Interview

Profi-Schwimmer Wellbrock im AZ-Interview: "Viele sind zu früh mit zu wenig zufrieden"

Bei der Schwimm-WM in Budapest ist Olympiasieger Florian Wellbrock einer der Favoriten. Im Interview mit der AZ spricht er über leere Köpfe, die Malaise des DSV und einen Trainingspartner aus der Ukraine.
von  Thomas Becker
Selbstbewusster Vorzeige-Schwimmer: Florian Wellbrock will jetzt bei der WM seine beiden Titel verteidigen.
Selbstbewusster Vorzeige-Schwimmer: Florian Wellbrock will jetzt bei der WM seine beiden Titel verteidigen. © imago images/Insidefoto

AZ: Herr Wellbrock, nach Kriegsbeginn haben Sie dem Ukrainer Mychaljo Romantschuk angeboten, bei Ihnen in Magdeburg zu trainieren. Wie ist das, wenn man einen der stärksten Konkurrenten ständig um sich hat? Immerhin hat er Ihnen bei Olympia über 800m eine Medaille weggeschnappt und über 1500m Bronze statt Silber beschert. . .
FLORIAN WELLBROCK: Mir gefällt das wahnsinnig gut. Ich konnte ein bisschen etwas von ihm lernen, gerade was die Einstellung zum Training betrifft, konnte mir abschauen, wie er einige Dinge angeht, wie seine Abläufe sind. Das funktioniert sehr gut, ich profitiere ein Stück weit von der Situation.

Sprechen Sie über den Krieg?
Nein, ich weiß einfach auch nicht, was ich ihm sagen soll. Wir waren zum Glück noch nie in einer solchen Situation, daher kann ich ihm da nur bedingt weiterhelfen. Und ich bin ganz froh, dass er mich nicht einweiht in irgendwelche Sachen. Er weiß aber, dass wenn er Redebedarf hat, sich jederzeit an mich wenden kann.

"Um Trainingsplanung muss ich mir keinen Kopf machen"

Im DSV geht es seit Jahren chaotisch zu. Ihre Medaillen in Tokio waren die ersten Podiumsplatzierungen seit 21 Jahren bei den Männern, Ihr Olympiasieg der erste seit Britta Steffen 2008. Wie sehr waren Sie von den Verbandsquerelen betroffen?
Gott sei Dank überhaupt nicht. Ich bekomme hin und wieder was mit, wie alle über social media oder aus den Nachrichten, aber ich habe aufgehört, mich damit zu beschäftigen, sondern den Fokus komplett auf den Sport gerichtet.

Die WM sollte im Juli 2021 in Japan stattfinden, dann wegen der Olympia-Verschiebung im Mai 2022, dann wurde wegen der Omikron-Variante auf 2023 verschoben, nun findet sie doch statt, kurz vor der EM in Rom. Keine einfache Trainingssteuerung, oder?
Nee, aber darum muss ich mir keinen Kopf machen, sondern das Trainerteam, und da habe ich ein sehr kompetentes. Gerade Norbert Warnatzsch hat so viel Erfahrung, den lässt so was kalt. In der Kombination mit Bernd Berkhahn ist das ein sehr gutes Gespann.

"Meine WM-Titel zu verteidigen ist mein Ziel"

hr Coach sieht noch Potenzial bei Ihnen. In Budapest starten Sie über 5 und 10 km im Freiwasser sowie über 800 und 1500m. Er sagte, er könne sich auch die 400m bei Ihnen vorstellen. Wie sehen Sie das?
Für die WM bin ich für die 400m nicht qualifiziert. Prinzipiell würde ich die 400 nicht verneinen, aber der Spagat zwischen 400m und 10 km ist schon enorm. Deswegen könnte ich mir vorstellen, dass wir die langfristig nicht mit ins Programm aufnehmen können/werden, weil das von der Trainingssteuerung zu viel ist.

Welche Ziele haben Sie als Weltmeister und Olympiasieger noch?
Ich würde gern meine beiden WM-Titel verteidigen. Die 5 km bin zuletzt bei der WM 2015 geschwommen - da bin ich gespannt, wie das diesmal läuft.

Deutschlands Schwimm-Powerpaar: Florian und Sarah Wellbrock.
Deutschlands Schwimm-Powerpaar: Florian und Sarah Wellbrock. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Olympia in Tokio war eine spezielle Erfahrung. 800m: Führung bis zur letzten Wende, am Ende Vierter. 1500m: Führung bis zur letzten Wende, am Ende Dritter. Und dann Gold über 10 km Freiwasser. Wie sehr wirkt all das nach?
Die 800m waren ein Schlag ins Gesicht. Eine ähnliche Situation hatte ich 2019 in Korea, wo die 800 auch gar nicht liefen und ich noch Weltmeister über 1500m geworden bin. Diesmal habe ich versucht, es genauso anzugehen. Ich wusste: Es kommen noch zwei Rennen, der Wettkampf hier ist noch nicht vorbei. Dritter über 1500 war auch nicht so ganz das, was wir uns vorgestellt haben, aber immerhin war die ersehnte Medaille sicher. Dass die beiden Rennen im Becken nicht so perfekt liefen, hat mich sauer gemacht, was mir Kraft für die 10 km gegeben hat.

"Seit meinem Olympiasieg werde ich öfter auf der Straße erkannt"

Als Langstreckler sind Sie eine Weile unterwegs. Geht einem da viel im Kopf herum?
Mir nicht. Soll aber nicht heißen, dass der Faktor Nerven kein Thema ist. Auch was unterbewusst im Kopf abläuft, hat immer Auswirkungen auf die Muskelspannung und damit aufs Resultat. So ein Rennen kann supercool aussehen oder in die Hose gehen, obwohl man überhaupt nichts im Kopf hat.

Wenn Sie wählen müssten: Becken oder Bahn?
Aktuell würde ich das Becken bevorzugen. Seit Corona im Abklingen ist, haben wir im Ausland wieder volle Schwimmstadien mit 10.000 Zuschauern, und wer das Privileg hat, da in einem Finale zu schwimmen und auch noch zu gewinnen: Das ist eine atemberaubende Stimmung und macht mehr Spaß als im Freiwasser.

Werden Sie seit dem Olympiasieg öfter erkannt?
In Magdeburg auf jeden Fall, in meiner Heimatstadt Bremen auch. Es ist schon deutlich mehr geworden.

Im Bereich Weltklasse sind Sie im DSV allein auf weiter Flur. Woran liegt's?
Da muss man Andere fragen. Ich glaube, es ist oft ein Einstellungsproblem. Viele sind zu früh mit zu wenig zufrieden und holen nicht das Maximum aus sich raus. Hinzu kommt mangelhafte Trainerarbeit.

"Ich will  eine Stiftung gründen, die sich für Schutz von Gewässern einsetzt"

Warum lernen immer weniger Kinder schwimmen?
Ein großes Problem, dabei ist es elementar, schwimmen zu können. Der Schwimmunterricht in den Grundschulen ist oft nicht im Lehrplan verankert oder fällt aus, weil die Wasserfläche bei den Schwimmbädern nicht vorhanden ist. Es fehlt teilweise an Übungsleitern. Ich weiß aus der Magdeburger Elbe-Schwimmhalle, wo ich trainiere, dass die Wartelisten für einen Schwimmkurs sehr lang sind. Aufgrund der Pandemie waren die Bäder für Nicht-Profis lang geschlossen, so dass noch weniger Kinder schwimmen lernen konnten. In den kommenden Jahren werden sich die Badeunfälle sicher häufen.

Das übelste Wasser, in dem Sie geschwommen sind?
Bei einem Wettkampf in Kopenhagen hatten wir wahnsinnig viele Feuerquallen, was ja ein natürlicher Faktor ist. Von irgendwelchen Abfällen bin ich bislang verschont geblieben.

Wie sieht Ihr Engagement in Sachen Umweltschutz aus?
Der Plan ist, dass ich bestenfalls noch in diesem Jahr eine Stiftung oder einen Verein gründe, der sich für den Schutz und den Erhalt unserer Gewässer einsetzt, weil ich als Freiwasserschwimmer unmittelbar auf dieses Element angewiesen bin. Aber jeder Badegast möchte ja, dass die Gewässer sauber gehalten werden.

Wissen Sie, wo bei Olympia in Paris 2024 im Freiwasser geschwommen wird?
In diesem Fluss unterm Eiffelturm.

Puh, das könnte auch speziell werden.
Ich habe auch schon gehört, dass es relativ dreckig sein soll, was Plastik angeht.

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