NFL-Experte Roman Motzkus: "Keiner will Tom Brady verärgern"
AZ-Interview mit Roman Motzkus: Der 53-Jährige spielte in der German Football League (GFL) und ist seit 2015 NFL-Experte bei ProSiebenSat.1.
AZ: Herr Motzkus, die Seattle Seahawks treffen beim ersten NFL-Spiel auf deutschem Boden auf die Tampa Bay Buccaneers. Eine spannende Partie?
ROMAN MOTZKUS: Die NFL zeigt uns mal wieder, dass alles anders kommt, als man denkt. Die Seahawks sind wider Erwarten Tabellenführer in der NFC West, haben sechs Spiele gewonnen, drei verloren. Die Buccaneers haben das Gewohnheitsrecht der vergangenen beiden Jahre zu leicht genommen. Ihre Bilanz liegt bei 4:5. Sie haben gemerkt, dass es nur über Tom Brady nicht funktioniert. Er hat zwar wieder gute Zahlen, aber die Defense, also die Verteidigung, ist längst nicht so stark, das Laufspiel schlechter als in den letzten zwei Jahren.
"Sie sind erfolgsverwöhnt"
Sind das die Hauptprobleme der Tampa Bay Buccaneers?
Bruce Arians ist nicht mehr Cheftrainer, das ist ein großer Faktor, weil er gut motivieren kann. Der Neue, Todd Bowles, ist ruhiger. Sie waren erfolgsverwöhnt, jetzt müssen sie zeigen, dass sie kämpfen können.
Kann nicht auch Tom Brady die Mannschaft motivieren?
Klar, das macht er. Keiner will Tom Brady verärgern. Das Problem ist, dass die Fehlerquote im Team zu hoch ist. Aber an Bradys Spielweise liegt es nicht. Vielleicht macht es ihm die private Situation wieder leichter, weil er sich nach der Scheidung von Ehefrau Gisèle Bündchen wieder mehr auf das Spiel konzentrieren kann.
Zumal Brady all seine internationalen Spiele gewonnen hat.
Genau, er hat in Mexiko und London gespielt und immer gewonnen. Mit ihm hat das Team einen Trainer auf dem Feld. Er hat alles erlebt, was man im Football erleben kann, das kann in dieser Situation helfen. Er liebt und er lebt seinen Sport und lässt sich nicht davon zurückwerfen, dass er drei Spiele in Folge nicht gewonnen hat.
Troublemaker Brown ist raus
Was ist bei einem internationalen Spiel anders?
Die Trainer mögen es nicht, wenn die Vorbereitung für das nächste Spiel durch Marketingevents unterbrochen wird, deshalb tun die Spieler gut daran, sich auf den Sport zu konzentrieren. Die internationalen Spiele sind nicht ihre liebsten Spiele, weil das Team die Woche anders planen muss. Den größten Troublemaker Antonio Brown haben sie - zum Glück - nicht mehr dabei, den größten Clown Rob Gronkowski auch nicht mehr.
Leidet das sportliche Niveau bei internationalen Spielen?
Bei NFL-Spielen in London beobachtet man öfter, dass nicht sehr viele Punkte erzielt werden. Gerade zu Beginn wirken die Spiele manchmal verschlafen. Die lange Reise und die Zeitverschiebung machen es den Spielern nicht leicht. Sie müssen zu einer Zeit spielen, zu der sie normalerweise aufstehen. Die Buccaneers haben einen leichten Vorteil, da sie "nur" sechs und die Seahawks neun Stunden Zeitverschiebung haben. Letztlich sind die Spieler Profis, die das im Spiel abschütteln müssen. Da ist auch genug Adrenalin dabei.
Wird das Spiel also ein Defense-Festival?
Beide Mannschaften haben ihre Stärke im Passangriff. Seattles neuer Quarterback Geno Smith hat mit den Wide Receivern Tyler Lockett und DK Metcalf gute Anspielstationen. Beide Mannschaften versuchen, über das Laufspiel den Gegner zu kontrollieren. Wenn sie damit keinen Erfolg haben, werden sie auf das Passspiel umsteigen. Momentan sehe ich einen Vorteil bei den Tampa Bay Buccaneers. In der Offense sehe ich einen kleinen Vorteil für die Seahawks. Insgesamt rechne ich mit keinem sehr hohen Score. Es wird wahrscheinlich sehr eng.
"Geno Smith ist die große Hoffnung"
Geno Smith, dem neuen Quarterback der Seahawks, wurde wenig zugetraut vor der Saison. Nun zeigt er sich richtig stark in Form. Hätten Sie das gedacht?
Nein. Er ist schon eine Weile da und spielte, als Russell Wilson verletzt war. Er kommt mit dem Stil von Trainer Pete Carroll und der Spielanlage der Seahawks gut zurecht. Wilson war in der Kabine umstritten, das könnte Geno Smith helfen. Die Mannschaft wollte, dass der Fokus nicht nur auf Wilson liegt. Geno Smith ist mehr Teamplayer. Er nutzt seine Chance, die er spät bekommen hat. Die Frage ist: Kann er das eine Saison durchhalten? Jetzt erwarten die Leute mehr von ihm. Er hat den Kritikern gezeigt, dass man es auch spät schaffen kann. Mit Carroll hat er einen Trainer, der Spieler gut weiterentwickeln kann.
In welchem Stadium sehen Sie die Seahawks?
Die NFC West ist nicht so stark, wie man es vor der Saison gedacht hat. Dadurch können die Seahawks glänzen. Die Teamchemie zwischen Offense und Defense passt - vermutlich auch durch den frühen Wechsel von Russell Wilson. So konnte man sich früh auf Geno Smith festlegen, der das Playbook, die Trainer, die Mitspieler kennt.
Nicht so viele Fans im Stadion
Die Seahawks haben eine große Fanbasis in Deutschland. Aber den Namen Tom Brady kennt jeder. Welche Rolle spielen die Fans am Sonntag?
Als die Seahawks 2018 in London gespielt haben, hatten sie sehr viele Fans im Stadion. Das könnte wieder so sein. Ich glaube kaum, dass sich das im Stadion akustisch bemerkbar macht. Nicht so viele Tickets wurden explizit an Fans herausgegeben, daher dürfte der Effekt nicht so groß sein.
Was ist der Unterschied zu einem Heimspiel?
Die Kulisse fehlt. Wenn das Team mit der eigenen Defense auf dem Feld ist, werden die Fans sehr laut. Da hat es der Gegner deutlich schwerer zu kommunizieren. Da die Seahawks ein Auswärtsspiel hätten, haben sie in dieser Hinsicht einen Vorteil am Sonntag.
Ist die NFL noch zukunftsträchtig?
Wohin geht die Reise der NFL in Deutschland?
Alle vier Teams, die Marketingrechte für Deutschland haben, werden hier spielen. Das sind neben den Buccaneers die Kansas City Chiefs, die New England Patriots und die Carolina Panthers. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie künftig zwei Deutschland-Spiele pro Jahr in Frankfurt und München organisieren, wenn es gut läuft am Sonntag. Das Interesse an den Tickets war gigantisch, die Nachfrage ist da. Wirtschaftlich und logistisch würde das Sinn machen.
Aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes machen die Spiele weniger Sinn.
In ihren Stadien haben einige NFL-Teams schon viel getan. Philadelphia hat zum Beispiel mit 11.000 Solarpaneelen das größte Sonnen-Energiesystem der NFL. Aber: Man kann mit einem Tross von über hundert Leuten auf diese Distanz nicht umweltbewusst reisen. Da ist es fast zweitrangig, ob die Mannschaft von Tampa nach Seattle oder nach München fliegt. Sie fliegen zum Glück nicht dauerhaft hin und her.
Die NFL überlegt, eine Division dauerhaft nach Europa zu legen.
Dauerhaft mit einer Liga interkontinental zu arbeiten, sehe ich sehr kritisch. Das hat die Vergangenheit gezeigt. Es ist eine andere Sache, eine Mannschaft für ein paar Tage nach Europa zu bringen, als eine ganze Division mit vier Mannschaften, ein paar hundert Menschen Administration, Hin- und Herfliegen der Teams. Ich glaube auch nicht, dass das finanziell interessant für die NFL sein kann.