Poschi und die Doping-Jäger

Nach Bolts 100-Meter-Triumph erklärt ZDF-Chefreporter Wolf-Dieter Poschmann, er halte nichts vom „Kontroll-Aktivismus” oder langen Sperren - und erntet harte Kritik.
von  Matthias Kerber
Wolf-Dieter Poschmann.
Wolf-Dieter Poschmann. © ho

Nach Bolts 100-Meter-Triumph erklärt der ZDF-Chefreporter Wolf-Dieter Poschmann, dass er nichts vom „Kontroll-Aktivismus” oder langen Sperren hält: „Das ist nicht die Lösung.” Prompt erntet er harte Kritik – von Experte Franke.

LONDON Es ist der Höhepunkt der Spiele, Die ganze Welt schaut zu, als Wunderläufer Usain Bolt in 9,63 Sekunden zu olympischem Gold sprintet und seinen jamaikanischen Landsmann Yohan Blake (Silber) sowie US-Sprinter Justin Gatlin (Bronze) hinter sich lässt. Gatlin war 2004 Olympiasieger, 2006 aber des Dopings überführt und für vier Jahre gesperrt. Kaum einer der 9 Millionen ZDF-Zuschauer mag gerade daran gedacht haben – bis der ZDF-Kommentator sein Publikum daran erinnert.

Mitten in den Jubel spricht Wolf-Dieter Poschmann: „Das Vorhaben, Dopingsünder im Grunde genommen lebenslang wegzusperren, ist ja gescheitert – das ist auch nachvollziehbar. Weder die Vier-Jahres-Sperre noch ein Olympia-Verbot sind rechtlich durchsetzbar und wären ja auch nicht die Lösung. Im Grunde genommen wäre es nur die Fortsetzung der Augenwischerei, der Heuchlerei des immer noch unorthodoxen, wenig effizienten Kontroll-Aktivismus, verbunden mit hohen Kosten und mit der Dämonisierung der wenigen, die dann noch ins Netz gehen – das ist nicht die Lösung!”

Hallo? Herr Poschmann? „Heuchlerei!” – „Kontroll-Aktivismus!” – „Dämonisierung!” Irritierende Aussagen des einstigen ZDF-Sportchefs, der als Chefreporter (und früherer Mittelstrecken-Profi) seit Jahren alle Leichtathletik-Großereignisse begleitet– gar ein Plädoyer für die Doping-Freigabe? Der jetzige ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz erklärte auf AZ-Nachfrage: "Ich habe mit Herrn Poschmann noch einmal gesprochen. Es ist in keiner Weise ein Plädoyer für die Freigabe von Doping. Die Aussagen sind die Meinung des Herrn Poschmann zu der Effektivität der Doping-Bekämpfung, die auf seiner jahrelanger Erfahrung in der Leichtathletik basieren. Ich respektiere diese Meinung, die ihm als Experten auch zusteht."

Widerspruch gibt es von Münchens Doping-Experte Dr. Helmut Pabst. "Die Aussagen Poschmanns sind sehr destruktiv. Poschmann spricht viel über Doping, aber leider nie mit jemandem, der sich wirklich auskennt. Ich kann zu Herrn Gatlin nur sagen: Für mich wird der nie ein ehrenwerter Sportler mehr."

Stellung nimmt auch Deutschlands prominentester Dopingjäger, Dr. Werner Franke. Der Heidelberger Professor für Molekularbiologie sagte der AZ: „Ich möchte Herrn Poschmann gerne die Frage stellen, ob er seine Tochter in einer Welt, in der Doping freigegeben wäre, Sport betreiben lassen würde? Das wäre dann schon fast die Anleitung zur Körperverletzung. Ich würde Herrn Poschmann empfehlen, mal etwas Substantielleres in seinem Leben zu leisten. Etwas Bildung täte nicht schlecht.” Franke weiter: „Die Kontrollen in Deutschland sind leider sehr schlecht. Eine Freigabe – die auch noch gegen geltendes Arznei- und Strafgesetz verstoßen würde – würde dazu führen, dass Sport als erzieherisches Element in unserer Gesellschaft nicht mehr denkbar, nicht mehr anwendbar wäre.”

Dr. Wilhelm Schänzer vom Institut für Biochemie, einem vom IOC akkreditierten Labor für Dopinganalytik, sagte der AZ: „Von Aktionismus zu sprechen, ist vollkommen falsch, auch den Vorwurf, dass Gelder verschwendet werden, kann ich nicht stehen lassen. Sicher erwischen wir nicht jeden Doper, aber die Methoden werden immer besser. Die Langzeitlagerung der Proben hat abschreckende Wirkung. Wenn man durch feinere Methoden noch Jahre später Doping nachweisen kann, überlegt man sich das Vergehen zweimal.”

Auch Frank Busemann, Olympiazweiter im Zehnkampf 1996 und ehemaliger Anti-Doping-Vertrauensmann, ist irritiert: „Die Worte und Aussagen von Herrn Poschmann sind sehr hart. Eine Freigabe ist nicht diskutabel. Man muss die Doper auch vor sich selber schützen. Das tut man mit Drogensüchtigen auch, man verkauft ja auch nicht Heroin neben der Margarine im Supermarkt. Warum sollte ich dann sagen, dass es für Sportler in Ordnung ist, sich totzudopen? Ich bin für lebenslange Sperren. Man sieht ja immer wieder, dass Doper nach Sperren zurückkommen und noch schneller sind. Das heißt für mich, dass man ein Leben lang davon profitiert, dann kann die Strafe aber auch nur die lebenslange Sperre sein.” 

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