arrogant spielte Roddick gegen Titelverteidiger Novak Djokovic sein körperliches Plus aus, rannte in der Gluthitze selbst aussichtslosen Stoppbällen hinterher – während der Serbe wie ein Häuflein Elend über den Centre Court schlich und dann im vierten Satz auch das Handtuch warf. „Dieses Turnier werden nur die Fittesten überleben“, sagt Roddick, der auch gegen Federer gern in der Nachmittagssonne gespielt hätte, in der der Schweizer schon gegen Berdych, den Tschechen, seine liebe Müh´und Not hatte. Nun geht es aber abends in die Rod Laver-Arena, zu den mittlerweile obligatorischen Nachtshows in der Schlußphase, und Roddick hofft auf „immer noch krachende Temperaturen“: „Ich wäre bereit, auch in der Wüste zu spielen.“
Seit der große Trainer-Stratege Larry Stefank im Herbst das Regiment bei Roddick übernommen hat, ist dessen Spiel variabler geworden – schwerer ausrechenbar, nicht mehr ganz so eindimensional wie vorher. Stefanki gehört zu den Besten der Szene, er führte einst den exzentrischen Marcelo Rios an die Spitze der Welt, er begleitete Tim Henman, Jewgeni Kafelnikow und auch John McEnroe. „Die Arbeit mit Larry, das ist ein großer Schritt nach vorn“, sagt Roddick, „aber ich habe auch viel gelernt bei Connors in unserer gemeinsamen Zeit, das war schon ein Gottesgeschenk, mit so einer Legende zusammenzuarbeiten.“ Über die Jahre sei er, sagt Roddick verschmitzt, ein „ordentlicher, ziemlich kompletter Spieler“ geworden: „Andy und reines Bumm Bumm-Tennis, das ist eben nicht die ganze Geschichte.“
Dass er mehr kann, mehr auch auf einer großen Bühne, muss er nun wieder einmal gegen Federer beweisen. Seinen verfluchten, gemochten Weggefährten. „Ich habe ihn nie gehaßt, ich werde ihn nie hassen“, grinst Roddick, „auch wenn er der Typ aus dem Film ist, der die schönsten Freundinnen hat, die schönsten Autos fährt.“ Nicht ernst gemeint, nein. Denn Roddick achtet die Klasse des anderen und redet auch nicht lange drumherum: „Er muss das spielen, was er kann. Er hat nichts zu verschenken. Er darf kein Mitleid haben. Das wäre das Schlimmste überhaupt.“
Jörg Allmeroth