Nur nie hängen lassen: Die wundersame Geschichte von Paraclimber Michael Füchsle

Michael Füchsles Leben ist seit jeher das Klettern. Dass der 54-Jährige heute überhaupt noch kraxeln darf, gleicht einem Wunder. Die Geschichte eines Menschen, der einfach nicht aufgeben kann.
Christina Stelzl
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Nach schwerer Krankheit klettert Michael Füchsle wieder - eine Geschichte, die einem Wunder gleicht.
Nach schwerer Krankheit klettert Michael Füchsle wieder - eine Geschichte, die einem Wunder gleicht. © privat

Der rechte Oberarm pocht vor Schmerz, langsam merkt Michael Füchsle wie die Kraft aus seinen Fingern weicht. Er könnte jetzt einfach loslassen, sich ins Sicherungsseil fallen lassen, aber das kann Füchsle nicht. Das hat der 54-Jährige noch nie gekonnt. Aufgeben kennt der gebürtige Bobinger nicht.

Nach schwerer Krankheit: Klettern mit Handicap

Michael Füchsle ist anders als die meisten Kletterer. Denn der Schwabe kraxelt mit Handicap – wobei das eigentliche Wunder ist, dass er überhaupt noch kraxeln kann, ja dass er überhaupt noch lebt! Mit 18 Jahren wird bei dem Schwaben eine chronische Darmentzündung diagnostiziert. Medikamente helfen, sein Leben scheint sich wieder einzupendeln. Es folgen Erstbegehungen und internationale Kletter-Erfolge. Auch finanziell läuft es bei Füchsle: Neben dem Sponsorengeld verdient er, der bereits mit 14 Jahren die Hauptschule beendet hatte und sich seither ausschließlich seiner Leidenschaft widmete, seinen Lebensunterhalt als Herausgeber von Kletterführern oder auch mit seiner eigenen Bekleidungsfirma. Das Leben meint es zu diesem Zeitpunkt gut mit Michael Füchlse – trotz der schweren Krankheit.

2003 aber verschlimmern sich seine Werte, an Wettkämpfe ist ab da nicht mehr zu denken. Der Tiefpunkt dann zwei Jahre später: Ein Darmdurchbruch inklusive Blutvergiftung verändert sein Leben drastisch. Füchsle fällt ins Koma, die Ärzte geben ihm nur eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Erst nach 16 Tagen und mehreren Not-OPs erwacht Füchsle aus dem Koma.

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Prognose: Füchsle wird den Rollstuhl nicht mehr verlassen

"Mensch, habe ich Durst", das war seine erste Erinnerung – heute kann er der AZ darüber lachend am Telefon erzählen. Damals aber war der Schock gewaltig. Erst einige Tage später realisiert er das Undenkbare: Der ehemalige Kletterprofi ist vom Hals abwärts gelähmt und hat einen künstlichen Darmausgang. "Die Prognose war, dass ich den Rollstuhl nie mehr verlassen werde", erinnert sich Füchsle.

Keine 24 Stunden später folgt der nächste Schlag: Seine Verlobte, mit der es auch davor schon kriselte, trennt sich nur einen Tag nach dem Koma von ihm, ein Leben mit einem Pflegefall sei für sie nicht vorstellbar gewesen, sagt Füchsle. Auch der Großteil seiner Freunde wendet sich ab. Der künstliche Darmausgang sei einfach "zu unhygienisch" hieß es. Füchsle ist am Tiefpunkt.

Kampf durch die Reha: Situation verbessert sich

Wie durch ein Wunder spürt der Schwabe eines Tages in der Reha seine Arme wieder. Sofort macht er Kräftigungsübungen im Bett. Von da an wird "richtig gepusht – da bin ich der Reha-Klinik richtig dankbar", erzählt der 54-Jährige. "Ich habe auf der Reha bis zu fünf Mal am Tag Krankengymnastik bekommen." Durch seine eiserne Disziplin und "hartes Kämpfen" besserte sich seine Situation von Tag zu Tag. Im Frühling 2006 macht Füchsle bereits die ersten eigenen Gehversuche und darf dann nach über sechs Monaten endlich wieder nach Hause. "Daran hätte damals niemand gedacht", sagt er heute voller Stolz.
Allmählich fand er mit neuem Lebensmut und vor allem einer neuen Liebe den Weg zurück ins Leben.

Nie aufgeben, immer weiter: Auch seine Freundin Marion hat Michael Füchlse in seiner schlimmsten Zeit neue Kraft gegeben.
Nie aufgeben, immer weiter: Auch seine Freundin Marion hat Michael Füchlse in seiner schlimmsten Zeit neue Kraft gegeben. © privat

Angetrieben von seiner neuen Freundin Marion, die ihn samt seiner Behinderung kennen und lieben lernte, probiert Füchsle 2012 die ersten Züge an einer künstlichen Kletterwand seit über neun Jahren. Nur drei Jahre später bestreitet Füchsle mit dem neu geweckten Ehrgeiz seinen ersten Wettkampf im Paraclimbing in Imst. Die Aufregung vor dem Start ist groß, Gedanken schießen ihm durch den Kopf: Bin ich wirklich schon wieder konkurrenzfähig? Macht der Körper mit? Ja, macht er! Ein starker 5. Platz, den er sich vor ein paar Jahren in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt hätte, motiviert ihn zu mehr. Nur zwei Jahre später erreicht er dann Platz zwei im Gesamtweltcup, für ihn eindeutig der "größte Erfolg" in seiner gesamten Profikarriere.

Er will Menschen den Lebensmut zurückgeben

Mittlerweile ist Füchsle auch als Trainer aktiv und steht einem jungen Nachwuchskletterer als Manager zur Seite. "Er hat schon einen beeindruckenden Lebensweg bestritten und sich wieder so ins Leben zurückgekämpft. Ich selbst bin ja auch gehandicapt, aber Michael kann jemanden schon sehr gut motivieren", sagt der 22-jährige Florian Singer, der ebenfalls in jungen Jahren einen schweren Schicksalsschlag erlitten hat, zur AZ. "Ich bin sehr dankbar, dass er mich unterstützt, denn ohne seine Hilfe wäre ich nicht so weit, wie ich jetzt bin."

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Für Füchsle selbst ist es wichtig, dass er durch seine Geschichte andere Leute ermutigen kann, er möchte als Vorbild dienen, Menschen mit vergleichbaren Lebensgeschichten den Lebensmut zurückgeben – ihnen klar machen, dass man sich selbst in aussichtslosen Situationen nie hängen lassen darf.

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