Pech im Pistolenschießen
Sabine Lisicki scheitert als letzte Deutsche im Achtelfinale von Melbourne an Maria Scharapowa
– und hat doch gezeigt, dass sie eine kommende Titelanwärterin ist. „Für solche Spiele lebt man”
Melbourne - Als Sabine Lisicki am Ende zurückschritt in die Umkleidekabinen der Rod Laver-Arena schritt, da passierte sie auch die Bildergalerie der großen Turnierchampions. Sie schaute versonnen zu den Fotos von Steffi Graf, Martina Navratilova, Monica Seles oder Martina Hingis. So schlich sich ein trotziger Ausdruck in ihr Gesicht. „Ich will hier auch einmal den Pokal holen. Und ich weiß, dass es möglich ist", sagte sie später.
6:3, 2:6, 3:6 gegen die unbeugsame Maria Scharapowa, nach dem Aus aller deutschen Männer als letzte deutsche Spielerin im Achtelfinale von Melbourne gescheitert – und doch hat sich Lisicki als eine kommende Titelanwärterin angekündigt. „Sabine ist nur noch einen winzigen Hauch von den Besten der Besten entfernt”, sagte die amerikanische Fed Cup-Chefin Mary Joe Fernandez später und sprach vom „intensivsten Spiel, das dieses Turnier gesehen hat.”
Am Ende verlor sie nur, weil sie bei zwei, drei Big Points der 2:35-Stunden-Schlacht nicht über die nötige Coolness und Cleverness verfügt hatte.
Es war ein Tennisspiel, das wie ein Pistolenschießen um zwölf Uhr mittags im Western wirkte. Vor 16000 Augenzeugen entwickelte sich ein Psychoduell zweier außergewöhnlicher Persönlichkeiten. „Das war pure Weltklasse", sagte Bundestrainerin Barbara Rittner, „Sabine hat mit enormer Zuversicht gespielt, mit einer Haltung, die imponierend war. Da waren zwei Spielerinnen absolut auf Augenhöhe."
Centre Court-Abendvorstellung, ausverkauftes Haus, mittendrin im Rampenlicht - es war ganz nach Lisickis Geschmack, jene große, glamouröse Grand Slam-Bühne, die sie so liebt. Und nach einem jähen 0:3-Rückstand gegen die sofort mit aller Macht losballernde Russin fand auch die Berlinerin schnell zu jener Statur, die sie etwa in Wimbledon letztes Jahr bis ins Halbfinale getragen hatte. Wie im Rausch gewann sie die nächsten sechs Spiele zum formidablen 6:3 und zur 1:0-Satzführung. „Ich habe mich einfach wohl gefühlt da draußen. Für solche Spiele lebt man doch als Profi", sagte sie hinterher, schwankend zwischen der akuten Enttäuschung und der enormen Genugtuung, einen wirklich starken Saisonstart hingelegt zu haben. Für alle, die es vergessen hatten, erinnerte sie noch einmal daran, „dass ich hier im letzten Jahr in der zweiten Qualifikationsrunde ausgeschieden bin”: „Als das Turnier los ging, war ich schon zu Hause.” Da könne man „bei allem Ärger über dieses Scheitern gegen Maria etwas Positives aus diesen Australian Open ziehen", so Lisicki.
Gegen eine Wettkämpferin wie Scharapowa fehlten ihr noch und nur die allerletzten zwei, drei Prozent Matchhärte, Routine und Abgebrühtheit, um schon an diesem 23. Januar 2012 als strahlende Gladiatorin die Arena verlassen zu können. Sechs verlorene Spiele in Serie, einen bitteren Rückstand und einen drastischen Leistungseinbruch im ersten Satz steckte die "Königin der spitzen Schreie" (The Age) relativ ungerührt weg - eine stahlharte Diva, die konsequent an ihre Chance glaubt und nie nachlässt. „Sie ist wie ich. Sie gibt nie auf, ist eine unwahrscheinliche Kämpferin. Das ist auch der Reiz in diesen Matches", sagte Lisicki später, „aber ich war ganz, ganz nah an ihr dran. Näher als in jedem Spiel zuvor."
Am Ende blieb Lisicki die Erkenntnis: „So wie ich heute gespielt habe, müsste ich bald in den Top Ten sein." Und damit in der Liga der ganz Großen.