Psychokrieg gegen Lewis Hamilton
SHANGHAI - Lewis Hamilton ist angespannt, wirkt verunsichert, vielleicht auch eingeschüchtert. Kurz vor der Titel-Entscheidung in der Formel 1 verliert Hamilton an Selbstbewusstsein. Noch führt er die WM an, doch seine Rivalen gewinnen an Profil
Wie schwer kann so ein Kopf werden? Mit herunterhängendem Kopf und ebenso herunterhängenden Schultern sitzt Lewis in Shanghai. Der Automobilweltverband hat Hamilton, den WM-Führenden, zur offiziellen Pressekonferenz vor dem vorletzten Saisonrennen geladen. Er muss diesen Termin wahrnehmen, auch wenn es ihm einige Mühe zu bereiten scheint. Hamilton spricht leise, verhaspelt sich oft. Sein Lächeln, das sonst immer seine Antworten begleitet, gleicht einer nur durch Muskelkraft erzwungenen Pflichtübung.
Hamilton ist angespannt, wirkt verunsichert, vielleicht auch eingeschüchtert. So sieht eigentlich keiner aus, der sich am Sonntag schon zum Weltmeister krönen lassen könnte. Vor allem nicht Hamilton, dessen Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit grenzenlos schien. Davon scheint nicht viel übrig geblieben zu sein. Sein katastrophales Rennen in Fuji vergangenen Sonntag hat ihm zugesetzt. „Er gibt sich viel zu sehr selbst die Schuld", sagt sogar sein Chef, Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug.
Vielleicht setzt Hamilton auch der Psychokrieg zu, den seine Konkurrenten letzte Woche angestrengt haben. Ob er das Rennen in Shanghai anders angehen werde nach der Nullnummer von Fuji am vergangenen Sonntag? „Nein", sagt er knapp. Und wie denn seine generelle Ausrichtung für China aussehe? „So wie immer", sagt er, aber wer glaubt ihm das? Seine Körpersprache sagt anderes. Wo ist nur der smarte Wunderjunge geblieben, der seinen Rücken so gerade halten kann, dass die Werbeaufdrucke auf seinem T-Shirt perfekt zu erkennen sind? Nun sitzt er in gebückter Haltung da. Und: Wo kommt nur diese Tonlage her, dieses fast schuljungenhafte Motzige?
Die FIA hat nicht viel dazu beigetragen, dass sich der WM-Führende wohl fühlen kann. Neben ihn haben sie Robert Kubica gesetzt. Der BMW-Mann liegt in der WM nur zwölf Punkte hinter Hamilton und grinst während der Pressekonferenz immer wieder schelmisch. Hinter Kubica sitzt Fernando Alonso, Kubicas bester Freund und Hamiltons ärgster Feind im Fahrerlager. Und direkt hinter Hamilton sitzt, wesentlich besser gelaunt als sonst, Weltmeister Kimi Räikkönen.
Felipe Massa, mit fünf Punkten Rückstand Hamiltons ärgster Rivale, wurde verschont. Er sitzt derweil locker beim Plausch mit brasilianischen Journalisten bei Ferrari. Die Drei auf dem Podium spüren, dass Hamilton verunsichert ist. Sie lassen’s ihn spüren. „Ich würde es gerne sehen, wenn Robert die WM gewinnt", sagt Alonso. Kubica grinst. Und als sie gefragt werden, ob auch sie etwas zu Hamiltons aggressiven Fahrstil zu sagen hätten, antworten beide feixend: „Kein Kommentar." Die Fragen wurden schärfer, Hamilton trotziger.
Ein paar Stunden später wird Mercedes-Sportchef Norbert Haug versuchen, seinen Star ins rechte Licht zu rücken: „Lewis ist so viele geile Rennen gefahren in dieser Saison. Keiner hat in den letzten 33 Rennen, die Lewis jetzt in der Formel 1 ist, mehr Punkte geholt als er. Das darf man nicht vergessen", sagt er vor deutschen Journalisten.
Vielleicht sollte Haug Hamilton vor dem Rennen auch genau das erzählen. Als Motivationshilfe im Psychokampf. Filippo Cataldo