Pechstein: Entspannt ins letzte Medaillenrennen

Sotschi – Claudia Pechstein suchte die Nähe ihres Lebensgefährten Matthias Große. Eine innige Umarmung, ein Kuss, dann verließ die Eisschnellläuferin nach dem Training am Dienstag lächelnd die Adler Arena in Sotschi. Vor ihrem vermutlich letzten Auftritt auf olympischem Eis am Mittwoch über 5000 m wirkte die ehrgeizige Berlinerin entspannt wie selten – vielleicht, weil sie sich von ihrem Medaillentraum schon verabschiedet hat.
Sie müsse realistisch sein, bei allen zuvor gehegten Wünschen, so Pechstein auf ihrer Homepage, von einer Medaille als Ziel zu sprechen, sei "vermessen". Die 41-jährige Pechstein, aufgrund einer auf Indizien beruhenden Dopingsperre von den Winterspielen 2010 ausgeschlossen, hatte nach acht Jahren Abstinenz ihr Comeback auf der Olympia-Bühne mit ihrem zehnten Edelmetall krönen wollen. Sogar als Fahnenträgerin der deutschen Delegation war sie im Vorfeld der Spiele im Gespräch gewesen.
Die Ehre wurde ihr nicht zuteil, ihre erste Medaillenchance über 3000 m ließ sie als Vierte ungenutzt. Nun stapelt Pechstein tief und beugt so auch einer Enttäuschung vor. Dass es mit Edelmetall bislang nichts geworden ist, glauben sie und die Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG), habe vor allem mit den Bedingungen am Schwarzen Meer zu tun. "Mit dem Eis hier komme ich im Wettkampf bislang einfach nicht klar", sagte Pechstein, die über 1500 m am Sonntag mit dem 19. Rang ihre schlechteste Olympia-Platzierung überhaupt eingefahren hatte.
Das Eis ändere im Laufe des Tages seine Eigenschaften und werde zu den Wettbewerben hin aufgrund höherer Temperaturen weicher. Es gleitet dann schlechter und kommt der herausragenden Technikerin Pechstein, die mit ihrem Laufstil auf härterem Eis einen immens hohen Wirkungsgrad entfalten kann, nicht entgegen. "Es kommen da mehrere Faktoren zusammen", sagte DESG-Teamleiter Helge Jasch.
Beim Training ist es in der Halle tatsächlich spürbar kälter. Im Vergleich zu den Wettkämpfen sind nur die Hälfte aller Scheinwerfer eingeschaltet, das Publikum fehlt. Die Eismeister in Sotschi haben in der vergleichsweise neuen Arena noch Schwierigkeiten, die Strecke den jeweiligen Situationen anzupassen. So beeinflusst etwa die bloße Anwesenheit von rund 7000 Zuschauern die Luftfeuchtigkeit und damit die Eigenschaften der Bahn nachhaltig.
Einzig die überaus erfolgreichen Niederländer kommen mit den Bedingungen offenbar gut zurecht. "Einen genauen Grund dafür habe ich nicht", sagte Jasch. Pechstein jedenfalls zeigte sich angesichts der Dominanz beeindruckt. "Die ganze Welt läuft den Oranje-Stars hinterher", sagte die Berlinerin.
Neben dem von 3000-m-Olympiasiegerin Ireen Wüst angeführten niederländischen Trio zählt sie auch Vancouver-Titelträgerin Martina Sablikova (Tschechien) und die Russin Olga Graf zu den aussichtsreichsten Medaillenkandidatinnen. Dennoch will Pechstein am Mittwoch "noch einmal alle Körner abrufen, die noch vorhanden sind. Dann lasse ich mich selbst überraschen, was am Ende dabei herausspringt."
Wohin ihre Reise im Anschluss der Winterspiele in Sotschi geht, ist offen. Pechstein kann sich wohl eine Rolle als Trainerin vorstellen, auch die Fortsetzung ihrer Laufbahn ist nicht vom Tisch. In jedem Fall wird sie weiter gegen ihre "Unrechtssperre" vorgehen. Schon am 26. Februar befasst sich etwa das Landgericht München mit ihrer Schadensersatzklage gegen den Eislauf-Weltverband ISU in Höhe von etwa 3,5 Millionen Euro.